Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Der Wolf hat die Scheu verloren“
Ein Jäger und ein Förster berichten über ihre Erkenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit dem Raubtier sowie die Debatte über dessen Speiseplan
Augsburg Hubert Witt ist häufig in der Dunkelheit auf Pirsch. Der Pächter eines rund 1000 Hektar großen Jagdreviers im Landkreis Elbeelster in Südbrandenburg spricht aus Erfahrung. Immer wieder begegnet er auf seinen nächtlichen Streifzügen Wölfen. Und dies sei alles andere als angenehm, sagt Witt. „Weil das Raubtier die Scheu vor dem Menschen verloren hat.“
58 Wolfsrudel sind in Brandenburg bestätigt, dazu alleine umherstreifende Tiere, die auch über die Grenze nach Sachsen wechseln. In Witts Revier selbst leben ein Rudel mit fünf Wölfen, ein Pärchen und zwei Einzelgänger. Und die Auswirkungen sind enorm.
Witt spricht für die rund 28000 Hektar große Hegegemeinschaft Grünhaus, ein Zusammenschluss von 39 Jagdbezirken, deren Vorsitzender er ist. Seit der Wolf hier heimisch ist, hat sich viel verändert. Wurden früher 350 Stück Rotwild im Jahr erlegt, sind es heute noch 68. Der Rehwildbestand wurde um 50 Prozent reduziert, Damwild gibt es kaum noch und das Muffelwild ist verschwunden. Alleine das Schwarzwild trotzt dem großen Beutegreifer. „Die Wildschweine schließen sich zu großen Rotten mit bis zu 100 Sauen zusammen. Und da traut sich selbst der Wolf nicht ran.“Die Abschusspläne für Rot- und Rehwild seien der Situation inzwischen zwar angepasst. „Doch“, sagt Witt, „viel zu spät.“
Dabei beschränkt sich der Wolf bei der Nahrungssuche nicht nur auf Wildtiere. In Lugau, einem 450-Einwohner-ort, in dem der Bayer Witt zu Hause ist, wurden zuletzt drei Schafe, ein Rind und sogar ein Pferd gerissen. Auch Ziegen holte sich das Raubtier aus einem Gatter, obwohl es mit einem 1,60 Meter hohen Zaun gesichert war. Die Hälfte der Schäfer hätten in der Region inzwischen aufgegeben, sagt Witt. „Dabei sind die Weiden mit großem Aufwand geschützt.“
Die Ausführungen Witts sind deshalb interessant, weil auch in Bayern die Diskussion um die Rückkehr des Räubers neu entfacht ist. Erst vor kurzem wurden in Igenhausen (Landkreis Aichachfriedberg) sieben Schafe gerissen. Aufnahmen einer Wildkamera deuten auf einen Wolf als Täter hin. Der Csu-bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein (Kreis Günzburg) nahm den Vorfall zum Anlass, die hohen Abschusspläne für Rehwild infrage zu stellen. „Wenn der Wolf im Wald nichts zu fressen findet, holt er sich das, was auf der Weide ist“, sagte Nüßlein, der auch Jagdpächter ist. „Wer dem Wild einseitig die Schuld an Problemen bei der Waldverjüngung zuweist und für dessen massive Dezimierung plädiert, entzieht dem Wolf die natürliche Nahrungsgrundlage und erhöht den Wolfsdruck auf die Weidetierhaltung.“
Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat dieser Meinung entschieden widersprochen. Die Idee laufe ja darauf hinaus, überhöhte Wildbestände im Wald zugunsten des Wolfes vorzuhalten, hieß es aus dem Ministerium. Gerade in Zeiten des Klimawandels seien angepasste Wildbestände unabdingbar, um für die kommenden Generationen zukunftsfähige Wälder zu erhalten.
Nachweise von Wölfen gibt es auch auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels in der Oberpfalz. Der stellvertretende Leiter des Bundesforstbetriebs, Manfred Kellner, sieht das zwischenzeitliche Auftreten von Meister Isegrim positiv. „Wir hatten keinerlei Zwischenfälle“, sagt Kellner. Der Wolf habe sich ausschließlich an das dort stark verbreitete Rotwild gehalten. Schafe, die ebenfalls auf dem Truppenübungsplatz grasen, seien nicht gerissen worden. „Wir haben die Schäfer frühzeitig auf die Situation vorbereitet.“Das vom Wolf getötete Rotwild sei nur ein verschwindend geringer Anteil der Abschusszahlen gewesen. Kellner: „Wir freuen uns, wenn der Wolf da ist.“
Christine Miller hat an einem Forschungsprojekt für die Universität für Bodenkultur Wien mitgearbeitet, das sich unter anderem mit dem Thema Wolf und Schalenwild befasste. Dabei kam die Wildbiologin aus Rottach-egern zu dem Schluss, dass eine natürliche Beutebasis enorm wichtig ist. „Wenn Schalenwild in Gebieten, in denen Wolf und Luchs vorkommen, permanent reduziert wird, verstößt dies gegen die Ffh-richtlinie.“
Der Bund Naturschutz in Bayern hat die Rückkehr des Wolfes stets begrüßt und von einer Erfolgsgeschichte gesprochen. Wichtig sei jedoch auch die Unterstützung der Weideviehhalter, sagt Artenschutzreferent Kai Frobel. Die müsse flächendeckend sein und dürfe nicht nur dort greifen, wo gerade ein Wolf auftaucht. Die Zahl der Schafhalter habe sich seit 1988 von 14500 auf heute 6600 nahezu halbiert. Frobel: „Wir brauchen eine staatliche Förderung für Schutzmaßnahmen. Und zwar nicht nur für Investitionen, sondern auch für laufende Kosten.“