Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
In gewissen Nöten
Mozart ist der Hausheilige der Salzburger Festspiele, gerade auch im hundertsten Jahr des Bestehens und trotz Pandemie. Aber ist die Neuinszenierung der „Così“auch jubiläumswürdig?
Salzburg Mozart und die Salzburger Festspiele – da sprechen allein die Zahlen für sich. In hundert Jahren Festspielgeschichte hat es 291 Einstudierungen seiner Opern gegeben, das ist Rekord. Aber wie sollte es auch anders sein bei einem Festival, über dem seit jeher der Genius loci des gebürtigen Salzburgers Wolfgang Amadeus schwebt und das einen maßgeblichen Impuls zu seiner Gründung vor hundert Jahren dem Wunsch nach institutionalisierter künstlerischer Mozart-pflege verdankt.
Somit steht außer Frage, dass in Salzburg kein Festspieljubiläum ohne Mozart auskommen kann, schon gar nicht, wenn es sich, wie in diesem Jahr, um eine Säkularfeier handelt. Nun hat jedoch ein unscheinbar kleiner, gleichwohl höchst gefährlicher Störenfried die ursprünglichen Pläne für 2020 gehörig durcheinandergewirbelt. Kein Mozart’scher „Don Giovanni“also als Reverenz an die erste Operninszenierung der Festspiele 1920 überhaupt, und auch keine „Zauberflöte“im heurigen Sommer – die auferlegten Corona-hygieneregeln der Festspiele waren es wohl, die beiden Vorhaben den Garaus gemacht haben. Machbar dagegen schien „Così fan tutte“, die vom breiten Publikum zwar am wenigsten heiß geliebte aller Mozart/da Ponte-opern, doch Liebling der Regisseure aufgrund ihres röntgenhaften Ausleuchtens menschlicher Seelen. Zudem ist die „Così“, wer hätte es gedacht, die nach Spielzeiten häufigste Mozart-oper der Salzburger Festspiele nach „Figaros Hochzeit“.
Die Tragikomödie einer Beweisführung, wonach Frauen untreue Wesen sind – die Männer sind es, wie das Stück zeigt, nicht minder –, hat Mozarts Librettist da Ponte zeittypisch breit ausgerollt, sodass die coronabedingten Kürzungen, die der Regisseur Christof Loy und die Dirigentin Joana Mallwitz vorgenommen haben, für die Handlung keinen unverschmerzbaren Verlust darstellen. Dass bei diesem Herunterfahren auf den erlaubten Zeitrahmen von zweieinhalb (pausenlosen) Stunden auch so manche Mozartarie über die Salzach geht, ist ein anderes – in normalen Zeiten, und gerade bei den Festspielen, ein Sakrileg. In diesem Jahr aber der saure Apfel, in den man beißen muss.
Gewiss hatte die Entscheidung für „Così“auch damit zu tun, dass es sich hier um ein Kammerspiel handelt. Keine Massen auf der Bühne (der Chor singt diesmal sogar hinter der Szene), nur sechs Personen bestimmen das Geschehen: Don
wettet mit Ferrando und Guglielmo, dass deren Bräute untreu werden können – ein Bäumchen-wechsle-dich-spiel mit den Herren in Verkleidung soll es an den Tag bringen, was mit tatkräftiger Unterstützung des Kammermädchens Despina auch gelingt. Und doch wundert man sich: Weil Verführung ein zentrales Moment der Handlung ist, kommt man sich doch gerade bei der „Così“nahe, näher als ein Don Giovanni seiner Anna und Elvira je kommen würde. Aber alle Künstler der Festspiel-aufführungen werden ja regelmäßig auf Covid getestet. Also: „Così“.
Die Inszenierung des kurzfristig übernehmenden Christof Loy gewinnt der Oper keine aufregend neuen Aspekte ab, ist aber dennoch aus einem Guss. Nach Peter Sellars’ kopfigen Mozart-bemühungen der letzten Jahre wirkt Loys Understatement, das auf jeglichen Aktualisierungs-schnickschnack verzichtet, ausgesprochen angenehm. Statt szenischer Opulenz eine leere, von Johannes Leiacker konzipierte Bühne mit weißer Wand und zwei eingelassenen Türen, lediglich im zweiten Akt kommt ein Baum hinzu. Der Bühnenboden senkt sich über Stufen in den Orchestergraben hinab, hier sitzen oft und sinnierend die Männer und Frauen, als erhofften sie sich in ihren Gewissensnöten Ratschluss von Mozart durch unmittelbare Nähe zu seiner Musik. Es sind solch sparsam gesetzte, aber tiefgründige Details, die die Qualität der Inszenierung ausmachen. Heralfonso zensklug auch Loys Personenführung, die mit viel stummem Spiel stets den doppelten Boden des Geschehens ansichtig hält: Dass nämlich die Hinwendung eines jeden der Akteure zu dem Objekt seiner Empfindung immer auch eine Abwendung von dem bisherigen Favoriten mit sich bringt.
Dergleichen Feinsinn gelingt nur mit Interpreten, die sich zur Gesangskunst auch auf die Kunst der Darstellung verstehen. In dieser Hinsicht ist das „Così“-sextett des Jahres 2020 schlichtweg superb, ja es verbietet sich fast, das vokale vom gestischen Vermögen zu trennen. Das scheinbare Gegensatzpaar Empfindsamkeit und Leidenschaftlichkeit führt Elsa Dreisig in ihrer Fiordiligi zauberhaft zusammen und in der Arie „Per pietà, ben mio“ergreifend in all seinen hellen und dunklen Seiten vor. Nichts weniger gelingt Marianne Crebassa in der Amalgamierung von Dorabellas Lebenslust und Verletzlichkeit. Andrè Schuen ist ein ausgesprochen männlich-impulsiver Guglielmo – kündigt sich da schon ein Don Giovanni an? –, der dennoch rechtzeitig die Kurve vor dem bloßen Macho kriegt. Während Ferrando merklich zarter besaitet ist: ein glänzender Mozart-tenor, dieser Bogdan Volkov, dem mit perfekt lyrisch geführter Kantilene in „Un aura amorosa“einer der ganz großen vokalen Momente der Aufführung gelingt. Schließlich Johannes Martin Kränzle als Don Alfonso: Endlich mal kein überlegen-misogyner Unsympath, sondern ein in gelassenem Parlando weise die Strippen ziehender Menschenfreund – obendrein selbst dem Irdischen nicht abgeneigt, so wie er Despina (Lea Desandre) am Ende hinterhereilt.
Applaus natürlich an diesem zweiten „Così“-abend von dem halbierten, nach Schachbrettmuster verteilten Publikum im Großen Festspielhaus. Vor allem auch für die Salzburg-debütantin dieser Jubiläumsfestspiele: Joana Mallwitz. Mit welch ballerinenhaften Akkuratesse die junge Dirigentin jede Phrase der Musik mit Armen, Händen, Fingern zeichnet, ist buchstäblich die Schau. Umso mehr, als sie eben keine effektheischende Musik-darstellerin ist, sondern im Verbund mit den wie immer edel mozartisch gestimmten Wiener Philharmonikern die Musik ungemein lebendig und sinnlich-sinnhaft macht. Mit Joana Mallwitz setzt sich die Reihe herausragender Mozart-dirigenten in Salzburg auf das Schönste fort, mehr noch: Mit ihr ist im Jahrbuch der Festspiele zu Beginn ihres zweiten Jahrhunderts eine neue, eine weibliche Seite aufgeschlagen.