Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Druck essen Seele auf
Der reife Franz Beckenbauer hat seiner nachrückenden Spielergeneration den dringenden Rat erteilt, keinen Tag früher als nötig die Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. Beckenbauer war 37, als er in Rente ging. Angemessen für einen Helden seiner Tage, zu früh für den Kaiser in einer Zeit, in der man Work-life-balance noch für eine amerikanische Kinderschaukel hielt. Damals galt: Spielen bis die Knorpel abgelaufen und die Knochen aufgescheuert waren. Nur keinen Tag der Karriere herschenken. Warum auch? Auf den ehemaligen Bundesliga-star warteten Kinder, mit denen er nichts anzufangen wusste, die Lotto-totto-geschäftsstelle oder das Nichts. Also haben sie weitergespielt, bis sie nicht mehr mithalten konnten.
Druck? Privatsache. Wiewohl es ihn gab. Die Bundesliga war vom ersten Spieltag an eine Leistungsgesellschaft. Nur mochte sich ihr keiner aus freien Stücken beugen. Die Konkurrenz musste einen abhängen, schwindelig spielen, aus der Mannschaft rotieren lassen – erst dann war Zapfenstreich.
Aber weder Per Mertesacker, noch Benedikt Höwedes und erst nicht Andre Schürrle, 33, 32, 29, allesamt Weltmeister, waren zu alt oder zu gebrechlich, um ihre Karriere nicht noch ein paar Spielzeiten fortzusetzen. Mag sein, dass es nicht mehr für einen Top-klub gereicht hätte, aber für ein hübsches Fitness-programm in der zweiten Liga allemal. Andererseits, wer möchte noch am Hausberg klettern, wenn er im Himalaja unterwegs war? Es ist ein Abstieg, mit allem im Gepäck, was man hinter sich lassen möchte. Das ewige anlaufen und hängen bleiben. Immer nur über den Fußball definiert zu werden und vielleicht gar nicht spielen zu können. An sich zu zweifeln und irgendwann zu verzweifeln. Dauerdruck frisst die Seele auf. Die Millionengehälter sind für vieles gut, der Seele helfen sie nicht. Die meisten Spieler fühlen sich im Profifußball wohl, etliche leiden still und einige erzählen nach ihrer Karriere davon. Entscheidend ist: Sie haben das Gefühl, dass eine bessere Zeit auf sie wartet.
Einer wie Schürrle sieht seine Spielerkarriere nur als eine Phase seines Lebens, Höwedes freut sich auf mehr Zeit mit Frau und Kind, und Mertesacker leitet die Fußballakademie des FC Arsenal. So wie es aussieht, ist keiner einen Tag zu früh gegangen.