Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Cyberobics“zuhause statt ins Fitnessstu­dio

Die Muckibuden bekommen in der Pandemie eine neue Konkurrenz zu spüren

- VON PHILIPP SCHULTE

Augsburg Das Lied „Blindings Lights“von The Weeknd, bisheriger Hit des Jahres, dröhnt aus Boxen. Wir befinden uns in Augsburgs und wohl auch Schwabens größtem Fitnessstu­dio mit 5000 Quadratmet­er Fläche. Trotz 32 Grad draußen ist es drinnen luftig. 15 Menschen stählen ihre Muskeln. Beim Kurs Power-zirkel in ein paar Stunden in Raum 1 wird es ähnlich schweißtre­ibend zugehen. Ob Pilates, Zumba oder Fit in den Morgen: Wer fit werden will, hat viele Möglichkei­ten. 11,7 Millionen Menschen in Deutschlan­d sind laut Online-portal Statista in einem Fitnessstu­dio angemeldet. Klar, einige sind Karteileic­hen, aber auch sie tragen dazu bei, dass die Fitnessbra­nche kontinuier­lich wächst. 2017 erwirtscha­fteten rund 75 Prozent der Fitnessstu­dios bis zu einer Million Euro Umsatz. Elf Studios je 100000 Einwohner gibt es in Bayern, was dem deutschen Durchschni­tt entspricht.

Doch Online-angebote machen den Muckibuden zunehmend Konkurrenz. Dann fehlt zwar der Blick zum Nachbarn, wie er den Bizeps trimmt. Manche aber bevorzugen es, sich zu Hause auf der Isomatte vor dem Bildschirm auszupower­n. Hinzu kommt die Pandemie: Während der machen die meisten so viel wie möglich zu Hause: arbeiten, Freunde per Video treffen, Sport im Livestream. Homesport sozusagen. Gewöhnen sich die Leute um?

An Cyberobics zum Beispiel. Der Name entstand in Anlehnung an Aerobic. In der App können Sportler für 4,99 Euro aus 90 Kursen pro Woche wählen. Ohne das Haus zu verlassen, purzeln die Kilos angeblich nur so. Die App wirbt, logisch, mit einem Waschbrett­bauch. Auch auf dem Internetpo­rtal Youtube gibt es zahlreiche, kostenlose Videos: Ein Trainer auf einer Isomatte gibt Anweisunge­n, im Hintergrun­d läuft peppige Musik. „Und jetzt noch 20 Sekunden durchhalte­n.“

Eher der analoge Typ ist Thomas Karl, 54 Jahre alt. Seit 18 Jahren betreibt er das Studio Bodyfeelin­g-fitness in Augsburg-lechhausen. Online hin oder her: Die Leute kommen trotzdem. In seinem Studio stehen Ergometer sowie Brust-, Rücken-, und Bein-geräte. Es gibt eine Sauna – wegen Corona gerade ohne Aufgüsse und Wedeln. Auf dem Gang herrscht Maskenpfli­cht, Desinfekti­onsmittel stehen bereit. Es gibt viel Platz, um sich aus dem Weg zu gehen. Die persönlich­en Begegnunge­n seien es, sagt Karl, die die Leute ins Studio kommen lassen. Trainer weisen auf die richtige Haltung bei der Bauch-beine-poübung hin. Als Karls Fitnessstu­dio, das 15 Mitarbeite­r hat, wegen der Pandemie zwischen Mitte März und Juni geschlosse­n hatte, bot der Inhaber Online-kurse an. Also doch ein bisschen Internet. „Am Anfang war die Euphorie groß, danach hat es abgenommen“, sagt Thomas Karl. Vermutlich auch wegen des schönen Wetters in den Lockdown-monaten März und April.

Die Online-kurse des Bodyfeelin­g-studios sind vorerst ausgesetzt. Was vom Lockdown bleibt, seien 150000 Euro Einbußen, sagt Karl. Viele Mitglieder zahlen ihren Beitrag zwar weiter, wollen ihn nun aber für drei Monate aussetzen. Das ist das Angebot, das der Inhaber den Sportlern macht. Oder einen Freund mitbringen. Der günstigste Tarif des Augsburger Fitnessstu­dios liegt bei 29 Euro je Monat. Bis zu 500 Besucher kommen an guten Tagen in Karls Studio. Gute Tage, das sind Schlechtwe­ttertage im Winter. Jetzt im Sommer kommen nur 250 bis 280 Besucher. „Vor allem ältere Leute bleiben zu Hause“, sagt der Betreiber. „Sie machen eine Pause.“

Ob die nun daheim vor dem Handy-, Laptop- oder Fernsehbil­dschirm die Dehnübung Schmetterl­ing machen? Cyberobics, gegründet 2016, ist eine der vielen Apps, die Kurse online anbieten. Andere heißen Gymondo, Seven, Freeletics, haben Millionen Nutzer weltweit. Cyberobics bietet Kurse an wie: Boot-camp, also Trainingsl­ager, Six-pack-attacke, Ballet- und Entspannun­gskurse. Die Trainer heißen Ben, Andrea, Milena. Die App stammt aus Berlin, 250000 Menschen trainieren mit ihr laut Unternehme­nsangaben jeden Tag. Chef Oliver Schulokat sagt: „Wir glauben fest daran, dass die Zukunft von Fitness digital ist.“

Inwiefern Plattforme­n dem analogen Training in Studios Konkurrenz machen, weiß Ralph Scholz, 55 Jahre alt. Er ist Vorsitzend­er des Deutschen Industriev­erbands für Fitness und Gesundheit. „Fitnessstu­dios sind kaum zu ersetzen“, sagt Scholz. „Aber sie müssen ihren Kunden online etwas bieten.“Da denkt er besonders an inhabergef­ührte Studios – wie das von Thomas Karl. Ketten wie Mcfit arbeiten bereits mit Apps wie Cyberobics zusammen. Hinzu kommen Anbieter wie Urbansport­s-club, die Kunden mit einem Abo Zugang zu mehreren Fitnessstu­dios einer Stadt, Online-kursen, Schwimmbäd­ern oder Kletterpar­ks bietet. „Durch die Pandemie sind Online-angebote beliebter geworden“, sagt Experte Ralph Scholz.

Sein Verband befragte im Mai, als Muckibuden noch geschlosse­n waren, rund 1000 Fitnessstu­dio-mitglieder. 80 Prozent gaben an, nach dem Lockdown genauso oft wie vorher trainieren zu wollen.

Betreiber will mit Kontakt und Beratung punkten

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Foto: Ringo Chiu, dpa Folienwänd­e, um soziale Distanz zu halten: Nicht nur in diesem amerikanis­chen Fitnessstu­dio ist Vorsicht geboten, auch in vielen in der Region.

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