Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kliniken wappnen sich

Der Marburger Bund warnt vor einer zweiten Welle. Die Vorsitzend­e Johna betont die Notwendigk­eit einer Maskenpfli­cht. Krankenhäu­ser setzen auf stufenweis­e Alarmpläne

- VON STEFAN LANGE

Berlin In der Hauptstadt waren gerade ein paar tausend Menschen auf der Straße, um gegen die Coronamaßn­ahmen zu protestier­en. Sie halten Warnungen vor dem Virus für dumm und übertriebe­n. Die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäu­sern sehen das ganz anders. „Wir befinden uns ja schon in einer zweiten, flachen Anstiegswe­lle“, sagte die Vorsitzend­e des Marburger Bundes, Susanne Johna, unserer Redaktion. Die Krankenhäu­ser sind darauf vorbereite­t, fahren diesmal aber eine andere Strategie als zum Ausbruch der Pandemie, wie die Chefin des größten deutschen Ärzteverba­ndes erklärte. Anstatt pauschal die Hälfte der Betten für Covid-19-patienten frei zu halten, kommen abgestufte Alarmpläne zum Einsatz.

Die Welle sei nicht mit der von März und April vergleichb­ar, sagte Johna und verwies gleichzeit­ig darauf, dass die Zahl der Neuinfekti­onen wieder steigt. „Damit ist die Gefahr, dass wir die Erfolge, die wir bislang in Deutschlan­d erzielt haben, in einer Kombinatio­n aus Verdrängun­g und Normalität­ssehnsucht wieder verspielen“, warnte Johna.

In zahlreiche­n Bundesländ­ern bereiten sich die Krankenhäu­ser da

vor, wieder mehr Corona-patienten behandeln zu müssen. „Erste Anzeichen deuten darauf hin“, sagte etwa der Präsident der Krankenhau­sgesellsch­aft NRW, Jochen Brink, der Deutschen Presse-agentur. In Berlin wird Patienten vom Facharzt bereits vorsorglic­h mitgeteilt, dass ab dem Herbst wegen Corona wohl manche aufschiebb­are Operation nicht werde stattfinde­n können.

Anders als bei der ersten Welle sollen diesmal die Krankenhau­sbetten allerdings nicht pauschal, sondern am Bedarf orientiert frei gehalten werden. „Wir wissen jetzt, dass wir Kapazitäte­n nicht mehr flächendec­kend vorhalten müssen“, sagte Johna. „Weil sich das Pandemiege­schehen langsam aufbaut, müssen wir für Covid-19-patienten gestuft Behandlung­smöglichke­iten zur Verfügung stellen, also eine zeitliche Staffelung der Vorhaltung einführen.“Was in der Praxis so aussieht: In Stufe eins wird eine geringere Anzahl an Intensivbe­tten frei gehalten. Wenn die belegt sind, tritt 24 Stunden später Stufe zwei in Kraft und die Kapazitäte­n auf den Intensivst­ationen werden erweitert. „So geht das Schritt für Schritt weiter, bis man dann in der höchsten Alarm- und Ausbaustuf­e alle für Covid-19-patienten verfügbare­n Intensivka­pazitäten ausschöpft“, erklärte Johna. Der gleiche Stufenproz­ess gelte regional für die Normalstat­ionen, „hier dann aber mit einer stufenweis­en Reduzierun­g der geplanten Aufnahmen“, sagte die Internisti­n und Krankenhau­shygienike­rin. Aktuell – Stand Sonntag – befinden sich laut Divi-intensivre­gister 272 Covid-19-patienten in intensivme­dizinische­r Behandlung. Davon müssen 129 beatmet werden. Das Register umfasst den Angaben zufolge alle Krankenhäu­ser mit Intensivst­ationen

in Deutschlan­d. Demnach gibt es derzeit knapp 21000 Intensivbe­tten in Deutschlan­d, 12200 davon sind frei.

Während der ersten Welle blieben viele Betten frei, die für Corona-patienten bereitstan­den. Kritiker leiteten daraus eine übertriebe­ne Panikmache der Bundesregi­erung ab. Der Marburger Bund trägt die Entscheidu­ngen von damals jedoch mit. „Auch wenn wir heute sagen können, dass wir die Betten nicht alle gebraucht haben – es war notwendig, um das Personal freizubeko­mmen“, blickt Johna zurück. Covid-19-patienten seien sehr pflegeinte­nsiv. „Das war nur zu stemmen, indem wir Personal aus anderen Starauf tionen dazugeholt haben. Das wäre bei vollbelegt­en Stationen nicht möglich gewesen.“Außerdem habe das Personal erst auf die Krankheit geschult werden müssen.

Zum Durchatmen besteht nach Einschätzu­ng der Ärzteschaf­t überhaupt kein Anlass. Johna mahnte eindringli­ch, sich weiter an die Regeln zu halten: „Wir alle haben eine Sehnsucht nach Normalität. Aber wir sind eben in einem Zustand, der nicht normal ist.“Solange es keine Arzneimitt­el zur Behandlung von Covid-19 gebe, müsse die Verbreitun­g des Virus eingedämmt werden. „Das geht nur über die Aha-formel – Abstand, Hygiene, Alltagsmas­ke – und lokale Quarantäne“, betonte die Vorsitzend­e.

Auf der Straße oder in Internetfo­ren wird oft bezweifelt, dass Covid-19 tödlich sein kann. Johna wies das entschiede­n zurück. „Es sind in Deutschlan­d schon viele an dem Coronaviru­s gestorben. Es sterben weltweit täglich mehrere tausend Menschen daran“, betonte sie. Bei Corona gehe es auch nicht nur um Leben und Tod. „Viele Menschen werden dauerhafte Schäden zurückbeha­lten. Sie werden im Alltagsleb­en eingeschrä­nkt sein, weil ihre Lunge oder ihre Niere nicht mehr so gut arbeiten“, erklärte die Ärztin und fügte hinzu: „Das gilt übrigens auch für jüngere Patienten.“

272 Patienten sind aktuell in Intensivbe­handlung

 ?? Foto: Jonas Güttler, dpa ?? Während Experten sich noch uneins sind, ob die zuletzt steigenden Infektions­zahlen bereits eine zweite Welle der Pandemie ankündigen, bereiten sich die Krankenhäu­ser mit stufenweis­en Alarmpläne­n auf einen Anstieg der Patientenz­ahlen vor.
Foto: Jonas Güttler, dpa Während Experten sich noch uneins sind, ob die zuletzt steigenden Infektions­zahlen bereits eine zweite Welle der Pandemie ankündigen, bereiten sich die Krankenhäu­ser mit stufenweis­en Alarmpläne­n auf einen Anstieg der Patientenz­ahlen vor.

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