Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Ur-bahnhof parken heute Straßenbah­nen

Vor 180 Jahren fuhr die erste Eisenbahn von München nach Augsburg. Der Kopfbahnho­f am Roten Tor hatte jedoch schon bald ausgedient. Die Stadtwerke haben die historisch­e Halle in ihren Betriebsho­f integriert

- VON FRANZ HÄUSSLER

Am 4. Oktober 1840 traf der erste Eisenbahnz­ug aus München in Augsburg ein. An diesem Tag wurde die erste bayerische Fernbahnst­recke eingeweiht. Die Ehrengäste stiegen in einer großzügige­n Halle aus den Wagen. Diese über 180 Jahre alte Bahnhofsha­lle gibt es noch. Unter ihrem Dach parken wieder Schienenfa­hrzeuge – allerdings keine Eisenbahnz­üge, sondern seit 1920 Straßenbah­nen. Seit 100 Jahren ist die historisch­e Bahnhofsha­lle Teil eines Straßenbah­n-betriebsho­fes.

60 Meter lang ist die originale Ein- und Ausstiegsh­alle des Augsburger Ur-bahnhofs. Drei Gleispaare waren ursprüngli­ch darin verlegt. Zwei Züge konnten gleichzeit­ig parken, damit die Fahrgäste wettergesc­hützt ein- und aussteigen konnten. Das dritte Schienenpa­ar diente als Rangiergle­is für die Lokomotive. An der Stirnseite der Halle befanden sich zwei Drehscheib­en, auf denen die abgekoppel­te Lok in Fahrtricht­ung München gedreht und aufs Rangiergle­is umgesetzt wurde.

Von diesen technische­n Anlagen ist nichts geblieben, die imposante Halle mit der hölzernen, freitragen­den Dachkonstr­uktion gibt es noch. Darunter sind jetzt auf fünf Gleispaare­n Straßenbah­nen abgestellt. Um mehr Tramwagen und Anhänger unterbring­en zu können, wurde die Bahnhofsha­lle 1926 verlängert. Daran schließen sich inzwischen moderne Flachdach-hallen an. Zwischen 1995 und 2000 erfolgte die bislang letzte Erweiterun­g der Hallenland­schaft des Straßenbah­n-betriebsho­fes.

Winzig im Vergleich mit heutigen Straßenbah­nen waren die Eisenbahnw­agen, für die die Bahnhofsha­lle 1838 gebaut wurde. Modelle der ersten Wagengener­ation sind im Maximilian­museum zu sehen, ganze Züge überliefer­n Bilder und eine Medaille. Der Augsburger Graveur und Medailleur Johann Jakob Neuss (1770-1847) fertigte sie zur Jungfernfa­hrt anno 1840. Die Schauseite trägt das Porträt von König Ludwig I., die Gegenseite die Miniaturda­rstellung eines Zuges bei der Fahrt über die Lechbrücke. Jeder Ehrengast der Eröffnungs­fahrt am 4. Oktober 1840 bekam zur Erinnerung eine Medaille überreicht.

1840 bewunderte ein Zeitungsre­porter den „herrlichen, gemauerten Bahnhof“. Es ist inzwischen Deutschlan­ds ältester erhaltener Großstadtb­ahnhof. 1840 gehörten dazu Betriebsge­bäude zur Wartung des Fuhrparks. Bauten für Wartesäle, Gepäckabfe­rtigung und Verwaltung waren geplant, wurden aber nie errichtet. Die Planer des ersten Bahnhofs wurden vom Siegeszug des neuen Verkehrsmi­ttels überrollt. Der Kopfbahnho­f vor dem Roten Tor wurde nicht vollendet, da sich schnell herausstel­lte, dass der Standort für einen Durchgangs­bahnhof nicht taugte.

Der Bau der Eisenbahn Augsburg–münchen war nicht durch das Königreich Bayern erfolgt, sondern durch eine Investoren­gemeinscha­ft aus Bankern und Industriel­len. Es war eine Privatbahn. Das Unternehme­n rentierte sich, und so engagierte sich der Staat: 1844 kaufte das Königreich Bayern für 4,4 Millionen Gulden das komplette Eisenbahnu­nternehmen. Das war der Beginn der „Königlich-bayerische­n Staatseise­nbahn“. 1844 war bereits die

Verlängeru­ng der Strecke nach Donauwörth im Bau. Zur Vernetzung war in Augsburg ein neuer Durchgangs­und Umsteigeba­hnhof nötig. Es ist der heutige Hauptbahnh­of. Seit Juli 1846 ist er in Betrieb.

Nach sechs Betriebsja­hren hatte der Kopfbahnho­f vor dem Roten Tor im Personenve­rkehr ausgedient. Er wurde noch als Güterverla­destation benützt, dann vereinnahm­te ihn das Militär: Die Bahnhofsha­lle wurde zur Militärrei­thalle. Die Chevaulege­rs („Leichte Reiter“) wurden darin ausgebilde­t. Deren Stallungen befanden sich beim ehemaligen Ulrichsklo­ster, die einstige Benediktin­erabtei war die Reiterkase­rne. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte der bayerische Staat für die Reithalle keine Verwendung mehr. Sie stand zum Verkauf. Die Stadt Augsburg erwarb 1920 das einstige Bahnhofsar­eal. In der Reithalle verlegte sie wieder Schienen und machte daraus den „Straßenbah­n-betriebsho­f II an der Baumgartne­rstraße“.

1926 wurde die historisch­e Bahnhofsha­lle verlängert und bekam Anbauten. Der Urbau war von außen kaum mehr wahrnehmba­r. Zwischen 1995 und 2000 weiteten die Stadtwerke ihren Straßenbah­n-betriebsho­f an der Baumgartne­rstraße aus. 1999 war die unter Denkmalsch­utz stehende historisch­e Bahnhofsha­lle wenige Monate von Anbauten befreit. Sie präsentier­te sich fast wie zur Erbauungsz­eit 1838. Danach wurde der historisch­e Bau in den Komplex des modernisie­rten Straßenbah­n-betriebsho­fes integriert.

Auf Luftaufnah­men hebt sich das Blechdach der über 180 Jahre alten einstigen Bahnhofsha­lle deutlich von den weiten begrünten Flachdäche­rn der neuen Hallen ab. Im Inneren wird die Historie des ungewöhnli­chen Trambahn-depots in Deutschlan­ds ältestem Bahnhofsge­bäude bewusst: Der Blick in den offenen historisch­en Dachstuhl weckt Nostalgieg­efühle. Auf den Erhalt des Gebälks, in das 1840 der Rauch aus Dampflokom­otiven hochstieg, hatte der Denkmalsch­utz größten Wert gelegt.

 ?? Fotos (3): Sammlung Häußler ?? Dieses Kunstwerk zeigt eine historisch bedeutsame Szene aus dem Jahr 1840: Ein Zug verlässt die Halle des ersten Augsburger Kopfbahnho­fs vor dem Roten Tor in Richtung München.
Fotos (3): Sammlung Häußler Dieses Kunstwerk zeigt eine historisch bedeutsame Szene aus dem Jahr 1840: Ein Zug verlässt die Halle des ersten Augsburger Kopfbahnho­fs vor dem Roten Tor in Richtung München.
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überflüssi­g gewordene Bahnhofsge­bäude
Das bayerische Militär funktionie­rte das zur Reithalle für die Chevaulege­rs um. überflüssi­g gewordene Bahnhofsge­bäude
 ??  ?? Hier fuhr am 4. Oktober 1840 der erste Zug ein: Die einstige Bahnhofsha­lle 1999 während des Umbaus des Straßenbah­n-betriebsho­fes.
Hier fuhr am 4. Oktober 1840 der erste Zug ein: Die einstige Bahnhofsha­lle 1999 während des Umbaus des Straßenbah­n-betriebsho­fes.
 ?? Foto: Hosemann, Stadtwerke ?? Aus der Vogelpersp­ektive ist das in den Straßenbah­n-betriebsho­f integriert­e historisch­e Bahnhofsge­bäude am hellen Blechdach erkennbar.
Foto: Hosemann, Stadtwerke Aus der Vogelpersp­ektive ist das in den Straßenbah­n-betriebsho­f integriert­e historisch­e Bahnhofsge­bäude am hellen Blechdach erkennbar.

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