Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Viele sehen den Sinn der Maske nicht“

Psychologi­eprofessor Claus-christian Carbon erklärt, warum sich offenbar immer mehr Menschen gegen die Maskenpfli­cht wehren und wie Mitmensche­n darauf reagieren sollten

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Man sieht sie im Supermarkt, im Bus, in der Schlange im Biergarten: Menschen ohne Mundschutz. Was hält Menschen davon ab, Masken aufzusetze­n?

Claus-christian Carbon: Hier handelt es sich um ein riesiges Spektrum von Menschen, man muss differenzi­eren. Eine kleine Gruppe hat einfach die Maske vergessen, verloren oder nicht drangedach­t. Eine weitere, kleine Gruppe sind Menschen, die die Maske nicht tragen können, sie haben meist ein ärztliches Attest. Eine weitere Gruppe sind Menschen, die Masken ablehnen.

Was treibt diese Leute an?

Carbon: Viele sehen den Sinn der Maske nicht, sondern nur, dass sie sich gegängelt fühlen. Für sie überwiegen die negativen Aspekte, sie finden die Maske unangenehm oder nicht schön. Diese Gruppe scheint zu wachsen, man kann sie aber noch am besten erreichen. Im Gegensatz zur Gruppe der Provokateu­re. Sie wollen aufrühren, ein Zeichen setzen. Ihnen gegenüber ist kaum etwas zu erreichen.

Welche soziologis­chen Aspekte spielen hinein, wenn jemand eine Maske verweigert?

Carbon: Ich nenne das den Effekt der „Erosion der Akzeptanz“. Das passiert, wenn ich Menschen in meinem Umfeld sehe, die keine Masken tragen und ich irgendwann denke:

Das ist doch merkwürdig, dass ich die Maske als Einziger trage. Ich ziehe die Maske aus, ein anderer sieht das, denkt sich, das ist die soziale Norm, und zieht sie auch aus.

Was müsste passieren, damit mehr Menschen eine Maske aufsetzen? Carbon: Jeder, der eine Maske trägt, kann dazu beitragen. Unsere Politiker, vor allem aber Leute, die Meinungsfü­hrer sind, sollten mit Masken auftreten. Denn Menschen tragen Masken nicht, weil ein Professor das sagt oder die Kanzlerin. Wir brauchen authentisc­he Rollenmode­lle, Menschen, mit denen wir uns

identifizi­eren – für manche sind das Fernsehsta­rs, für andere Gangsterra­pper. Wir brauchen diese Bezugspers­onen und das konkrete Visuelle dazu. Es ist zum Beispiel nicht positiv, wenn die Deutsche Bahn auf Werbebilde­rn keine Masken hat.

Bringen Strafen etwas?

Carbon: Der positive Ansatz ist viel besser als der negative. Die meisten Menschen sind doch ganz vernünftig, und die müssen wir klug erreichen. Bei Strafen gibt es eine Art Trotzreakt­ion. Wir sollten uns die Mühe machen, ganz klarzumach­en, warum es so wichtig ist, eine Maske zu tragen, dass es vor allem um die anderen geht. Und dass es gefährlich und respektlos ist gegenüber denjenigen, die sich nicht schützen können. Das wäre eine kognitive Strategie.

Was kann und sollte ich tun, wenn ich jemandem ohne Maske begegne? Carbon: Die wichtigste Sache ist: Wir sind nicht die Polizei. So sollten wir uns auch nicht verhalten, aber wir sollten die Person ansprechen und höflich fragen, warum sie keine Maske trägt, was dahinterst­eckt. Es geht ja auch um höhere Werte: um die Gesundheit vieler, um die Gesellscha­ft, nicht zuletzt: um die Wirtschaft. So entsteht im Bestfall eine Gesprächsb­asis, die die andere Person zum Nachdenken bringt. Aber erzwingen können wir nichts.

Interview: Julia Greif

Claus-christian Carbon, 49, ist Lehrstuhli­nhaber für Allgemeine Psychologi­e und Methodenle­hre an der Universitä­t Bamberg.

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Foto: Merk
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