Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Wal im Klassenzim­mer und das Plastikpro­blem

Isi ist geschockt, was sie im Unterricht erfährt. Für einen Moment vergisst sie sogar ihre Sorgen von daheim

- VON STEPHANIE LORENZ

Fortsetzun­g von Teil 1 der Kurzgeschi­chte „Plötzlich berühmt: Isi wird zum Superstar“:

…Isi erzählte von dem Gespräch über das Visum und ihren Reisepass. Terri sah sie erstaunt an. „Oh oh“, sagte sie, „Visum klingt nicht nach Urlaub in Lindenfrie­d.“„Ja, wenn es schlimm kommt, verbringe ich den Sommer nicht mit dir am Baggersee“, klagte Isi. „Wir müssen unbedingt die Ferien retten.“

Sie griff nach ihrer Stofftasch­e im Fahrradkor­b, hakte sich bei Terri unter und zog ihre Freundin Richtung Eingang. Lässig trugen sie ihre Taschen über der Schulter. Die hatten sie immer dabei, in der Schule, zum Sport und zum Einkaufen. Sie hatten den Stoff letzten Sommer mit Logos bedruckt: dem Umriss des Kiosks am Baggersee. Die Jungs aus der 7B pfiffen ihnen hinterher. „Coole bags“, rief einer und streckte den Daumen hoch. Kichernd liefen die Mädchen in den Erdkunde-unterricht.

Sie hatten Glück. Herr Roth hatte heute ein Video dabei. Isi und Terri grinsten sich an. Das bedeutete, sie konnten eine Stunde lang neue Designs für Stofftasch­en entwerfen. Sie zogen Stifte und Papier heraus, während auf der Leinwand der Film begann. Isi malte Hibiskusbl­üten, aus den Lautsprech­ern drang Meeresraus­chen. Ein Reporter erzählte etwas von gestrandet­en Walen. Isi hörte nur halb zu. Terris Stift schob sich über ihr Blatt. „Eltern, Reisepass, ich habe eine Idee“, kritzelte sie neben die Blüte.

Plötzlich ging ein Raunen durch den Raum. „Wow!“, rief jemand aus der letzten Reihe. Isi blickte auf und verschluck­te sich fast. Ihr Magen zog sich zusammen. „Wie ekelhaft!“, dachte sie, während sie entsetzt auf die Leinwand starrte.

In kniehohem Wasser trieb regungslos ein großer schwarzer Wal mit offenem Maul. Männer in Latzhosen standen an seiner Flanke, einer saß im Schneiders­itz auf dem Tier und hatte ein langes Messer neben sich. Aus dem aufgeschli­tzten Tier quollen pinke, graue und schlammfar­bene Dinge. Die Fischer zogen daran. Isi wusste nicht, was davon Haut, Magen und Müll war. Als die Kamera hineinzoom­te, erkannte sie Plastiksch­alen, Netze, Gummischlä­uche und Unmengen von Plastiktüt­en. Sie verzog den Mund. Der arme Wal! Er sah auch in leblosem Zustand noch so aus, als würde er leiden.

„Dieser tote, zehn Meter lange Wal wurde an die indonesisc­he Küste gespült“, sagte der Reporter. „Auch auf den Philippine­n ist ein Wal verhungert, weil sein ganzer Magen mit 40 Kilogramm Müll gefüllt war. Und in Schottland ist ein Tier mit 100 Kilogramm im Bauch gestorben.“Ein warnender Ton lag in seiner Stimme: „Plastikmül­l bringt Tiere in Gefahr. Auch Schildkröt­en zum Beispiel, die Plastiktüt­en essen, weil sie sie mit Quallen verwechsel­n.“Isi erschauder­te. Sie blickte zu Terri, die ebenfalls mit offenem Mund dasaß. Plötzlich war alles vergessen: die mysteriöse­n Reisepläne ihrer Eltern, das neue Video von Beachboy17, der Sommer am See und die neuen Taschendes­igns.

„Ich wusste, dass Plastik schlecht für die Umwelt ist, aber das ist echt widerlich“, flüsterte ihre Freundin. „Wir verwenden doch eh schon Taschen und Rucksäcke zum Shoppen. Keine Plastiktüt­en, keine Strohhalme, kein Plastikges­chirr. Wo kommt das denn alles her?“

Isi zuckte mit den Schultern und blickte wieder auf die Leinwand. „Dabei sind Wale Klimaschüt­zer“, erklärte der Reporter gerade. „Ein einziger Wal kann so viel CO2 speichern wie tausende Bäume. Aber die Menschen pusten immer mehr CO2 in die Luft, zum Beispiel im Verkehr oder aus Fabriken. Wenn Plastik hergestell­t und entsorgt wird, entsteht auch CO2, also das Treibhausg­as Kohlenstof­fdioxid. Und wegen der Treibhausg­ase wird es auf der Erde immer wärmer. So verändert sich der Lebensraum der Wale schneller, als sie sich anpassen können.“Der Reporter verhaspelt­e sich fast, seine Wangen wurden rot und schließlic­h rief er: „Wale sterben, weil wir die Luft verpesten und die Meere vermüllen!“

Er rückte sein Mikro zurecht und sagte: „Meere binden Kohlenstof­fdioxid wie eine biologisch­e Pumpe. Aber je mehr Müll im Wasser landet, desto schlechter funktionie­rt die Pumpe. Wir müssen kapieren, dass Plastik nicht nur ein Umweltprob­lem, sondern auch ein Klimaprobl­em ist.“… Fortsetzun­g folgt Montag ⓘ

Info Hast du den ersten Teil von „Plötzlich beliebt: Isi wird zum Superstar“verpasst? Du findest ihn auf der Capito-seite vom vergangene­n Montag unter augsburger-allgemeine.de/capito.

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Archiv-foto: SEAME Sardinia Onlus/ap/dpa Dieser Wal ist vor rund einem Jahr tot vor der italienisc­hen Insel Sardinien gestrandet – er hatte 22 Kilogramm Plastik im Magen. Hier siehst du, wie er auf einen Lastwagen gehoben und abtranspor­tiert wurde.
 ??  ?? Stephanie Lorenz, 28, kommt aus Friedberg und wohnt zurzeit in New York. Ihre Erfahrunge­n in den USA haben die Journalist­in auf die Idee gebracht, Kurzgeschi­chten zu schreiben.
Stephanie Lorenz, 28, kommt aus Friedberg und wohnt zurzeit in New York. Ihre Erfahrunge­n in den USA haben die Journalist­in auf die Idee gebracht, Kurzgeschi­chten zu schreiben.

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