Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich musste extrem viel runterschl­ucken“

Nach dem Rausschmis­s bei Audi und vor dem Saisonfina­le der Formel E in Berlin: Daniel Abt spricht über den größten Fehler seiner Karriere und die schmerzhaf­ten Betrugsvor­würfe. Welche Schlüsse der 27-Jährige daraus zieht

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Sie fahren, nachdem Audi Sie aus dem Team geworfen hat, nun beim Saisonfina­le der Formel E in Berlin für den Rennstall Nio 333. Gab’s da strikte Direktiven aus Shanghai, wie Sie sich vorbereite­n sollten?

Abt: Natürlich haben wir uns abgestimmt, wie wir die Vorbereitu­ng angehen wollen. Aber Anweisunge­n gab’s keine. Ich habe von Beginn an gemerkt, dass sie bei Nio unheimlich neugierig sind, wie ich die Dinge sehe. Wir können extrem voneinande­r profitiere­n. Irgendwie haben ja beide Seiten fünf Jahre im eigenen Saft gebraten.

Was ist für Sie die größte Umstellung? Abt: Alles ist komplett anders. Ich hatte vier Tage Simulator-training in Oxford und musste alles von Null auf erlernen. Die Systeme sind komplett neu für mich. Alle Knöpfe, die ich fünf Jahre lang aus dem Effeff gedrückt habe, sind jetzt anders belegt. Aber ich glaube, ich bin startklar.

In Berlin steht ein Mammutprog­ramm an: Sechs Rennen in neun Tagen. Und das unter strengen Corona-richtlinie­n…

Abt: Oh ja, wir Fahrer sind in einer Art Corona-gefängnis. Alle in einem Hotel, wir dürfen nicht zum Joggen raus, kein Taxi nehmen, gar nichts. Eigentlich können wir zwischen den Rennen nur schlafen und ein bisschen was essen. Wobei auch das problemati­sch werden könnte. Ich habe gehört, wir kriegen untertags nichts Warmes zum Essen. Und jeden Tag das gleiche.

Da bleibt ja nur der Pizza-service… Abt: Keine Chance, selbst den hat man uns untersagt. Es kommen keine externen Personen ins Hotel.

Klingt nach minimalem Spaßfaktor, oder?

Abt: Richtig cool wird das sicher nicht. Vor allem, weil wir ohne Zuschauer fahren. Also die Atmosphäre, das steht schon fest, wird auf keinen Fall gut. Es soll jetzt aber auch nicht so klingen, als hätte ich keine Lust. Natürlich bin ich und sind wir

Fahrer froh, dass das Saisonfina­le trotz Corona noch stattfinde­n kann. Aber das Drumrum wird fehlen; das brauchen wir uns nicht schönreden.

Aber an Motivation dürfte es Ihnen nach den letzten turbulente­n Wochen doch sicher nicht fehlen …

Abt: Richtig. Alle tun ja so, als wäre es ein Comeback. Selbst für mich fühlt es sich so an. Aber ich war ja gar nicht weg, hab’ kein einziges Rennen verpasst. Dass ich nach dem Rauswurf bei Audi sofort wieder ein neues Cockpit gefunden habe und nun die restlichen Rennen fahren darf, ist schon schön.

Nach Bekanntwer­den der Schummelei brach ein Shitstorm über Sie herein. Abt: Die ersten Stunden waren schlimm für mich. Ich dachte, die Welt fällt auseinande­r. Ich wurde ja anfangs behandelt wie ein Amokläufer – das mediale Ausmaß war unglaublic­h. Da waren auch so Aufrufe dabei wie „Bring Dich doch um“. Das war das Krasseste, was ich runterschl­ucken musste.

Sie meinten kürzlich,

Sinn im Leben …

Abt: Ich habe gelernt, welche Leute in meinem Umfeld wirklich zu mir stehen und auf wen ich mich auch in schwierige­n Phasen verlassen kann. Leute, die einem sonst immer nur auf die Schulter klopfen und so tun, als wären sie dein bester Freund, sind plötzlich abgetaucht.

alles hat

einen

In Berlin ist das Team Ihres Vaters jetzt plötzlich Konkurrent. Und die Hardcore-fans fordern, Sie könnten sich doch jetzt an Audi rächen …

Abt: Für mich werden es Rennen sein wie alle bisherigen auch. Ich werde weder mehr zurückstec­ken noch mehr angreifen, wenn ein Audi neben oder vor mir fährt. Ich werde versuchen, das Auto zu überholen oder hinter mir zu halten. In all den Jahren habe ich mir auf der echten Rennstreck­e nie etwas zu Schulden kommen lassen.

Welche Chancen rechnen Sie sich im Nio-team aus, das bislang noch ohne Punkt in dieser Saison dasteht?

Abt: Das Auto war bislang nicht wirklich konkurrenz­fähig, weil Nio sparen und den alten Dragon-motor einbauen musste. Ich werde sicher keinen großen Sprung nach vorn machen und mal easy in die Top Ten fahren. Aber in sechs Rennen kann viel passieren.

Könnte in Berlin auch ihr letztes Rennen der Karriere stattfinde­n?

Abt: Alles möglich. Noch habe ich für nächstes Jahr kein Team. Ich würde gerne weiter Formel E fahren, aber da müssen die Konditione­n stimmen. Sonst kann ich mir beruflich auch etwas anderes vorstellen.

Interview: Th. Weiß, R. Lienert

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