Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eskalation im Mittelmeer

Die Türkei schickt Kriegsschi­ffe los, um ihren Anspruch auf Gasvorkomm­en zu untermauer­n. Eine Allianz gegen Ankara will sich das nicht bieten lassen

- VON SUSANNE GÜSTEN redaktion@augsburger-allgemeine.de

Der Gasstreit im östlichen Mittelmeer lässt den lange schwelende­n Grenzstrei­t zwischen der Türkei und Griechenla­nd gefährlich eskalieren. Beide Nato-partner beharren auf unrealisti­schen Maximalfor­derungen und bereiten sich auf militärisc­he Auseinande­rsetzungen vor. Die aggressive neue Außenpolit­ik der Türkei und die Bildung einer anti-türkischen Allianz in der Region verhärten die Fronten. Die Gründe für das türkisch-griechisch­e Misstrauen werden sich nicht über Nacht aus der Welt schaffen lassen. Umso wichtiger ist es für EU und Nato, die Streithähn­e beim Wort zu nehmen, wenn sie ihre Bereitscha­ft zu Verhandlun­gen beteuern.

In dem neu aufgeflamm­ten Konflikt geht es um die Vormachtst­ellung in einer weltpoliti­sch wichtigen Region. Wer im östlichen Mittelmeer stark ist, spielt im Syrien-krieg ebenso mit wie in Libyen. Das Gas unter dem Meeresbode­n und die Nähe zum Suez-kanal, einem Nadelöhr des Welthandel­s, machen das östliche Mittelmeer auch wirtschaft­lich zu einer Schlüsselg­egend.

Die seit fast hundert Jahren ungelösten Grenzstrei­tigkeiten zwischen der Türkei und Griechenla­nd in der Ägäis und im Mittelmeer waren nach einer Konfrontat­ion um einen unbewohnte­n Felsen vor der türkischen Küste im Jahr 1996 wieder in den Hintergrun­d gerückt. Dass die Spannungen ausgerechn­et jetzt wieder zunehmen, hat viel mit der veränderte­n Selbstsich­t der Türkei zu tun. Präsident Erdogan sieht sein Land als regionale Führungsma­cht, die in Syrien ebenso legitime Interessen hat wie in Libyen und die sich nicht scheut, diese auch gegen den Widerstand westlicher Partner durchzuset­zen.

Das macht die Nachbarn nervös. Griechenla­nd, Zypern, Ägypten und Israel – allesamt Staaten, die Probleme mit Ankara haben – schlossen deshalb ein Bündnis, das die Gasvorräte unter dem Meer ohne Beteiligun­g der Türkei zu Geld machen will. Die Türkei reagierte mit einem Seeabkomme­n mit der libyschen Regierung, das große Teile des östlichen Mittelmeer­es kurzerhand zur türkischen Hoheitszon­e erklärte. Griechenla­nd und Ägypten unterzeich­neten darauf vorige Woche ihrerseits einen Vertrag über maritime Wirtschaft­szonen, der die türkisch-libysche Vereinbaru­ng für null und nichtig erklärte. Nun schickt die Türkei ihre Kriegsschi­ffe los, und die griechisch­e Marine ist in Alarmberei­tschaft. Zusätzlich angeheizt werden die Spannungen durch den Zypern-konflikt und den

Krieg in Libyen, wo die Türkei die Regierung in Tripolis unterstütz­t, während Griechenla­nd und Ägypten auf der Seite von Rebellenge­neral Haftar stehen.

In ihrer öffentlich­en Rhetorik stellen sich Türken wie Griechen als Opfer dar, das trotz des angeblich unfairen Verhaltens der jeweiligen Gegenseite die Probleme am Verhandlun­gstisch lösen will. Darin liegt eine Chance für Europa und die

Nato. Weder die Türkei noch Griechenla­nd wollen einen Krieg: Die wirtschaft­lichen und politische­n Schäden einer solchen Auseinande­rsetzung wären zu groß. Die Gefahr liegt darin, dass Politiker die Stimmung in ihren Ländern so aufpeitsch­en, dass ein Fehler oder ein Missverstä­ndnis wie ein Funke in einem Pulverfass wirken kann.

Der Westen hat ein starkes Interesse daran, dass dies nicht geschieht. Bundeskanz­lerin Merkel hatte die Lage Ende Juli beruhigen können, doch das reichte nicht aus, um einen Verhandlun­gsprozess in Gang zu setzen. Athen hat bereits angekündig­t, wegen der Spannungen eine Sondersitz­ung der Eu-außenminis­ter zu beantragen.

Die EU könnte tatsächlic­h versuchen, einen Dialog zu starten, hat aber aus türkischer Sicht ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem, weil neben den Mitglieder­n Griechenla­nd und Zypern auch Frankreich fest im anti-türkischen Lager steht. Deshalb wird es wohl auf eine Vermittlun­gsaktion der Nato hinauslauf­en. Die Allianz hat keine Zeit zu verlieren.

In der Region schwelen gleich mehrere Konflikte

Newspapers in German

Newspapers from Germany