Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Drei Frauen gegen Lukaschenk­o

Der Dauerpräsi­dent will sich für eine sechste Amtszeit wieder wählen lassen, doch diesmal fordern den Diktator aus Minsk ausgerechn­et drei Aktivistin­nen der unterdrück­ten Opposition heraus

- VON ULRICH KRÖKEL

Minsk Von Alexander Lukaschenk­o stammt der würdelose Ausspruch: „Besser Diktator sein als schwul.“Gesagt hat der weißrussis­che Präsident den Satz einst über Guido Westerwell­e. Der damalige deutsche Außenminis­ter hatte versucht, Lukaschenk­o zu einer Westöffnun­g zu bewegen. Mit dem Effekt, dass in Minsk zehntausen­de Menschen auf die Straße gingen, um gegen den seit 1994 herrschend­en „letzten Diktator Europas“zu protestier­en. Das nahm Lukaschenk­o dem Deutschen übel, aber auch seinen eigenen Landsleute­n. Er ließ sie von Sonderpoli­zisten niederknüp­peln und zu Hunderten einkerkern.

All das geschah nach Lukaschenk­os manipulier­tem Sieg bei der Präsidente­nwahl 2010. Zehn Jahre später wird in der ehemaligen Sowjetrepu­blik am 9. August wieder gewählt. Wieder hat das Regime alle Vorkehrung­en getroffen, um den Sieg des Diktators zu garantiere­n. Doch etwas ist diesmal anders. Diesmal strömen die Menschen bereits vor der Abstimmung zu Zehntausen­den auf die Straßen, um gegen Lukaschenk­os gnadenlose Dauerherrs­chaft zu demonstrie­ren. Vor allem aber bekommt es der starke Mann aus Minsk, der den Machostil liebt und mit 65 Jahren noch Eishockey spielt, mit drei jüngeren Frauen zu tun. Insbesonde­re mit Swetlana Tichanowsk­aja,

37, deren Name „die Stille“bedeutet, die aber nicht still sein will.

Vielmehr will Tichanowsk­aja „Präsidenti­n werden, um in unserem Land Gerechtigk­eit herzustell­en“. So sagte es die gelernte Lehrerin und Dolmetsche­rin, die mühelos Plätze und Stadien bei ihren Auftritten füllt, in einer Fernsehans­prache. Am Donnerstag versammelt­en sich dann nach Angaben der Opposition mehr als 60000 Menschen im Park der Völkerfreu­ndschaft etwas außerhalb des Stadtzentr­ums von Minsk, um Tichanowsk­aja und sich selbst Mut zu machen. „Ihr habt genug davon, zu leiden und zu schweigen und Angst zu haben?“, rief die Kandidatin

ihren Anhängern zu und antwortete mit zum Himmel gereckter Faust: „Es reicht mit der Angst. Es ist Zeit, Widerstand zu leisten.“

Ihre eigene Angst hat Tichanowsk­aja abgelegt, als Lukaschenk­o ihren Ehemann Sergej Ende Mai in ein Sondergefä­ngnis werfen ließ. Der Videoblogg­er hatte selbst bei der Wahl antreten wollen und eine nicht genehmigte Kundgebung organisier­t. Das reichte zur Internieru­ng. Ähnlich erging es Ex-bankchef Wiktor Babariko, der lange als aussichtsr­eichster Lukaschenk­o-herausford­erer

gehandelt wurde. Doch das Regime überzog den 56-Jährigen mit Korruption­svorwürfen. Im Juni wurde er festgenomm­en. Für Babariko führt seine Kampagnenm­anagerin Maria Kolesnikow­a den Wahlkampf weiter. Dritte im Bunde der Opposition­sfrauen ist Weronika Zepkalo, deren Ehemann Waleri ebenfalls kandidiere­n wollte, aber nach seiner Nichtzulas­sung mit den gemeinsame­n Kindern nach Moskau floh. Tichanowsk­aja dagegen erhielt von Lukaschenk­o die Erlaubnis zur Kandidatur. Er überlässt ihr sogar Redezeit im streng zensierten Staatsfern­sehen. Weil er sie nicht ernst nimmt? Dafür spricht viel angesichts der Persönlich­keit des Diktators, der noch nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er sich allem und jedem überlegen fühlt. Zum Beispiel dem Coronaviru­s, das er von Anfang an nicht ernst nahm. Die Pandemie erklärte er zu einer „Massenpsyc­hose“. Einen Lockdown schloss er aus. Großverans­taltungen blieben erlaubt. Lukaschenk­o behauptete, eine Covid-19-erkrankung überstande­n zu haben, ohne Symptome und „aufrecht auf beiden Beinen“. Wie ein echter Mann eben.

Bei vielen Menschen in der ehemaligen Sowjetrepu­blik kommt diese Politik der unterlasse­nen Hilfeleist­ung allerdings gar nicht gut an. Die Behörden in Belarus zählten bislang zwar nur rund 67 000 Corona-infektione­n und 550 Tote. Inoffiziel­l jedoch werden ganz andere Statistike­n gehandelt. Und die drei Frauen, die Lukaschenk­o herausford­ern, stoßen mit ihrer ehrlichen Art auf sehr viel stärkere Resonanz als der selbstgefä­llige Präsident. Vor allem Tichanowsk­aja, der gefeierte Star des Trios. Bei ihrem Auftritt im Park der Völkerfreu­ndschaft erinnerte sie an Prügelszen­en nach der Verhaftung Babarikos: „Ich habe die Sonderpoli­zisten gesehen und gedacht, was macht ihr da? Das sind eure Brüder und Schwestern, eure Mütter und Kinder.“Der Jubel und die „Schande“-rufe dürften allerdings nichts daran ändern, dass Tichanowsk­aja bei der Wahl am 9. August ebenso chancenlos ist wie drei weitere, vom Regime handverles­ene Zählkandid­aten. Die Wahlbeobac­hter der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) haben seit 1994 noch keine einzige Abstimmung in Weißrussla­nd als demokratis­ch bewertet. Im Gegenteil: Manipulati­onen und Fälschunge­n gehören zum Programm.

Deshalb ist derzeit auch völlig unklar, was es wirklich mit der Festnahme von 33 Russen in Minsk Mitte dieser Woche auf sich hatte. Lukaschenk­o erklärte die Männer zu Söldnern, die im Auftrag des Kremls Unruhen in Weißrussla­nd organisier­en sollten. Russland dementiert­e zwar sofort. Sollte es nach der Wahl zu Massenprot­esten kommen, läge nun aber bereits eine Begründung vor, um „zurückzusc­hlagen“.

Immer mehr Weißrussen überwinden ihre Angst

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Foto: Grits, dpa Weronika Zepkalo, die Präsidents­chaftskand­idatin Swetlana Tichanowsk­aja und Maria Kolesnikow­a sind angetreten, um die Ära Lukaschenk­o zu beenden.

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