Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Augsburg wird als Wasserstoff-city profitieren“
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger will kriselnde Unternehmen wie MAN Energy Solutions und Premium Aerotec unterstützen. Mit welchen Hilfen aus München die Firmen nun rechnen können
Herr Aiwanger, wie lange wird uns die Corona-krise noch im Bann halten? Hubert Aiwanger: Ich glaube, dass uns die Krise noch länger begleiten wird, als uns lieb ist. Im Frühjahr hatten wir ja gehofft, in einigen Monaten sei der Spuk vorbei. Doch der Spuk ist so schnell nicht vorbei, vor allem auch wirtschaftlich. Die Krise wird sich deutlich in das kommende Jahr hineinziehen.
Wie können Menschen mit der harten Botschaft klarkommen?
Aiwanger: Die Bürger werden sich noch mehr mit dieser Situation arrangieren, um die Auswirkungen von Corona für sie möglichst gering zu halten. So wie Menschen Masken tragen und Abstand halten und damit wieder vieles möglich ist, so werden wir uns in den nächsten Monaten an ein noch höheres Maß an Normalität herantasten auch dank gezielter Corona-tests, aber auch dank gesunden Menschenverstandes.
Wie soll diese neue Corona-normalität à la Aiwanger funktionieren? Aiwanger: Sie soll so funktionieren, dass wir nicht mehr ohne Not Branchen lahmlegen, wenn auch andere Maßnahmen ausreichen. Im Gegenzug dürfen wir aber auch nicht ohne Not Risiken eingehen, die vermeidbar sind, was zu Rückschlägen führt. Hier müssen wir das richtige Timing finden.
Können Sie dafür ein Beispiel nenen? Aiwanger: Ab 1. September dürfen in Bayern wieder Messen stattfinden. Nun erwarte ich von den Veranstaltern aber schon, dass sie nicht aus Ängstlichkeit Veranstaltungen weiter verschieben. Mein Appell lautet also: Bitte nicht mehr Hysterie als nötig zeigen, auch wenn ich natürlich verstehe, dass Messe-veranstalter um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter besorgt sind. Doch wenn ich mit Maske eine Messe besuche und mir das hinter einer Plexiglasscheibe stehende Standpersonal etwas erklärt, ist das auch nicht gefährlicher, als wenn ich im Supermarkt einkaufe. Verkäuferinnen und Verkäufer in Supermärkten, Polizisten oder Arzthelferinnen arbeiten ja auch. Nun erwarte ich das auch von Messe-beschäftigten und Unternehmern. Wir müssen unsere Wirtschaft ja wieder ankurbeln. Und hier können Messeveranstalter und Unternehmer auch einen wichtigen psychologischen Beitrag leisten.
Warum ist diese Psycho-hilfe wichtig? Aiwanger: Wenn man aus lauter
Angst keine Messe abhält, dann kaufen Bürger auch keine neuen Autos, schaffen sich keinen Wintergarten an und sanieren ihr Haus nicht, weil sie mit dem Schlimmsten rechnen.
Das Aiwanger-krisen-konzept besteht also in einem mutigen und dennoch vorsichtigen Herantasten. Doch das allein wird nicht helfen. Es werden weitere Milliarden fließen müssen, um Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Aiwanger: Ja, wir müssen die Kurzarbeit über 2020 hinaus bis Ende nächsten Jahres verlängern.
Können wir uns das leisten? Aiwanger: Wir müssen es uns leisten, denn Arbeitslosigkeit ist noch teurer. Kurzarbeit hat sich bewährt, weil die Mitarbeiter, wenn es wieder aufwärtsgeht, den Betrieben sofort zur Verfügung stehen. Wenn Arbeitgeber aber ihre Beschäftigten entlassen und erst ihre früheren Beschäftigten beim Aufschwung einsammeln müssen, haben wir ein Problem. Und um eine Pleitewelle zu vermeiden, müssen wir auch die Aussetzung der Anmeldepflicht für Insolvenzen, die noch bis Ende September gilt, bis März nächsten Jahres verlängern. So bekommen in Not Unternehmen die nötige Luft, staatliche Hilfen zu beantragen und ihre Betriebe zu sanieren. Zudem muss der Bund auch das Instrument der Überbrückungshilfen für Firmen mit mehr als 40 Prozent Umsatzeinbrüchen gegenüber dem Vorjahr über August hinaus bis Jahresende verlängern. So können wir verhindern, dass hunderttausende Menschen arbeitslos werden.
In Augsburg werden aber etwa 800 Jobs beim Maschinenbauer MAN Energy Solutions abgebaut. Beim Luftfahrtzulieferer Premium Aerotec sind bis zu 1000 Stellen gefährdet. Wie hilft Bayern den Firmen?
Aiwanger: Wir unterstützen MAN Energy Solutions finanziell bei der Errichtung einer Wasserstoff-pilotanlage auf dem Betriebsgelände in Augsburg, mit der Strom aus regenerativer Energie in Wasserstoff gespeichert werden kann und dann zur Verfügung steht, wenn er gebraucht wird. Und ich will Premium Aerotec helfen, indem wir die Entwicklung von Wasserstoff-tanks für Flugzeuge fördern. Ich glaube, dass Bayern weltweit eine führende Rolle auf dem Gebiet der Wasserstofftechnologie erobern kann. Das Thema kann für uns zum Exportschlager werden. Davon wird auch Augsburg als Wasserstoff-city profitieren. So können Industrie-arbeitsplätze, die heute in der Stadt wegbrechen, langfristig ersetzt werden.
Wie viel Geld fließt nach Augsburg? Aiwanger: Das steht im Detail noch nicht fest und ist ja ein Dauerprozess. Das Dreieck München, Nürnberg und Augsburg wird zum bayerischen Wasserstoff-dreieck. Im Herbst wird konkreter, wie wir Augsburg genau unterstützen.
Was ist Ihre Haupterkenntnis aus der Corona-krise?
Aiwanger: Für mich ist interessant, dass städtische Metropolregionen stärker als ländliche Regionen unter der Krise leiden. Und regional verwurzelte Handwerker haben sich in der Regel besser geschlagen als international tätige, exportorientierte Konzerne. Dass kleine, dezentrale Strukturen krisenstabiler sind, das bestätigt mich als bekennenden Regionalisten. Das System kleiner Lebensmittelerzeuger über kleine Schlachthöfe, dezentrale Energieerzeuger und kleinere Krankenhäuser funktioniert in einer solchen Krise besonders gut. Es war ein Segen, dass die Lebensmittelversorgung sichergeratene gestellt war. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre und etwa Butter plötzlich knapp geworden wäre, wäre das psychologisch eine andere Nummer als die Klopapier-engpässe gewesen.
Regionale Verwurzelung schlägt in Krisen also globale Größe.
Aiwanger: Trotz aller Globalisierungseuphorie sollten wir anerkennen, wie wichtig solche dezentrale Netzwerke sind. Hinzu kommen soziale Netzwerke, also Vereine und ehrenamtlich tätige Menschen, die anderen Bürgern in der Krise geholfen, also etwa für sie eingekauft haben. Deswegen müssen wir als Lehre aus der Corona-krise regionale Strukturen und das Ehrenamt stärken. Und ich sehe es nach wie vor als Fehler an, dass wir die Wehrpflicht und den damit verbundenen Zivildienst abgeschafft haben.
Was hat das denn mit Corona zu tun? Aiwanger: Die verpflichtende Wehrpflicht hatte für die gesamte Gesellschaft enorme Vorteile, einer war, dass auch Zivildienstleistende zur Verfügung standen. Doch diese jungen Menschen, Bundeswehr wie Zivildienstleistende, die sich in hohem Maße sozial engagieren, fehlen uns zum Teil in der Krise. So ist es etwa schwierig, ausreichend Kräfte für Corona-teststationen zu bekommen. Das wäre zu Zeiten der Wehrpflicht kein Problem gewesen. Da hätten wir eine Sanitätsstaffel der Bundeswehr hingeschickt oder eben Zivildienstleistende. Doch hier haben wir nicht mehr genug Reserven.
Sprechen Sie sich also als Corona-lehre für die Wiedereinführung der Wehrpflicht und des verpflichtenden Zivildienstes aus?
Aiwanger: Ein attraktives, gut bezahltes soziales Jahr für alle wäre der richtige Weg.
Eine der Corona-lehren ist auch, dass man Abstand zueinander halten muss. Das wird sich im Winter wohl leider nicht ändern. Können dann überhaupt Weihnachtsmärkte stattfinden? Aiwanger: Ja, ich glaube, dass Weihnachtsmärkte in entzerrter Form stattfinden.
Wie soll das gehen, ohne eine Glühweincorona-welle auszulösen?
Aiwanger: Weihnachtsmärkte müssen anders als früher stattfinden, also ohne Partyzelte, mit mehr Abstand. Es geht nicht, dass am Glühweinstand unzählige Leute auf wenigen Quadratmetern stehen. Auch zwischen den Ständen brauchen wir mehr Platz. Interview: Stefan Stahl