Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ideen für den Kampf gegen Hitze in den Städten
Unter hohen Temperaturen leiden besonders die Metropolen und ihre Einwohner. Länder wie Frankreich haben bereits Strategien gegen das Phänomen entwickelt. Deutschland hinkt hinterher
Berlin Neben den Auswirkungen der Corona-pandemie macht die Hitze den Menschen in Deutschland gerade extrem zu schaffen. Temperaturen von mehr als 30 Grad im Schatten lähmen nicht nur Jung und Alt, sondern auch Tiere und Maschinen. Hitze sorgt für Stress, in schlimmen Fällen tötet sie, und das gilt vor allem für die Städte, in denen 75 Prozent der Bevölkerung leben. Die Politik versucht, gegenzusteuern, kommt aber nicht recht voran. In anderen Ländern sind sie da schon weiter.
Ein Vorbild könnte Wien sein. In der Hauptstadt Österreichs gibt es offiziellen Angaben zufolge acht temporäre und vier dauerhaft umgestaltete „Coole Straßen“, die im Sommer für Abkühlung sorgen und Freiraum schaffen. Erreicht wird dies unter anderem durch den Einsatz von Sprühnebel. Für Autos gilt in den „Coolen Straßen“ein Fahr-, Halte- und Parkverbot. Darüber hinaus wurden an vielen Standorten
Wasserschläuche mit Düsen, Sprühduschen und Sprühnebel errichtet. Zudem gibt es in vielen Parks Bodenfontänen und Wasserspiele, die permanent für Abkühlung sorgen. Mobile Trinkbrunnen haben Nebelduschen, die bei großer Hitze auf Dauerbetrieb gestellt werden.
Frankreich hat seine Lehren aus der schlimmen Hitzewelle 2003 gezogen, als etwa 11 500 Menschen extremen Temperaturen zum Opfer fielen. Vor allem alleinlebende alte Menschen starben. In Städten wie Paris oder Lyon wurden strenge Fahrverbote durchgesetzt. Arbeitgeber sind seitdem verpflichtet, Arbeitszeiten auf die kühlen Stunden am Morgen und am Abend zu verlegen – südlichere Länder praktizieren das bekanntlich schon lange.
Ein weiteres von Klimaschützern genanntes Beispiel ist Recife, eine Millionenstadt im Nordosten Brasiliens. Deren Verwaltung konzentriert sich auf die Sanierung und Erweiterung eines Parks an einem der zahlreichen Flüsse, um die Auswirkungen von Hitzewellen zu verringern. Das Projekt mindert gleichzeitig das Risiko von Überschwemmungen und trägt zur Kohlenstoffbindung bei. Im polnischen Breslau setzen die Stadtentwickler auf „Westentaschen-parks“, also kleine Grünflächen, sowie auf begrünte Fassaden, um die Innenstadt herunterzukühlen. Dazu gehört auch, Bäume, Sträucher und Grassorten zu pflanzen, die besser mit der Hitze klarkommen. In Deutschland werden vielfach noch die alten Sorten verwendet, das Ergebnis sind verdorrte Rasenflächen und vertrocknete Bäume. Gießen ist auf Dauer keine Lösung, weil so die Trinkwasservorräte angegriffen werden.
Es gibt viele Ansätze, um die Hitze zu vertreiben. Im Bahnverkehr werden weiße Schienen getestet, einige Städte setzen helle Farbe an Hausfronten ein, um Sonnenstrahlen zu reflektieren und das Material zu kühlen. Mit dem Programm „Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel“will das Bundesumweltministerium die „Anpassungskompetenz“in Deutschland stärken. Das Haus von Ministerin Svenja Schulze (SPD) unterstützt Projekte für die Anpassung an Hitze oder Starkregen. Es gibt noch weitere Beispiele. Kritiker monieren aber, dass hierzulande der rechtliche Ordnungsrahmen fehle.
Ändern könnte sich das mit einem Antrag, den die Grünen in den Bundestag eingebracht haben. Sie setzen sich dafür ein, die „Klimaresilienz der Städte durch mehr Natur und Freiräume“zu erhöhen. Die Fraktion fordert eine Anpassung des Bauplanungsund Naturschutzrechts. Hauptziel: Städte und Kommunen sollen verpflichtet werden, Grün und Platz für die Menschen einzuplanen. Grünen-chef Robert Habeck sprach von einem „Hitzeplan“und forderte auch ein einheitliches, gestuftes Hitzewarnsystem. „Die gegenwärtige Sommerhitze kommt nicht überraschend“, sagte Habeck der Nachrichtenagentur und ergänzte: „Solche Hitzewellen werden das neue Normal sein.“
Sehr warme Sommer gab es schon immer. Ihre Zahl und Dichte nahm in den vergangenen 20 Jahren, vor allem aber in der letzten Dekade, jedoch enorm zu. Unbestechliche Auskunft darüber geben die Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes, der seit 1890 die sogenannten Temperaturanomalien erfasst. Kalte Zeiten sind blau dargestellt, sie kamen früher häufig vor. In letzter Zeit leuchtet die Grafik vor allem in einer Farbe: in Alarmrot.