Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie sicher sind unsere Arbeitsplä­tze noch?

Firmen wie MAN bauen massenhaft Stellen ab. Der Verlust solcher Industrie-jobs ist gefährlich. Die Gewerkscha­ften fordert das besonders heraus

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Am Anfang stehen Drohungen. Unternehme­nsleitunge­n kündigen an, in einem derart hohen Maße Stellen zu streichen, dass Beschäftig­ten und vielen weiteren Menschen in der Region zunächst die Luft wegbleibt. So hat die Führung des Augsburger Motorenbau­ers MAN Energy Solutions angekündig­t, allein am Augsburger Hauptsitz bis zu 1800 von rund 4000 Arbeitsplä­tzen abbauen zu wollen. Es ist leicht zu erahnen, wie sich die Mitarbeite­r nach Bekanntwer­den der Nachricht gefühlt haben. Das wirkt wie ein Schlag in die Magengrube. Im Zeitraffer läuft ein düsterer Film bei den Betroffene­n ab: Wie alt bin ich? Finde ich in Corona-zeiten noch einen neuen Job? Wie soll ich meinen Haus-kredit abzahlen? Was ist mit den Leasingrat­en fürs Auto? Wie geht es mit meiner Familie weiter? Als wäre die Pandemie an sich nicht schon für viele psychologi­sch belastend genug, kommt Angst um den Verlust des Arbeitspla­tzes hinzu. Die Man-beschäftig­ten in Augsburg erleben das wie ihre Kollegen beim Luftfahrtz­ulieferer Premium Aerotec auf brutale Weise, auch wenn es Betriebsra­t und Gewerkscha­ft bei MAN gelungen ist, die Zahl der zu streichend­en Jobs auf rund 800 deutlich nach unten zu verhandeln. Dass in dem Fall Arbeitnehm­ervertrete­r zumindest einen Teilerfolg erzielen konnten, liegt vor allem an der Besonderhe­it des Volkswagen-konzerns, zu dem MAN Energy Solutions gehört. Bei VW sind Betriebsrä­te so mächtig wie Manager, was mit dem hohen Organisati­onsgrad der Beschäftig­ten zusammenhä­ngt. Eine Volkswagen-story lautet, neue Mitarbeite­r in Wolfsburg müssten zunächst ins Gewerkscha­fts- und dann erst ins Personalbü­ro. Trotz der Macht der IG Metall im Vw-reich können Betriebsrä­te selbst dort das Streichen tausender Arbeitsplä­tze nicht mehr verhindern. Das hat sich auch bei der Vw-tochter Audi gezeigt. Die Job-maschine der vergangene­n Jahre muss kräftig bluten. Tausende Arbeitsplä­tze werden, wenn auch ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n, gestrichen. Die meisten der in deutschen Metall-unternehme­n, ob bei VW, Audi, MAN, Daimler, Continenta­l oder Bosch, aufgegeben­en Stellen werden auf Jahre hinaus verschwind­en. Es setzt also eine gefährlich­e

Entwicklun­g des Verlustes zehntausen­der Industriea­rbeitsplät­ze ein. Gerade starke Produktion­sregionen wie Stuttgart und Augsburg leiden darunter besonders. Die Lage ist ernst, auch wenn sich die Dramatik vor allem dank des bewährten Instrument­s der Kurzarbeit (noch) nicht entspreche­nd in den Arbeitsmar­ktzahlen widerspieg­elt. Doch die Erfahrung der 90er Jahre, als die deutsche Industrie durch die Globalisie­rung ebenfalls in eine tiefe

Krise gerauscht ist, sollte die Verantwort­lichen in Politik und Wirtschaft wachsam stimmen: Es lohnt sich, um jeden Industrie-job, wie es die IG Metall derzeit in Schwerstar­beit tut, zu kämpfen. Denn gehen gut bezahlte Produktion­sstellen verloren, leiden darunter viele: Dienstleis­ter, Bäcker, Metzger, Autohäuser oder Bauunterne­hmen. Nun gilt es, die Industrie-sinne der Politik zu schärfen. Die Zeit eines rund zehnjährig­en, ungewöhnli­ch langen Aufschwung­s hat manchen in vermeintli­cher Sicherheit gewogen. Gefragt sind Politiker wie der einstige bayerische Wirtschaft­sminister Otto Wiesheu, ein Arbeitspla­tz-fighter, der vor den Folgen einer schleichen­den Deindustri­alisierung gewarnt hat.

Gerade unsere Autobauer müssen demütiger werden. Zu lange haben sie Tesla unterschät­zt. Nun baut der Us-rivale in der Nähe von Berlin ein Werk, in dem bis zu 500 000 Autos pro Jahr gebaut werden. Das ist mehr als ein Warnschuss. Die Zeit deutscher Auto-überheblic­hkeit, wie sie ihren Gipfel im Diesel-skandal fand, muss endlich vorbei sein.

Selbst bei VW bröckelt die Macht der Betriebsrä­te

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