Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
So könnten hunderte Luftfahrtjobs gerettet werden
In Augsburg sind rund 1000 Stellen bei Premium Aerotec gefährdet. Nun will der Betriebsratsvorsitzende eine Beschäftigungsbrücke bauen
Augsburg/toulouse Das Wort „Brücke“fällt immer wieder im Gespräch mit Sebastian Kunzendorf. Der Betriebsratsvorsitzende des Augsburger Luftfahrtzulieferers Premium Aerotec sieht sich als „Brückenbauer“, um hunderte akut bedrohte Arbeitsplätze zu sichern.
Dabei wäre es verständlich, wenn der 43-Jährige, nachdem die Arbeitgeberseite einen Abbau von bis zu 1007 von rund 3500 Arbeitsplätzen zur Diskussion stellt, alle Brücken abbricht. Eine derartige emotionale Trotzreaktion entspricht aber nicht dem Naturell des Arbeitnehmervertreters. Kunzendorf ist ein Lösungssucher, der die Unternehmensleitung mit sachlichen Argumenten Stück für Stück von einem derartigen Job-kahlschlag abbringen will.
Im Gespräch mit unserer Redaktion legt er nun erstmals öffentlich seine komplette Strategie dar, wie ein Großteil der in Augsburg massiv durch die heftige Krise der Luftfahrtindustrie bedrohten Arbeitsplätze gerettet werden kann.
Dabei warnt Kunzendorf die Arbeitgeber zunächst vor zu kurzfristigem Denken: „Krisen gehen meist schneller vorbei als gedacht. Wer stumpf nur an das nächste Jahr denkt, glaubt nicht an die Zukunft.“Damit spielt der Gewerkschafter darauf an, dass die Arbeitgeber bei ihren Job-abbauplänen einen Zeitraum bis Ende 2021 zugrunde legen. Für diese Phase unterstellen die Unternehmensverantwortlichen eine „Auslastungslücke“, also einen Rückgang der Produktion von etwa 40 Prozent. Um das rein rechnerisch auszugleichen, stellen sie bei dem Airbus-zulieferer Premium Aerotec insgesamt 2874 von etwa 7500 Stellen in Deutschland zur Disposition.
Neben Augsburg müssten auch die Standorte in Norddeutschland bluten: In Bremen sind 160 Arbeitsplätze gefährdet, in Nordenham 1100 und in Varel 540. Arbeitnehmer-mann Kunzendorf warnt indes davor, diese Zahlen schon als fest geplanten Arbeitsplatzabbau zu deuten, handele es sich doch um nicht ausgelastete Kapazitäten und damit eine rechnerische Größe. Er bietet für Augsburg der Arbeitgeberseite an, „diese Lücke zu schließen“.
Und das soll nach dem Betriebsratskonzept so funktionieren:
Zunächst will Kunzendorf mehr Arbeit in das Augsburger Werk holen. Das Zauberwort heißt „Insourcing“, also das Gegenteil von „Outsourcing“, eben die Fremdvergabe von Produktion. Folglich würden Arbeitspakete für Flugzeugteile, die verteilt wurden, zurück nach Augsburg geholt. Kunzendorf sieht dazu auch für die Unternehmensführung keine Alternative: „Wir müssen die Maschinen in Augsburg besser auslasten. Sonst fliegen uns die Fixkosten irgendwann um die Ohren, wenn die Produktion wegen der Unterauslastung teurer wird.“
Der Betriebsratsvorsitzende ist mitten beim Brückenbauen und legt noch einmal mit einem für Augsburg dicken Pfeiler nach:
Kunzendorf strebt nämlich an, dass der Standort für die A320familie, also die sich in der Vergangenheit extrem gut verkaufenden kleineren Airbus-flugzeuge, zum Kompetenzzentrum für den hinteren Rumpf der Flieger wird. Hier bauen die Spezialisten in Augsburg heute schon die Sektion 19, also das Rumpfende. Aber auch ein türkischer Anbieter mischt bei dem Geschäft mit. Das an der Baugruppe nach vorne anschließende Rumpfteil 18 wird mit der Sektion 19 vom Schweizer Unternehmen RUAG in Oberpfaffenhofen bei München oder Turkish Aerospace Industries zusammengefügt. Airbus hat also auch zwei konzernfremde Unternehmen mit den großen und lukrativen Rumpf-baugruppen beauftragt.
Doch in Krisenzeiten fordert Kunzendorf die Solidarität der Premium-aerotec-mutter Airbus ein: Nach seiner zweiten großen Brücke würden Teile der Produktion von der Türkei und Oberpfaffenhofen nach Augsburg verlagert. Das schwäbische Werk könnte sich also erstmals die Fertigung der Sektion 18 sichern und sie mit dem Rumpfende zusammenbauen. Damit wäre der hintere Teil der Airbus-flieger mehr noch als bisher „made in Augsburg“. An dem Standort entstehen auch Fußbodenquerträger und Ladeklappenführungen für die kleineren Airbus-maschinen sowie große Schalen für das Langstreckenflugzeug A350. Daneben werden Rumpfmittelteile für das Kampfflugzeug Eurofighter und wichtige Baugruppen wie das Frachttor für den militärischen Transportflieger A400M gebaut.
Weil aber Experten davon ausgehen, dass sich auch nach der Krise vor allem die kleineren Airbus-maschinen besonders gut verkaufen, ist es für Augsburg wichtig, hier stärker mitzumischen. Zuletzt konnte die Premium-aerotec-mannschaft schon einen Erfolg verbuchen, werden doch die Tanks für die verlängerte Version des A320 zukünftig in Augsburg produziert. Kunzendorf ist davon überzeugt, „dass man in Augsburg mit solchen zusätzlichen Produkten viel abfedern kann“.
Um massenhafte Stellenstreichungen zu verhindern, baut der Arbeitnehmervertreter noch eine dritte Jobbrücke.
Zunächst warnt Kunzendorf die Arbeitgeber: „Personalabbau ist nicht umsonst. Das kostet eines Tages viel Geld. Es ist besser, Geld in Augsburg zu investieren, als es in Abfindungen zu stecken.“Deshalb setzen die Betriebsräte zur Überbrückung der Luftfahrtkrise auf eine Verlängerung der Kurzarbeit bis Ende nächsten Jahres. Wenn die Nachfrage nach Airbus-flugzeugen dann immer noch nicht anzieht, sind sie bereit, über eine Reduzierung der Arbeitszeit zu sprechen. Kunzendorf kann sich auch, um die Jobs von irgendwann wieder dringend benötigten Facharbeitern und Ingenieuren zu sichern, vorstellen, dass Beschäftigte eine Qualifizierungsauszeit nehmen. Dann könnten sie etwa einen Uni-abschluss nachholen, um danach den Anspruch zu haben, wieder auf ihren Arbeitsplatz bei Premium Aerotec zurückzukehren. „Hier können wir an einem entsprechenden Modell von BMW Maß nehmen“, sagt er.
Wenn dann trotz der breiten Beschäftigungsbrücke doch noch Produktionsausfälle nicht ausgeglichen werden können, setzt Kunzendorf auf freiwillige Lösungen, also etwa Altersteilzeit. Geht es nach dem Gewerkschafter, müssen die Arbeitgeber mit ihm nicht über sieben Brücken, wie es in dem Lied der Band Karat heißt, gehen, sondern drei überqueren. Dabei warnt er die Gegenseite: „Wir dürfen die Coronakrise nicht als Vorwand dafür nehmen, die schon im vergangenen Jahr anvisierte Restrukturierung zusätzlich durchzuführen.“Die Premiumaerotec-manager hatten 2019 angedroht, dass im schlimmsten Fall 1100 Stellen in Augsburg wegfallen könnten. Der Einschnitt wurde damals mit dem enormen finanziellen Druck auf die Firma begründet. Wenn Augsburg es nicht schaffe, mit den Kosten runterzukommen, müssten noch mehr einfachere Teile ins Ausland, also etwa in die Türkei und nach Rumänien, vergeben werden. Zudem leidet der Standort besonders unter dem Aus für das Großraum-flugzeug Airbus A380. Hier steuerte das Werk zentrale Baugruppen wie die großen Flügelvorderkanten bei.
Das 2019 von Premium Aerotec angestoßene Sanierungsprogramm für Augsburg trägt den Titel „Be ready“, also „Sei bereit“. Kunzendorf setzt nun auf Verhandlungen mit Airbus und Premium-chef Thomas Ehm. Der Manager ließ Verständnis für die Anliegen der Arbeitnehmer erkennen: „Wir bedauern diese Entwicklung und hätten sie gerne vermieden.“Er werde alles daran setzen, die notwendige Anpassung der Beschäftigung in Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretern so sozial wie möglich zu gestalten. Anfang September beginnt nun nach Informationen unserer Redaktion die heiße Phase der Gespräche zwischen Betriebsräten, Premium Aerotec und Airbus.