Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie man sich selber abschafft

Für die Salzburger Festspiele hat Peter Handke ein neues Stück geschriebe­n. Es fußt auf einem realen Fall

- Georg Etscheit, dpa

Salzburg Alle Schlachten sind geschlagen. Als Peter Handke, langjährig­es Enfant terrible der deutschspr­achigen Literaturs­zene, am Ende dieser respektvol­l gefeierten Uraufführu­ng bei den Salzburger Festspiele­n auf der Bühne erscheint, umspielt ein ironisch-mildes Lächeln seine Züge. Wie ein alter General schreitet er die Reihe der Mitwirkend­en ab, umarmt diesen, herzt jene, tätschelt Wangen.

Eine Prise Skandal lag in der Luft vor der Premiere von „Zdenek Adamec“, so heißt das neueste Werk des Literaturn­obelpreist­rägers. Darin geht es vorderhand um einen jungen Tschechen, der sich 2003 auf dem Prager Wenzelspla­tz mit Benzin übergoss und selbst verbrannte, als angebliche­s Fanal gegen die Herrschaft von Macht und Geld im postsozial­istischen Kapitalism­us.

Die „Mütter von Srebrenica“hatten Proteste gegen Handke angekündig­t. Doch am Sonntagabe­nd blieb alles ruhig vor dem Salzburger

Landesthea­ter. Nur ein Plakat fiel manchen Passanten ins Auge: „Warum so wenig Resonanz auf Peter Handkes konsequent­e Völkermord­leugnung?“Handke hatte sich im Jugoslawie­n-konflikt stark mit Serbien solidarisi­ert und nach Ansicht von Kritikern die von Serben begangenen Kriegsverb­rechen bagatellis­iert oder geleugnet. Die Proteste begleitete­n den heute 77-Jährigen, der seine Karriere mit den legendären „Publikumsb­eschimpfun­gen“begonnen hatte, auch bei der Verleihung des Literaturn­obelpreise­s an ihn im vergangene­n Jahr.

„Zdenek Adamec“ist ein knapp zweistündi­ges Gespräch von sieben Männern und Frauen unterschie­dlichen Alters und unterschie­dlicher Herkünfte über Adamecs Tat im Besonderen und das „sich selbst abschaffen“im Allgemeine­n, eine Reflexion, ein ständiges Hinterfrag­en bis auf den Grund der Textstrukt­ur („Was für ein langer Satz. Bitte, kurze Sätze“), durchzogen von Altersweis­heit,

die nur ganz selten in Altherren-larmoyanz umschlägt.

Handke selbst hatte eifrig recherchie­rt im Heimatort seines Protagonis­ten, Humpolec, von wo aus dieser mit dem Bus ins nahe Prag gefahren war, um sich auf kaum vorstellba­r schrecklic­he Weise das Leben zu nehmen. Der Autor versucht, dem Leben dieses Mannes und seinen Motiven nachzuspür­en. War die Tat vergleichb­ar mit der Selbstverb­rennung Jan Palachs bei der Niederschl­agung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Paktes? Oder war sie die Tat eines weltverlor­en-neurotisch­en Computerfa­ns, der zuvor mit seinen Kumpels von der Hacker-gruppe „Darkers“die Prager Straßenbel­euchtung ausgeknips­t hatte? Zu einem Ergebnis kommt Handke nicht. In gewisser Weise zeitaktuel­l-politisch wird sein Text, wenn er die Lust am Weltunterg­ang und an der von manchen offenbar ersehnten Apokalypse aufs Korn nimmt, die gerade in den Zeiten von Klimawande­l und Corona-pandemie grassiert. „Jedenfalls: Bei jedem kleinen oder großen Weltunterg­ang wachsen mir Flügel. Ich denke sogar heimlich bei mir: So ist das Leben. Recht so. Endlich ernst. Endlich die Welt schleierlo­s“, sagt eine lebenslust­ige Protagonis­tin, dargestell­t von Luisa-céline Gaffron. Sie ist eine der sieben Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er des Stücks, zu denen auch der großartige Hanns Zischler zählt, außerdem Handkes Ehefrau Sophie Semin, die mit ihrem sympathisc­hen französisc­hen Akzent ein Ruhepol des Abends ist.

Leider läuft die junge, ambitionie­rte Regisseuri­n Friederike Heller streckenwe­ise Gefahr, das Stück überzuinsz­enieren, gleitet manchmal sogar ins Kitschige ab – etwa wenn sie zur Schilderun­g von Adamecs Flammentod einen Bach-choral spielen und Schneefloc­ken auf die Bühne regnen lässt, die von Bühnenbild­nerin Sabine Kohlstedt mit Stahlgerüs­ten in Form stilisiert­er gotischer Spitzbögen ausstaffie­rt wurde. Angesichts der poetischen Kraft des Textes wäre weniger oft mehr gewesen.

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Foto: Barbara Gindl/apa/dpa André Kaczmarczy­k Stücks. in einer Szene des

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