Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Tücken der Technik
Wie Friedrich Merz im Internet Spott auf sich zog
Wer den kürzlich verstorbenen Spd-politiker Hans-jochen Vogel sprechen wollte, der musste ihm erst einmal ein Fax schicken. Mit Glück rief er dann zurück – mit noch mehr Glück lud er zum Gespräch. Angela Merkel wiederum verschickt am liebsten SMS – eine Kommunikationsform, die ihre Hochphase vor zehn Jahren hatte. In Spanien stieg Stadtrat Bernardo Bustillo während einer coronabedingten Videokonferenz unter die Dusche – in der Annahme, die Kamera sei ausgeschaltet. War sie nicht.
Die Technik, sie ist also ein Terrain, das nicht von vielen Politikern mit Eleganz und Anmut beschritten wird. Fast könnte man meinen, ein gewisses Beharrungsvermögen in der guten alten Zeit sei sogar Zugangsvoraussetzung. Insofern dürften die Chancen von Friedrich Merz, es tatsächlich zum Kanzlerkandidaten der Union zu schaffen, nun beträchtlich gestiegen sein. Mit einem so schlichten wie erstaunlichen Satz katapultierte er sich in die Top-riege des technischen Analphabetentums: „Wir brauchen endlich WLAN in jeder Schule und eine Mailadresse für jeden Schüler, am besten ab dem 1. Januar 2021“, sagte Merz in einem Interview. Nun ist an diesem Vorschlag gar nichts auszusetzen. Vielleicht mit der kleinlichen Ausnahme, dass er einen Hauch zu spät kommt. WLAN? Dringend notwendig! Doch an einer Mailadresse scheitert die Digitalisierung nicht. Entsprechend bissig fiel der Spott auf Twitter aus. „Und ein Grammofon, Brieftauben und ordentliche Meißel für die Steintafel“, schlug ein Nutzer vor. Wenn Corona eines gezeigt hat, dann sind das die gewaltigen Defizite bei der Digitalisierung. Was fehlt, ist ein modernes Konzept. An der Politik kann’s kaum liegen – die ist ja am Puls der Zeit.