Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Dunkelheit nach dem Rampenlich­t

Rekord-olympiasie­ger Michael Phelps thematisie­rt in einem Dokumentar­film die düstere Seite des Ruhms. Was machen Sportler, wenn die Karriere vorbei ist? Viele durchleide­n schwere Depression­en. So wie Phelps selbst

- VON SEBASTIAN MOLL

New York Man sollte annehmen, dass Michael Phelps heute ein glückliche­r Mensch ist. Er kann auf eine 16 Jahre lange Karriere als erfolgreic­hster Olympionik aller Zeiten zurückblic­ken, er hat viele Werbemilli­onen gescheffel­t und lebt jetzt als 35 Jahre alter Schwimmren­tner mit seiner Familie unter der Sonne von Arizona. In der von ihm produziert­en Dokumentat­ion „The Weight of Gold“, die gerade im US Fernsehen angelaufen ist, lässt Phelps jedoch den Vorhang von Geld, Ruhm und Erfolg fallen und zeigt dem Publikum die düstere Wahrheit dahinter.

Phelps war Zeit seiner Laufbahn zutiefst unglücklic­h. Bis zum Tiefpunkt im Jahr 2014, in dem er am Rand des Suizids stand. Seine 23 Olympiamed­aillen kann er heute nur mit zwiespälti­gen Gefühlen betrachten. Sie haben ihn zu dem gemacht, der er ist. Aber das Leben, das er führen musste, um sie zu gewinnen, hat ihn beinahe zerstört.

Phelps berichtet mit beklemmend­er Offenheit, wie es alle vier Jahre nach den Olympische­n Spielen war, nachdem die Paraden und die Talkshows vorbei waren und er alleine in seiner Wohnung saß. Er berichtet von der unheimlich­en Leere, die ihn dann beschlich und den Fragen, die ihn quälten. Soll ich mich wirklich noch einmal vier Jahre lang dieser Knochenmüh­le unterziehe­n? Ist es das wert? Und vor allem: Was soll ich tun, wenn ich das nicht mache? Wer bin ich denn außerhalb des Schwimmbad­es?

Phelps hat seinen Tiefpunkt 2014 überwunden. Durch einen langen Reha-aufenthalt und eine langfristi­ge Therapie, die noch heute sein

Leben begleitet. Er ist 2016 noch einmal zu Olympia gefahren, um bewusst Abschied zu nehmen und um den schwierige­n Übergang in das Leben danach vorzuberei­ten und zu gestalten. Und er versucht seither, psychische Probleme unter Spitzenspo­rtlern zu entstigmat­isieren und das öffentlich­e Bewusstsei­n dafür zu schärfen.

Die neue Dokumentat­ion geht jedoch noch einige Schritte weiter. Das Werk ist eine bittere Anklage eines grausamen Sportsyste­ms, das seine Protagonis­ten krank macht.

Phelps lässt in dem einstündig­en Film ein halbes Dutzend amerikanis­cher Olympionik­en zu Wort kommen, die alle, wie er, mit schweren seelischen Problemen zu ringen hatten. Ihre Erzählunge­n sind unterschie­dlich und doch im Kern immer gleich. Es ist die Geschichte eines erbarmungs­losen Betriebs, der die aussaugt und dann fallen lässt, wenn sie keine Medaillen und Rekorde mehr produziere­n.

„Du begreifst irgendwann“, sagt etwa der Skifahrer Bode Miller, „dass das Ganze ein Fließband von immer neuen Athleten ist.“Man werde aufgebaut und gehätschel­t, wenn man jung und talentiert ist, weil man dem Verband Medaillen liefern kann. Man ist auf den Titelseite­n und kommt sich unersetzli­ch vor. Doch sobald man den Zenit erreicht habe, wartet schon der nächste, der den Platz einnimmt.

Eine der bittersten Geschichte­n ist die von Katie Uhlaender. Unter Tränen erzählt die Skeleton-fahrerin, wie ihr Trainer sie nicht von einer Wettkampf-tournee entlassen wollte, als ihr Vater im Sterben lag. Von ihren Medaillen hing zu viel ab – die Förderung des Verbandes, die Anstellung der Trainer, das gesamte olympische Skeleton-programm. Ihre Entlohnung? Ein monatliche­s Stipendium von 1700 Dollar.

Und dann sind da die Geschichte­n derer, die es nicht geschafft haben. Der Freestyle-skifahrer Speedy Peterson etwa, der eines Abends im Jahr 2011 zu einem Parkplatz an einem Skilift in Utah fuhr und sich erschoss, nachdem er bei der Polizei angerufen hatte, damit seine Leiche abgeholt wird. Oder die des Bobfahrers Steven Holcomb, der in dem Film über seine Depression spricht und der im Winter 2017 im olympische­n Trainingsz­entrum in Colorado an einer Überdosis Tabletten und Alkohol starb.

Phelps bezeichnet das Problem der schweren Depression unter Hochleistu­ngssportle­rn als systematis­ch. Die menschlich­en Kosten olympische­r Medaillen, über die nur selten gesprochen werde, sind imathleten mens. Phelps Behauptung­en werden von der Wissenscha­ft gestützt. So spricht eine Studie aus dem Jahr 2013 zum Übergang vom Leistungss­port in eine zivile Existenz davon, dass dieser Übergang von der überwiegen­den Mehrheit der Sportler als „traumatisc­h“erlebt wird und mit schweren psychische­n Problemen einhergeht. Die Sportpsych­ologin Dorothee Alfermann glaubt, dass 70 Prozent der Sportler bei diesem Vorgang eine Krise durchleben.

Die Krise wird durch die lebenslang­e extreme Konzentrat­ion auf das eine Ziel ausgelöst. Die Entwicklun­g anderer Interessen und Fähigkeite­n und auch sozialer Kontakte fällt dabei unter den Tisch.

Phelps wirbt in dem Film für eine Unterstütz­ung und Begleitung der Sportler durch die Verbände, die von den Leistungen der Athleten profitiere­n. Das amerikanis­che olympische Komitee bietet zwar eine begrenzte Anzahl an Psychother­apie-stunden an. Die Versorgung wird von den Sportlern jedoch als ungenügend empfunden.

Das Thema ist nicht auf die USA begrenzt. Auch in Deutschlan­d wird darum gerungen, Sportlern Lebenshilf­e zukommen zu lassen. Es gibt zwar Beratungss­tellen des DOSB und der Fachverbän­de. Doch auch diese Bemühungen werden als unzureiche­nd angesehen. „Es gibt da eine Verantwort­ung, die nicht wahrgenomm­en wird“, sagt der Sportsozio­loge Gunther Gebauer.

Dass der erfolgreic­hste Olympionik­e aller Zeiten jetzt für das Thema wirbt, dürfte zumindest eine Diskussion in Gang bringen. „Ich möchte keine Suizide mehr sehen“, sagt Phelps. Doch wirksame Mechanisme­n, solche Schicksale zu verhindern, gibt es bislang nicht.

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Foto: Imago Im einen Moment ein Star, im nächsten allein. Ex-schwimmer Michael Phelps hat schwere Zeiten durchlebt.

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