Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der unerwünschte Präsident
Donald Trump reist nach Kenosha. Doch in der Stadt, in der zuletzt die Gewalt explodierte, will man ihn lieber nicht sehen
Washington Der Brief ist ebenso höflich wie eindringlich. „Kenosha durchleidet außergewöhnliche Trauer“, schreibt Tony Evers, der Gouverneur von Wisconsin. Der Demokrat schildert das Trauma der Stadt am Michigansee. Dort wurde ein Afroamerikaner von einem Polizisten mit sieben Schüssen in den Rücken schwer verletzt und zwei Demonstranten durch einen rechten Milizionär erschossen. „Ich bin besorgt, dass Ihre Gegenwart die Heilung nur behindern wird“, bittet er den Präsidenten der USA um eine Verschiebung seines Besuchs.
Der Appell dürfte Donald Trump kaum von seinem Auftritt in Kenosha abhalten, wo er am heutigen Dienstag Polizeikräfte treffen und sich ein Bild von den Zerstörungen durch die gewaltsamen Proteste der vergangenen Tage machen will. Er hatte zuletzt die „radikalen“demokratischen Bürgermeister für die Unruhen in mehreren Städten verantwortlich gemacht und ihrem Präsidentschaftskandidaten Joe Biden Sympathien für die Krawalle unterstellt: „Wann wird der langsame Joe Biden die Anarchisten, Schläger und Provokateure der Antifa kritisieren?“Allerdings hatte sich Biden längst unmissverständlich von jeglicher Gewalt distanziert. Auch gingen die jüngsten Unruhen auf das Konto von Trump-anhängern. So patrouillierten am Samstag mehrere hundert schwere Fahrzeuge von Unterstützern des Präsidenten durch die linksliberale Stadt Portland in Oregon. Auf Videoaufnahmen kann man sehen, wie die Trump-unterstützer von ihren Pick-ups aus linke Demonstranten mit Paintballs und Tränengas beschießen. Ein rechter Gegendemonstrant kam am Samstag durch Schüsse ums Leben. Es ist bisher nicht geklärt, ob der Todesfall mit den Zusammenstößen in Verbindung steht.
Ausgelöst worden waren die überwiegend friedlichen, in einigen Städten aber von Krawallen, Brandschatzung
und Plünderungen begleiteten Anti-rassismus-proteste durch Polizeigewalt gegen Afroamerikaner. Doch Trump ist es in den vergangenen Wochen gelungen, die öffentliche Aufmerksamkeit vom eigentlichen Anlass auf die Bilder der Verwüstung zu lenken, die er als Verfechter von „Law and Order“beenden werde.
Seine scheidende Beraterin Kellyanne Conway hat die Strategie in einem Interview mit dem rechten Nachrichtensender Fox offengelegt: „Je mehr Chaos, Anarchie, Vandalismus und Gewalt herrscht, desto besser ist es für die sehr klare Wahl, wer am besten bei öffentlicher Sicherheit und Recht und Ordnung ist.“Eine Taktik, die das Biden-lager in ein Dilemma treibt. Biden selbst möchte den Fokus des Wahlkampfes auf Trumps Versagen in der Corona-pandemie halten. Angeblich hatte er dennoch erwogen, einen Tag vor Trump am Montag in Kenosha aufzutreten. Doch dann entschied er sich dagegen. Das Kalkül: Die Bilder der zu befürchtenden Unruhen sollen mit Trump alleine verbunden werden. Am Montagabend meldete sich Biden schließlich aus Pittsburgh zu Wort: „Dieser Präsident kann die Gewalt nicht beenden.“Er mache die Situation nicht besser, sondern immer schlimmer. Jetzt setze er auf „Law and Order“, auf Recht und Ordnung, und betreibe eine Politik der Angst – alles für seine Wiederwahl.