Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (17)
In die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
Wer in Damaskus vom Gehalt leben und eine Familie ernähren musste, kam, wenn er zwei Jobs nicht durchhielt, zu Lebzeiten nicht von seinen Schulden herunter. Bestechlichkeit ist in diesem System mit eingebaut, egal wer regiert, dachte er. Darin liegt die Misere.
Barudi verdiente etwa so viel wie ein Professor an der Universität, aber viele Professoren arbeiteten nebenher für Firmen, als Übersetzer oder Gutachter oder unterrichteten in Privatschulen die Söhne und Töchter der Reichen. Welche Arbeit aber sollte ein Kommissar nebenberuflich verrichten? Vielleicht selbst kleine Gauner anheuern, sie verhaften, die Belohnung einheimsen und sie bald wieder freilassen?
Sein früherer Chef Kuga, der ihn vor über dreißig Jahren an die jordanische Grenze hatte strafversetzen lassen, tat später genau dies, vielleicht weniger aus Not, sondern aus Eitelkeit, weil er in seinem Spatzenhirn fürchtete, eine friedliche Gesellschaft mache die Kriminalpolizei überflüssig. In jener Phase der Geschichte waren die Damaszener sehr friedlich, schliefen bei offenen Haustüren. Das empfand Kuga, inzwischen Major und Leiter der Kriminalpolizei, als Bedrohung seines Ansehens und seiner Arbeit. Er ließ kleine Banden Einbrüche und Diebstähle begehen, Betrügereien durchführen und mit Haschisch handeln, alles sogenannte „leichte Verbrechen“.
Kuga verbot den Gaunern, jemanden zu töten oder harte Drogen zu verkaufen. Nur Haschisch durften sie an den Mann bringen, denn er war überzeugt, dass Haschisch harmlos war. Er rauchte jeden Abend seine Shisha mit Haschisch nach dem Dienst.
Das Ganze war ein Theater, und er, Kuga, war der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Personalunion. Er genoss es, den einen oder anderen Gauner verhaften zu lassen. In der Presse hieß es dann, er habe einen Drogen-, Einbrecheroder Fälscherring zerschlagen. Major Kuga bekam viel Lob und vom Innenminister einen Orden.
Die Strafen fielen milde aus. Und vom Raubgut bezahlte er den Gaunern, während sie im Gefängnis waren, sogar kleine Gehälter. Das ging so lange gut, bis ein gieriger Gauner einmal mehr wollte und dafür kein Geld, sondern eine Tracht Prügel bekam. Da lief er geradewegs zu einem bekannten strengen Richter und legte dort eine lange Beichte ab. Am nächsten Tag wurde Kuga entlassen, und nach einem halben Jahr und einem zermürbenden Prozess beging er Selbstmord.
Barudi hatte keine illegalen Nebeneinkünfte. Er musste also gut haushalten, und er war Gott dankbar, dass er keine Kinder zu ernähren hatte.
„Hundertfünfzig Lira für einen Cappuccino! Das sind drei Dollar. Als ob die Gäste zu Hause eine Gelddruckmaschine besäßen“, brummte er, bevor er zu Fuß zur nahen Botschaft ging.
Dort angekommen, klingelte er. Ein Mann in dunkelblauer Uniform öffnete die Tür und musterte ihn misstrauisch.
„Guten Tag, Sie wünschen?“„Ich habe einen Termin mit dem Botschafter. Barudi, Kommissar Barudi ist mein Name.“
„Kommissar Barudi, ja, kommen Sie herein. Seine Exzellenz der
Apostolische Nuntius wartet auf Sie“, sagte der Mann und betonte den korrekten Titel seines Vorgesetzten. Ein höfliches Lächeln versuchte das strenge Gesicht für einen Moment zu überziehen, scheiterte aber kläglich.
Der Botschafter Mario Saleri saß an seinem prächtigen Schreibtisch, hinter ihm lächelte in Großformat Papst Benedikt von der Wand. Als Barudi den Raum betrat, stand der Mann mit den grauen Haaren auf und führte Barudi zu einer Sitzecke mit bequemen Sesseln und einem modernen Tisch aus dickem Glas. Barudi drückte dem Mann die Hand und übergab ihm dann etwas umständlich das Pistaziengebäck.
„Ah, Sie sind gut informiert“, sagte Saleri auf Arabisch, wobei der Akzent nicht zu überhören war.
Die Männer kamen rasch ins Gespräch. Der Botschafter war sehr höflich und entschuldigte sich dauernd für seine schlechte Aussprache, die Barudi nicht störte. Was er zu hören bekam, gefiel ihm allerdings weniger. Denn Saleri entzog sich geschickt den Fragen nach dem ermordeten Kardinal Cornaro und überging alle Schmeicheleien, die Barudi ihm auftischte. Dass er auf eine enge Zusammenarbeit mit der Botschaft setze und vom Innenminister persönlich beauftragt sei, alles dafür zu tun, diesen furchtbaren
Mord aufzuklären, und dass man noch gern an den historischen Besuch des Papstes Johannes Paul II. in Damaskus im Jahre 2001 zurückdenke.
Der Botschafter blieb stumm und antwortete nur knapp. Ja, der ermordete Kardinal Cornaro habe vor seiner Reise in den Norden fast zehn Tage in der Botschaft gewohnt. Nein, er wisse nicht viel über die Mission des Kardinals, nur dass er nach Derkas, ein Städtchen oder Dorf nahe Aleppo hatte reisen wollen, um eine renovierte Kirche einzuweihen. Nein, er habe ihn nicht begleiten können, nein, nein, Kardinal Cornaro habe das nicht gewünscht.
Ja, der Kardinal habe viele Gäste empfangen, Syrer und Italiener, Franzosen, Amerikaner … Der Botschafter langweilte den Kommissar mit der peniblen Aufzählung aller Botschafter, die Seiner Exzellenz, dem Kardinal Cornaro, die Ehre erwiesen hatten.
„Und? Hat denn keiner dieser Gäste den Kardinal gefragt, was er in Damaskus zu tun hatte?“, hakte Barudi fast empört nach.
Der Botschafter tat so, als bemerkte er den strengen Ton nicht. „Schon möglich, vielleicht hat der eine oder andere danach gefragt, aber ich weiß nicht, wer das war und was Kardinal Cornaro geantwortet hat. Wir respektieren hier die Privatsphäre.“
Das war eine deutlich kritische Anmerkung zu den Zuständen in Damaskus, aber Barudi fühlte sich nicht angesprochen. Er wurde selbst von den Geheimdiensten ausspioniert. Ein blasses Lächeln blitzte kurz über sein Gesicht und verschwand dann spurlos.
„Auch Ihr Patriarch Bessra und Bischof Tabbich waren bereits da“, hörte er dann den Botschafter leise, fast ironisch sagen. Barudi nahm erstaunt zur Kenntnis, dass Saleri wusste, dass er, Barudi, der melkitisch-katholischen Kirche angehörte. „Alle Achtung, Exzellenz“, sagte er in der Hoffnung auf ein freundlicheres und ergiebigeres Gespräch, „Ihre Informanten sind auch nicht schlecht.“
Der Botschafter zeigte keine Regung. „Man muss doch so weit wie möglich wissen, mit wem man spricht, und Sie sind in Damaskus ein berühmter Mann. Ein Mitarbeiter unserer Botschaft hat Sie sehr gelobt, weil Sie den Mord an seiner Cousine aufgeklärt haben. Er heißt Bassil Laham.“
Barudi erinnerte sich nicht an den Namen. Er nickte dankbar, doch auch dieses Gefühl erschien ihm später unangemessen, denn die Atmosphäre entspannte sich nicht.