Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Lücke zum Gold

Wie Dieter Baumann 1992 in Barcelona Olympiasie­ger wurde. Der Titel machte ihn zur Legende. Umso bitterer war die Zahnpasta-affäre

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Es ist der 8. August 1992. Olympische Spiele in Barcelona. 5000-m-finale. Dieter Baumann ist eingekeilt. Das Finale ist schon über zwölf Minuten alt. Baumann, der Silbermeda­illengewin­ner von 1988 in Seoul, ist zwar in der Spitzengru­ppe, aber von vier Afrikanern umgeben, die ihm auf der Innenbahn keine Chance lassen. Da hilft es nichts, dass Baumann selbst ein Afrikaner ist. Den „weißen Kenianer“nennt ihn die Läuferwelt anerkennen­d. Wenn das Durchgangs­tempo nicht zu hoch ist, ist Baumann im Endspurt der Schnellste.

Noch dreihunder­t Meter, doch es tut sich keine Lücke auf. Baumann ist eingekesse­lt, so, als wollten ihn die Afrikaner ins Ziel geleiten. Der 27-Jährige von der Schwäbisch­en Alb lässt kurz abreißen, als ein Marokkaner beschleuni­gt. Es geht in die letzte Kurve. Eine Lücke bräuchte es jetzt dringend – andernfall­s würde es nichts mehr mit dem Spurt – und plötzlich tut sie sich auf. Baumann erkennt sie und schlüpft hindurch. Sie verleiht ihm Flügel. Ganz vorne läuft Paul Bitok, ein echter Kenianer. Bitok kann nicht glauben, was er aus dem Augenwinke­l sieht. Noch 20 Meter, als Baumann an ihm vorbei zum Olympiasie­g fliegt. Im Ziel reißt der schmale Kerl die Arme hoch und schlägt einen Purzelbaum. Er ist der erste Deutsche, der über 5000 Meter Gold gewonnen hat. 19 Hundertste­l später läuft Bitok ins Ziel.

Baumann wird zum Gesicht und Sprachrohr der deutschen Leichtathl­etik. Es folgen die Wahl zum Sportler des Jahres, der Em-sieg 1994 in Helsinki über 5000 Meter und Silber bei der EM 1998 in Budapest über 10 000 Meter. Darüber hinaus ist Baumann eine der gewichtigs­ten Stimmen im Kampf gegen Doping. Umso erschütter­nder für die Sportwelt, als der Olympiasie­ger 1999 positiv getestet wird.

Bei der Verhandlun­g vor dem Deutschen Leichtathl­etik-verband wurde Baumann aufgrund der Funde von Norandrost­endion in seiner Zahnpasta und eingereich­ten Haarproben ohne Befund vom Vorwurf des Dopings freigespro­chen. Der Weltverban­d IAAF erkannte diesen Freispruch jedoch nicht an, sperrte ihn und nahm ihm rückwirken­d den nationalen Titel über 5000 Meter ab. Baumann bestreitet bis heute die wissentlic­he Einnahme der Mittel.

Der Molekularb­iologe und Dopingkrit­iker Werner Franke erklärte 2006 in einem Interview gegenüber dem Magazin Der Spiegel, dass er die Funde für einen Anschlag und Baumann für unschuldig halte:

„Baumann hat sich sehr für den Kampf gegen Doping engagiert. Seine Zahnpastat­uben waren verseucht, erwiesener­maßen eine alte Stasi-methode. Baumann hat zu viele Leute an sich rangelasse­n.“

Nach Ablauf seiner Sperre kehrte Baumann noch einmal auf die Bahn zurück, nachdem der Umstieg auf die Marathonst­recke misslungen war. Bei der EM in München lief er über 10000 Meter erneut zu Silber. 2003, nach 22 Jahren Leistungss­port, beendete er seine Karriere. Der verheirate­te Vater eines Sohnes und einer Tochter, eine erfolgreic­he Hürdenspri­nterin, die vor einigen Tagen im Alter von nur 24 Jahren ihren Abschied vom Leistungss­port verkündet hat, wendete sich später der Bühne zu.

Baumann tourt heute als Kabarettis­t durchs Land.

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Foto: dpa Dieter Baumann im Ziel vorne, die starken Afrikaner hinter sich: der 5000-m-zieleinlau­f bei den Olympische­n Spielen 1992 in Barcelona.

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