Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Warum Tiktok Trump elektrisie­rt

Hinter dem Streit um das chinesisch­e Netzwerk steht die Gier nach Macht und Geld. Der Us-präsident und Staatschef Xi Jinping glauben: Wer das Netz beherrscht, beherrscht die Welt

- VON YANNICK DILLINGER

Augsburg Corona-impfstoff, 5G-netz-ausbau, Industries­pionage: Wenn sich die Weltmächte USA und China bekriegen, geht es normalerwe­ise um Dinge wie die Gesundheit der Weltbevölk­erung, den Handel mit milliarden­schweren Lizenzen oder die Vernichtun­g von Wissensvor­sprung. Aktuell droht ein Streit um Videos von tanzenden Teenagern zu eskalieren. Zumindest könnte die momentane Debatte um ein Verbot der chinesisch­en Plattform Tiktok in den USA so umschriebe­n werden. Zugegeben, es wäre eine unterkompl­exe Umschreibu­ng. Denn es geht um weit mehr: Es geht um die Vormachtst­ellung im Internet. Es geht um die Beeinfluss­ung von Millionen Menschen. Es geht um viel Geld. Und: Es geht wohl auch um einen beleidigte­n Us-präsidente­n.

Zum Hintergrun­d

Tiktok ist eine App aus China, die mittlerwei­le mehr als eine Milliarde Menschen weltweit nutzt. Die Registrier­ten laden kurze, selbst produziert­e Videos hoch oder konsumiere­n Beiträge. Alleine in den USA haben laut Tiktok-mutterkonz­ern Bytedance mehr als 100 Millionen Menschen einen Account. Lange Zeit erreichten vor allem Teenager mit amüsanten Tänzen und Imitatione­n von Künstlern ein Massenpubl­ikum, mitunter über Nacht. Comedians wie Sarah Cooper mit ihrer Trump-synchronis­ation gewannen binnen weniger Tage hunderttau­sende Anhänger. Der Algorithmu­s von Tiktok macht’s möglich. Mittlerwei­le sind auch seriöse Medien wie Tagesschau oder New York Times mit Profilen vertreten. Nutzer schätzen insbesonde­re die personalis­ierten Video-empfehlung­en, die dank der Analyse des Nutzungsve­rhaltens der Angemeldet­en möglich sind. In der jüngeren Vergangenh­eit sind Top-entwickler von Facebook zu Bytedance gewechselt. Tiktok gilt als „Rising Star“im Internet.

Die Kritik:

Donald Trump hat kein Profil bei Tiktok. Und das wird wohl auch so bleiben: Der Us-präsident würde die Plattform in seinem Land am liebsten verbieten – so wie es Indien jüngst tat. Seit vielen Wochen kritisiere­n Trump und seine Leute die chinesisch­en Entwickler und ihre vermeintli­chen Hintermänn­er. Sie vermuten, dass Daten von Us-bürgern für verbrecher­ische Zwecke missbrauch­t würden. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass die chinesisch­e Regierung Zugriff auf Nutzerdate­n bekommen könnte. Aus diesem Grund gibt es auch in Europa erhebliche Vorbehalte gegen Tiktok.

Die Ankündigun­g

So ganz unberechti­gt scheinen die Vorbehalte nicht zu sein: In China betreibt Bytedance statt Tiktok den minimal anders ausgericht­eten Videodiens­t Douyin. Dieser ist dort wie alle sozialen Netzwerke strenger Zensur unterworfe­n. In den Nutzungsbe­dingungen von Douyin heißt es, Daten würden nur so lange gespeicher­t, wie es notwendig sei. Es sei denn, und hier gibt es keine Präzisieru­ng, „Gesetze und Vorschrift­en schreiben etwas anderes vor“. Anlass genug für Donald Trump, ein Verbot der Schwester-app in den USA ins Spiel zu bringen. Tatsächlic­h gäbe es drei Möglichkei­ten für Trump, Tiktok zu verbannen: Er könnte die App per Exekutivor­der verbieten, den sogenannte­n Internatio­nal Emergency Economic Powers Act verwenden, um den Download von Tiktok zu unterbinde­n, oder den Hersteller auf eine schwarze Liste setzen, um Us-firmen Geschäfte mit Tiktok zu untersagen. Die persönlich­e Note

Die Macht von Tiktok hat Donald Trump im Juni selbst zu spüren bekommen: Vor seinem Wahlkampfa­uftakt in Tulsa hatte sein Team Anhänger dazu aufgerufen, sich vorab kostenlos online zu registrier­en. Zahlreiche Trump-gegner auf Tiktok hatten daraufhin ihre Gefolgscha­ft gebeten, dies zu tun. Tausende folgten der Bitte, das Trumpteam feierte das vermeintli­ch übergroße Interesse – und verkündete: Wir sind ausverkauf­t. Als die tausenden Tiktoker dann – wie verabredet – nicht bei der großen Trumpshow auftauchte­n, musste der Uspräsiden­t vor spärlich besetzten Tribünen auftreten: eine Demütigung für Trump.

Der Grundkonfl­ikt

Donald Trumps Verhältnis zu Chinas Internetwi­rtschaft ist schon länger schwer belastet. Ein Tiefpunkt: 2019 untersagte Trump Us-firmen, Handel mit dem chinesisch­en Techgigant­en Huawei zu betreiben. Huawei ist der weltweit größte Smartphone-produzent der Welt. Bis zu Trumps Dekret war auf Huawei-smartphone­s das Betriebssy­stem Android aus dem Hause Google installier­t. Damals begründete Trump die Maßnahme mit dem Verdacht, Huawei gebe Daten an den chinesisch­en Geheimdien­st weiter. Trump befürchtet: Wenn China das Netz beherrscht, beherrscht China die Welt. Wer Daten habe, könne diese für Manipulati­on nutzen. Ob Trumps Team das im Vorfeld der Us-wahl 2016 selbst getan hat? Darauf liefert der Präsident auch in der aktuellen Debatte keine Antwort.

Bereits heute kommen mit die größten Internetun­ternehmen der Welt aus China. Unangefoch­ten auf Platz eins steht Alibaba. Der Experte für Handel im Internet ist die weltweit größte Geschäftso­rganisatio­n im Netz. Das Unternehme­n Baidu betreibt die nach Google zweitgrößt­e Suchmaschi­ne der Welt. Tencent ist das weltgrößte Gaming-unternehme­n. Die Firma steckt außerdem hinter dem reichweite­nstarken Messenger Wechat. Der Deal

Die Diskussion um ein Verbot von Tiktok in den USA startete der Uspräsiden­t ausgerechn­et in jenen Tagen, in denen das Us-unternehme­n Microsoft und Bytedance über einen Deal verhandeln. Microsoft würde gerne den amerikanis­chen Arm des Unternehme­ns übernehmen. Der Querschuss Trumps hat die Verhandlun­gen nicht erleichter­t. Mittlerwei­le versucht Bytedance, Trump mit einem Wahlkampfg­eschenk zu besänftige­n: Der Us-präsident soll den Deal doch ermögliche­n. Dafür verspricht der chinesisch­e Konzern laut Wall Street Journal bis zu 10000 neue Jobs in den USA. Für den Us-präsidente­n gäbe es neben der Zulassung eines Impfstoffs gegen das Coronaviru­s aktuell wohl kaum eine bessere Nachricht als ein Jobwunder.

Und tatsächlic­h ist am Montag Bewegung in die verfahrene Situation gekommen: Microsoft verkündete nach einem Gespräch des CEOS Satya Nadella mit Trump, das Unternehme­n könne die Verhandlun­gen mit Bytedance fortsetzen. Auch Trump bestätigte, er „hätte nichts gegen“die Übernahme. Bis 15. September soll eine Entscheidu­ng gefallen sein. Auch darüber, ob andere Us-amerikanis­che Investoren als Anteilseig­ner mit einsteigen.

Was Microsoft will

Microsoft würde mit einem Schlag Zugriff auf die Daten von Millionen Registrier­ten bekommen. Im Internet sind Daten Gold. Wer weiß, was Menschen im Netz bewegt, der kann diese Daten nutzen, um personalis­ierte Werbung auszuspiel­en. Je genauer die ausgespiel­te Werbung die Interessen der Nutzer trifft, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit für einen Kaufabschl­uss und damit für einen hohen Preis, den Werbetreib­ende an die Herren der Daten zahlen.

Der Algorithmu­s von Tiktok gilt als besonders raffiniert. Die Nutzungsin­tensität ist hoch. Intensive Nutzung ist gleichbede­utend mit einer potenziell langen Sichtbarke­it von Werbung. Für Microsoft, das es nie geschafft hat, eine junge Zielgruppe mit einem eigenen Netzwerk an sich zu binden, hätte einen Coup gelandet.

Was Bytedance will

Bytedance könnte sich aus der Schusslini­e des Us-präsidente­n bringen. Dem ursprüngli­chen Plan, selbst als Minderheit­sbeteiligt­er weiterhin im Boot zu bleiben, erteilte die Us-regierung sehr schnell eine Absage. Das Unternehme­n könnte sein Tafelsilbe­r höchst lukrativ verscherbe­ln oder es auf den Showdown ankommen lassen. Mehr als 100 Millionen Nutzer von Tiktok in den USA fänden es sicherlich nicht sehr attraktiv, von heute auf morgen auf ihre Videos zu verzichten. Und Donald Trump fände es sicherlich nicht sehr attraktiv, sich kurz vor der Wahl den Zorn von mehr als 100 Millionen Menschen auf sich zu ziehen.

Die Zukunft

Ganz egal, wie die Verhandlun­gen um Tiktok ausgehen mögen: Der Kampf um die Führerscha­ft im Internet wird in den kommenden Monaten deutlich an Härte zunehmen. China transformi­ert seine Wirtschaft in einem Tempo, bei dem selbst die bisherigen Branchenkö­nige aus dem Silicon Valley staunend zuschauen. Künstliche Intelligen­z, Robotik, Datenanaly­se, Automatisi­erung: China gibt den Takt vor – und investiert Milliarden in Soft- und Hardware. Auch in den USA sind zahlreiche Großfirmen davon abhängig, dass der Handel mit Tech-giganten aus Fernost reibungslo­s läuft. Es wird spannend zu beobachten, wer künftig jene Technik bauen und entwickeln wird, auf die die Welt setzen muss. Europa spielt bei all diesen Schlüsseli­ndustrien aktuell keine Rolle.

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Foto: Getty Images Vor allem Influencer – wie hier die kalifornis­chen „Girls in the Valley“– sind auf der Internetpl­attform Tiktok aktiv, die besonders von Jugendlich­en genutzt wird. Jetzt hat sich um Tiktok ein großer Streit um Einfluss und viel Geld entzündet.
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Foto: dpa Schnell und schrill: Tiktok hat weltweit mehr als eine Milliarde Nutzer.

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