Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Mann und seine Taube

Mustafa Coban hat vor einem Jahr zufällig eine weiße, herrenlose Taube gefunden. Das zahme Tier und der 54 Jahre alte Augsburger sind inzwischen unzertrenn­lich. Das sorgt mitunter für Aufsehen in der Altstadt

- VON INA MARKS

Auch weiße Tauben haben ihren eigenen Kopf. Baris jedenfalls hat an diesem heißen Tag weder Lust seine Kunststück­chen vorzuführe­n noch Lust auf einen Spaziergan­g mit seinem Herrchen. Eiskalt lässt der Vogel Mustafa Coban stehen und macht buchstäbli­ch die Flatter – zurück auf das heimische Fensterbre­tt der Wohnung im ersten Stock im Lechvierte­l. Mustafa Coban schüttelt zwar den Kopf über so viel Eigensinn, aber er ist auch stolz auf die Taube. Vor einem Jahr fand er das besondere Tier auf der Straße. Seitdem scheinen die Taube und er unzertrenn­lich.

Eine weiße Taube, die einem Mann beim Spaziereng­ehen hinterhert­ippelt und ab und zu auf seinen Arm fliegt, ist kein alltäglich­es Szenario. Der Augsburger und sein gefiederte­r Freund sind ein ungewöhnli­ches Gespann. Im Lechvierte­l ist das Duo bekannt. „Viele Menschen nennen mich nicht Mustafa, sondern nur Taubenmann“, erzählt der 54-Jährige, der drei Kinder und drei Enkel hat. „Mit Baris habe ich nun im späteren Alter ein viertes Kind dazu bekommen“, sagt er und lacht. Ein Jahr ist es her, dass Mustafa Coban das orientieru­ngslose Tier auf einer Straße im Stadtteil Oberhausen gefunden hat.

Wie Coban erzählt, entdeckte er die weiße Taube im Sommer vergangene­n Jahres an der Donauwörth­er Straße. Sie saß im Schatten, wirkte orientieru­ngslos und sei gleich zutraulich auf ihn zugegangen. „Ich vermute, dass bei einer Hochzeitsf­eier weiße Tauben fliegen gelassen wurden. Diese war zurückgebl­ieben.“Tatsächlic­h kritisiere­n Tierschütz­er den Einsatz von weißen Tauben bei Festivität­en. Dies käme einem Aussetzen der Tiere gleich, die dann großen Gefahren durch Orientieru­ngsverlust oder durch Greifvögel ausgesetzt seien, heißt es etwa bei der Tierrechts­organisati­on Peta. Mustafa Coba hatte Mitleid mit dem weißgefied­erten Vogel, dessen genaue Art er nicht kennt.

Da dieser weder gechipt gewesen sei noch einen Ring am Bein hatte, nahm er die Taube mit nach Hause. Eigentlich hatte Coban vor, das Tier ins Tierheim zu geben. „Doch wir uns so schnell aneinander gewöhnt, dass ich es nicht übers Herz brachte.“Baris sei wie ein Kind. Die Taube folge ihm und seiner Lebensgefä­hrtin überallhin. Bis vor Corona begleitete das Tier sein Herrchen in die City-galerie oder zu Karstadt. „Seit der Pandemie nehme ich ihn aber nicht mehr in Geschäfte mit. Ich will keinen Ärger“, erklärt Coban. Sogar im Türkei-urlaub war die Taube dabei. Sie musste nicht fliegen, sondern fuhr im Auto mit. Vor ein paar Tagen nahm Coban das Tier auch mit zu seinem Friseur.

„Während meine Haare geschnitte­n wurden, war Baris mit seinem Spielzeug auf dem Boden.“Das Spielzeug ist ein kleiner weißer

Teddybär. Einst hing das Plüschtier­chen am Schlüsselb­und von Mustafa Coban. Aber als Baris immer wieder aufgeregt nahe dem Schlüsselb­und im Kreis lief und gurrte, verstand Coban schließlic­h, dass es dem Vogel um den Teddy ging. Manchmal braucht er noch etwas, um seine Taube zu begreifen. „Der Bär ist das einzige Spielzeug, das Baris mag. Er schleift es gerne herum. Vielleicht, weil der Teddy genauso weiß ist wie er.“Ganz so blütenweiß ist Baris Weste heute alhaben lerdings nicht. Nicht nur, dass ihm an diesem Tag die Hitze zu schaffen macht. Eine Frau mit Lippenstif­t hat beim Schmusen auch noch rote Spuren auf seinem Gefieder hinterlass­en.

Die Taube, deren Name im Türkischen „Friede“bedeutet, ist offensicht­lich beliebt. Da sich Baris gerne in einer Babybadewa­nne waschen lässt, werden die Kussspuren aber bald verschwund­en sein. Im Hause Coban wird auf Sauberkeit geachtet. Nach jedem Spaziergan­g, erzählt der „Taubenvate­r“, würden Baris’ Füße gewaschen.

Täglich geht Mustafa Coban mit seiner Taube spazieren. Nur wenn ein Auto kommt, nimmt der Mann den Vogel sicherheit­shalber hoch. Ist ein Hund im Anmarsch, flüchtet Baris oft auf den Arm. Sie würden häufig von Passanten fotografie­rt, erzählt der Mann stolz. „Baris begeistert die Menschen, bringt sie zum Lachen.“Für Coban sei die weiße Taube ein Geschenk Gottes. Nie, so beteuert er, würde er den Vogel hergeben.

Baris hat, so scheint es, längst eine neue Heimat gefunden. Er reagiert auf sein Herrchen, folgt auf Rufe, ist noch nie abgehauen. Bis auf heute. Als er bei der Hitze den Schnabel vom Gassigehen voll hat, lässt er Coban einfach stehen und fliegt heim. Kopfschütt­elnd folgt ihm der Augsburger nach Hause.

Der Vogel hat einen Bären als Spielzeug

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Sie sind ein eingespiel­tes Team: Mustafa Coban fand die weiße Taube vor einem Jahr auf der Straße – seitdem sind er und Baris unzertrenn­lich. Auch wenn der gefiederte Begleiter durchaus seinen eigenen Willen hat.
Foto: Silvio Wyszengrad Sie sind ein eingespiel­tes Team: Mustafa Coban fand die weiße Taube vor einem Jahr auf der Straße – seitdem sind er und Baris unzertrenn­lich. Auch wenn der gefiederte Begleiter durchaus seinen eigenen Willen hat.

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