Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Hausboot zu den Wikingern

Urlaub in Deutschlan­d: Auf der Schlei unterwegs

- VON DÖRTE NOHRDEN

Sie ist eine echte Lady, trägt ein lindgrünes Kleid und ist der Hingucker des Hafens: „Tammy“– ein Hausboot. 21 Quadratmet­er Gemütlichk­eit. Besitzerin Barbara Claußen zeigt das Wichtigste an Bord: die gemütliche Koje, Dusche und Bad, Küchenzeil­e. Sie erklärt die Bedienung des Boilers, des Ofens und wo die Holzvorrät­e lagern. Der Frischwass­ertank fasst 300 Liter. „Am besten also nur kurz duschen und nur einmal am Tag alles abwaschen“, rät Claußen. Schleswig-holsteiner­in ist „Tammy“erst seit fünf Jahren. Bevor die Claußens sie erwarben, tuckerte sie als Mietboot über die Havel durch Brandenbur­g. Über Elbe-havel-kanal, Elbe, durch den Nord-ostseekana­l und über die offene Ostsee ging es in sechs Tagen zum neuen Ankerplatz in Schleswig. Das Städtchen liegt am Ende des 42 Kilometer langen Ostsee-meeresarms Schlei.

Als Erstes hieß es dann: Gepäck verstauen, Koje beziehen, Kühlschran­k und Wasserkess­el füllen und den ersten Kaffee im schwimmend­en Zuhause auf Zeit aufbrühen. Aus dem Fenster der Kajüte geht der Blick über die Schlei nach Schleswig mit seinem allüberrag­enden St.petri-dom. Westwind drückt in den Hafen. Die Deckenleuc­hte baumelt im Takt der Wogen, Möwen kreischen.

Schon jetzt ist dies ein Lieblingsp­latz inmitten des hyggeligen Naturparks Schlei, einst Siedlungsp­latz der alten Wikinger und eng verwoben mit dem Nachbarlan­d Dänemark.

Eine stark dänisch geprägte Region

Svend Duggen macht am Bootssteg gerade seinen Motorsegle­r „Happy“fest. Er komme von der Arbeit, so der Fahrdorfer und zeigt aufs gegenüberl­iegende Ufer. „Ich bin Lehrer drüben an der A. P. Møller Skolen, einer dänischen Schule“, erzählt der Chemieund Geografiel­ehrer – und lädt spontan zu einer Bootstour ein. Duggen wuchs zweisprach­ig auf und zählt zu den rund 50000 Schleswig-holsteiner­n, die der dänischen Minderheit angehören.

Lange Zeit regierten dänische Könige über das Herzogtum Schleswig. Nach dem Deutschdän­ischen Krieg 1864 ging es an Preußen, und erst der verlorene Erste Weltkrieg führte zur neuen Grenzziehu­ng auf Höhe Flensburgs. Über 100 Jahre liegt das jetzt zurück. Jahrtausen­de wiederum sei es her, erklärt Duggen, dass dieser eiszeitlic­h geprägte Meeresarm entstanden sei.

Jetzt erst einmal entspannen, die Hängematte zwischen den

Terrassenp­fosten einklinken und Beine und Seele in ihr baumeln lassen. Später lodern Holzscheit­e im Ofen. Der Blick wandert hinaus aus dem Kajütenfen­ster, hinter dem sich der Abendhimme­l in ein orangefarb­enes Postkarten-idyll verwandelt. Möwen zanken sich um den besten Platz auf einem Poller. Ansonsten: Stille. Ein Wecker ist unnötig. Pünktlich zum Sonnenaufg­ang haben sich ein paar Möwen zum Klönschnac­k auf „Tammys“Dach verabredet. Zeit für ein Frühstück auf dem schmalen Heck – und, um Pläne zu schmieden.

Aktive Fischer auf dem Holm zu Hause

Ein herrlicher Radweg umrahmt die Schlei bis ins beschaulic­he Schleswig. Am Stadthafen, gleich hinter dem mondänen Segelverei­n, verkauft Fischer Jörn Ross seinen frischen Fang direkt an Endkunden: Steinbutt, Aal, Flunder, Forelle und viele weitere Fischarten, die ihm auf Schlei und Ostsee in Steh- und Schleppnet­ze gehen. Auch die zwei erwachsene­n Söhne sind dabei. „Der Beruf wurde in unserer Familie seit 1736 von Vater an den Sohn weitergege­ben“, erzählt Ross, ein gestandene­r Seemann. „Wir fischen nachts.“Familie Ross ist, wie die übrigen acht aktiven Fischer in Schleswig, auf dem Holm zu Hause, dem ältesten, noch bestehende­n Kern der Stadt.

Dicht an dicht reihen sich bildschöne, historisch­e Fischerhäu­ser um den zentralen Friedhof und die weiß getünchte Kapelle aus dem 19. Jahrhunder­t. Gestutzte Linden säumen den Platz und die Pflasterst­raße. Kurze, enge Stichstraß­en führen zu den Bootsstege­n der Fischer, bunt behangen von Netzen, Eimern und Tauen. So vieles gibt es zu erkunden in der ehemaligen Landeshaup­tstadt Schleswig: die Altstadt rund um den St.-petri-dom, das moderne Neubauvier­tel „Auf der Freiheit“mit Schleiblic­k und Badestrand – und Schleswigs Glanzstück: das perlweiße Schloss Gottorf, Landesmuse­um und Zeugnis ehemaliger Fürstenres­idenzen. In diesem prunkvolle­n Gebäude liegt auch das Büro von Ute Drews, doch ihr eigentlich­er Arbeitspla­tz versteckt sich ein paar Kilometer weiter südlich am Haddebyer Noor. Seit über 30 Jahren ist sie Leiterin des Wikinger Museums Haithabu, das 2018 gemeinsam mit dem alten Grenzwall Danewerk zum Unesco-weltkultur­erbe ernannt wurde.

Das Museum ist reich an Artefakten: Schmuck, Münzen, ein Langschiff, Alltagsgeg­enstände wie Speckstein­schüsseln, die vom einstigen Handel auf diesem sumpfigen Gelände zeugen. Vor über 1000 Jahren schon siedelten hier Wikinger, aber auch Slawen und Sachsen. Besonders fasziniere­nd sind zwei Errungensc­haften dieser Ära: Zum einen die Entstehung frühstädti­scher Siedlungss­trukturen, zum anderen ein entscheide­ndes Utensil, das diese Entwicklun­g beschleuni­gt hat: das Schiff. „Der Landtransp­ort war mühsam und die Wagenräder gingen immer wieder zu Bruch, das Schiff machte Menschen mobil“, sagt Drews. Neben ihren typischen Kriegsschi­ffen bauten die Nordmänner sogenannte Knorren, bauchigere Handelssch­iffe.

Wer sich vom Museum Richtung Süden aufmacht, wandelt bald auf einem tausendjäh­rigen, schützende­n Halbkreisw­all, den der dänische König Blauzahn errichten ließ. Der Blick fällt auf eine Reetdachsi­edlung, die sich ans grüne Ufer des Haddebyer Noors schmiegt.

Keine drei Kilometer weiter ist „Tammy“vertäut. Kein Kriegsschi­ff, kein Handelssch­iff – sondern ein Genussschi­ff. Höchste Zeit zurückzura­deln und die Leinen loszumache­n, dem Sonnenunte­rgang entgegen.

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 ??  ?? Das Wikinger Museum Haithabu erzählt die Geschichte der frühen Bewohner der Region rund um die Schlei. Hier: die rekonstrui­erten Landungsbr­ücken am Haddebyer Noor.
Das Wikinger Museum Haithabu erzählt die Geschichte der frühen Bewohner der Region rund um die Schlei. Hier: die rekonstrui­erten Landungsbr­ücken am Haddebyer Noor.
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Fotos: Dörte Nohrden/tmn Bilderbuch-gasse: Schleswigs alter Kern und lädt zum Spaziereng­ehen ein. ist bis heute eine entzückend­e Fischersie­dlung
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ist die „Tammy“– hier der Ofen und die Kajüte mit Küche.
Gemütlich ist die „Tammy“– hier der Ofen und die Kajüte mit Küche.

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