Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie der Geschmähte zur letzten Hoffnung wurde
Die SPD hat eine jahrelange Talfahrt hinter sich. Am ehesten kann Olaf Scholz den Niedergang stoppen, das sehen selbst seine erbittertsten Gegner so. Als Kanzlerkandidat könnte er von der unklaren Lage der Union profitieren
Berlin An einem jedenfalls fehlt es Olaf Scholz und seiner SPD nicht: an Luft nach oben. Bei Umfragewerten von 15 Prozent für die Partei kann der frisch gekürte Kanzlerkandidat fast nur gewinnen. Ob es im Herbst 2021 zu einem Wahlsieg reicht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Zwei Umständen verdankt der Bundesfinanzminister seine Aufstellung, die zu Jahresbeginn noch völlig unwahrscheinlich erschien: der Corona-krise und dem schwachen Zustand seiner Partei. Scholz ist in beiden Krisen die Rolle des Retters zugedacht. Während die Pandemie schicksalhafte Züge trägt, ist die Misere der Sozialdemokratie von den Genossen selbst verschuldet.
In ihrem Bestreben, so viele gesellschaftliche Minderheiten wie möglich zu berücksichtigen, verlor die SPD die arbeitende Mitte aus dem Blick und dabei ihren Status als Volkspartei. Das sozialdemokratische Versprechen vom Aufstieg durch Bildung und harte Anstrengung geriet in den Hintergrund. Mit der erfolgreichen Vergangenheit sozialdemokratischer Bundesregierungen brachen die Genossen von heute gnadenlos. Vor allem Gerhard Schröder, der bislang letzte Spdkanzler, ist in den eigenen Reihen wegen seiner Sozialreformen. Doch bei ihrer pauschalen Forderung „Hartz IV überwinden“vergessen gerade jüngere Spd-mitglieder, dass Schröder auch die Grundlage für eine lange Phase wirtschaftlichen Wachstums gelegt hat. Dadurch stiegen die Staatseinnahmen und viele soziale Wohltaten wurden möglich. Die Grundrente ist nur das jüngste Beispiel.
Zum für viele Wähler abschreckenden Hadern mit dem eigenen Erbe kam erschwerend der Umstand, dass mit Angela Merkel eine Kanzlerin auf den Plan trat, die die Union immer weiter nach links rückte und der SPD Show und Stimmen stahl. Es blieb die undankbare Rolle des Juniorpartners. Dass dies keinem gefiel, ist verständlich. So überrascht auch der Widerwille nicht, mit dem die Partei sich dann nach der letzten Bundestagswahl doch wieder in die Zweckehe mit der Union quälte. Ein großer Teil der Partei hätte es vorgezogen, sich in der Opposition zu erneuern. Allerdings steht in den Sternen, ob das wirklich den Erfolg zurückgebracht hätte. Wer eine Partei wählt, will auch, dass sie regiert, so naiv zu erwarten, dass dies ohne Partner geht, ist niemand. Das Beispiel der FDP zeigt, dass die Bürger es nicht schätzen, wenn eine Partei sich aus der stiehlt. So wurde die SPD in dieser Legislaturperiode endgültig zur schizophrenen Partei: Regierung und Opposition zugleich. Zahlreiche sozialdemokratische Herzenswünsche konnten erfüllt werden, ohne dass dies auf das Konto der Partei einzahlte. Betont wurde stets nur der vermeintliche Mangel, dass sich die reine Lehre in der Großen Koalition nicht durchsetzen ließ. Innerlich tief zerrissen, verschliss die Partei einen Vorsitzenden nach dem anderen. Mit Peer Steinbrück und Martin Schulz schickte sie zwei glücklose Kanzlerkandidaten ins Rennen und scheiterte. Nach dem 20,5-Prozent-debakel mit Schulz sollte Andrea Nahles als erste Frau an der Spitze endlich das Ruder herumreißen. Doch auch sie verzweifelte an den Ränkespielen und der mangelnden Unterstützung ihrer Genossen. Entnervt und tief enttäuscht warf sie das Handtuch.
Was folgte, war nicht etwa ein Moment der Erkenntnis und Besinnung. Sondern eine Phase, in der für weite Teile der Bevölkerung endgültig der Eindruck entstand, dass die SPD sich am liebsten mit sich selbst beschäftigt. Eine Doppelspitze nach dem Muster der in Umfragen enteilten Grünen sollte her. Das innerparteiliche Ringen auf zahlreichen Regionalkonferenzen hinterverhasst ließ tiefe Wunden und Verletzungen. Olaf Scholz, der als Vizekanzler und Bundesfinanzminister in der Bevölkerung hochgeschätzt wird, wurde von den eigenen Parteifreunden gedemütigt und verschmäht. Das Rennen machte das linke Duo Saskia Esken und Norbert Walterborjans. Als Königsmacher wirkte der ehrgeizige Juso-chef Kevin Kühnert, der unablässig gegen Groko und Scholz vom Leder zog.
Hätten sich nun die Umfragewerte der Partei auch nur minimal verbessert, hätten die tonangebenden Spd-linken einen Kanzlerkandidaten aus ihren Reihen bestimmt. Doch nichts deutete auf eine Trendwende hin, die SPD blieb Kellerkind. Schließlich erkannte selbst ein Kevin Kühnert, dass Scholz mit weitem Abstand die besten Aussichten hat, einen weiteren Absturz zu verhindern. Der Bundesfinanzminister hatte seine tiefe Enttäuschung hinuntergeschluckt und einfach weiterregiert. Dann kam Corona. Scholz profilierte sich als Krisenmanager, seine gerade in den eigenen Reihen kritisierte Ausgabendisziplin konnte er aufgeben. Mit immer neuen Hilfsmilliarden findet er plötzlich auch den Beifall der Linken in den eigenen Reihen.
Jedenfalls wird deutlich, dass die SPD offensiv ihren Anteil an der erverantwortung folgreichen Regierungsarbeit unter Angela Merkel reklamieren will. Die Langzeit-kanzlerin hat es bisher nicht geschafft, ihre eigene Nachfolge zu regeln. Viele Bürger dürften den Vize von der SPD stärker in der Tradition Merkels sehen als ihre langjährigen unionsinternen Kritiker Friedrich Merz oder Markus Söder. Armin Laschet macht im Corona-management nicht die beste Figur. Auch dem Philosophen Robert Habeck von den Grünen muss vor dem direkten Vergleich mit Scholz durchaus bange sein.
Nun muss der Finanzminister den Skandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard schadlos überstehen. Hält die SPD im Wahlkampf ein Mindestmaß an Geschlossenheit aufrecht, kann sie mit Scholz als Galionsfigur zumindest den eigenen Niedergang stoppen. Zu einem Wahlergebnis, das einen Regierungsanspruch begründet, ist es jedoch ein weiter, weiter Weg.
Zwischenstand: Nach einer repräsentativen Umfrage des RTL/ ntv-trendbarometers attestieren Scholz 44 Prozent der Bürger eine gute Eignung zum Kanzlerkandidaten (bei Spd-anhängern 79%). Nur jeder Vierte (25%) würde es allerdings begrüßen, wenn er tatsächlich zum Nachfolger von Kanzlerin Merkel gewählt würde.