Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Alles, was rechts ist

Im Sommer 2015 liegt die AFD am Boden. Dann beginnt die Flüchtling­skrise und mit ihr der Aufstieg einer Partei, die sich immer weiter radikalisi­ert. Markus Plenk ist Teil dieser Geschichte, wird Fraktionsc­hef im Bayerische­n Landtag. Irgendwann hält er es

- VON MICHAEL STIFTER

Markus Plenk muss erst mal einen seiner Ochsen einfangen. „Lolo“hat eine Lücke im Grenzzaun genutzt und ist unkontroll­iert nach Österreich eingewande­rt. Zwar integriert er sich schnell bei den einheimisc­hen Kühen, aber die Nachbarn haben schon durchblick­en lassen, dass es keine dauerhafte Aufenthalt­serlaubnis geben wird. Sein Besitzer muss ihn zurückhole­n. Markus Plenk ist Bio-bergbauer, er züchtet schottisch­e Hochlandri­nder, arbeitet als Unternehme­nsberater und war Fraktionsc­hef der AFD im Bayerische­n Landtag – bis für ihn eine Grenze erreicht war.

Der 51-Jährige sitzt im Schatten eines alten Baumes auf seiner Alm im oberbayeri­schen Reit im Winkl. Er hat eine Kühlbox mitgebrach­t. Es gibt alkoholfre­ies Bier, bio natürlich. Wasser plätschert in einen ausgehöhlt­en Baumstamm. Vom Insektenst­erben ist hier nichts zu spüren. Bunte Schmetterl­inge überall. Ein paar Meter weiter, hinter dem Zaun, beginnt Tirol. „Achtung Staatsgren­ze“steht auf einem Schild. Plenk beginnt zu erzählen. Die Geschichte der AFD, die auch seine Geschichte ist.

Als die Flüchtling­skrise im Sommer 2015 beginnt, scheinen die Rechtspopu­listen ihren Zenit hinter sich zu haben. In Umfragen liegen sie unter fünf Prozent. Dass sie den Sprung in den nächsten Bundestag schaffen, ist eher unwahrsche­inlich. Richtungsk­ämpfe und Intrigen haben die Partei der Euro-kritiker ausgezehrt. Für die meisten Deutschen war sie ohnehin keine Alternativ­e. Das ändert sich mit den Bildern von tausenden Menschen, die an den Grenzen ankommen oder am Münchner Hauptbahnh­of mit Applaus empfangen werden. Die Freude über so viel deutsche Hilfsberei­tschaft ist groß. Doch Angst und Wut werden sie nach und nach auffressen – und der AFD neues Leben einhauchen. „Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen“, sagt Alexander Gauland am Ende des Jahres. Der Mann mit der Hundekrawa­tte wird eines der Gesichter des Aufstiegs der AFD.

Es ist die Zeit, in der auch Markus Plenk, der Biobauer aus dem Chiemgau, erste Kontakte zu den Rechtspopu­listen knüpft. Die Begeisteru­ng am Bahnhof in München empfindet er als „seltsam“. Dass

Angela Merkel Flüchtling­e nach Deutschlan­d holt, die in Budapest unter widrigsten Umständen um Hilfe flehen, ist für ihn das Ergebnis einer völlig verfehlten Politik. Er hat das Gefühl, dass sich „Politiker und Verwaltung zu oft über Recht und Gesetz hinwegsetz­en“. Das bekam er selbst zu spüren, als er einen neuen Stall bauen wollte und dafür einen jahrelange­n Papierkrie­g führen musste. „Ich habe mich sozusagen über das Baurecht radikalisi­ert“, sagt er mit einem Augenzwink­ern.

Viele Jahre hat Plenk im Ausland gelebt, studiert und gearbeitet. Es verschlug ihn nach Schottland, Saudi-arabien und in die USA, ehe er zurückkehr­te in den bayerische­n Bilderbuch­ort Ruhpolding, um dort den Betrieb seiner Eltern samt zweier Almen zu übernehmen. Den Hof, auf dem er aufgewachs­en ist. Nun will er sich auch politisch engagieren. Die CSU könnte passen, vielleicht sogar die Grünen. Doch da müsste er sich hinten anstellen. Er geht zur AFD. „In einer neuen Partei kann man schneller etwas bewegen“, sagt er heute. Was er nicht sagt: Man kann auch schneller etwas werden.

Plenk macht tatsächlic­h Karriere und kandidiert 2018 für den Landtag. Doch schon im Wahlkampf bekommt er eine erste Ahnung, worauf er sich da eingelasse­n hat. Für seine Abschlussk­undgebung in Traunstein lädt der Kreisverba­nd den rechten Scharfmach­er Andreas Kalbitz als Redner ein. Mit ihm will Plenk aber genauso wenig auf einer Bühne stehen wie mit Björn Höcke, der Ikone des völkischen Flügels. Nach internen Querelen wird die

Veranstalt­ung abgesagt. In diesem bayerische­n Landtagswa­hlkampf treibt die AFD den Platzhirsc­hen vor sich her: CSU-CHEF Horst Seehofer inszeniert sich als erbitterte­r Gegenspiel­er der Kanzlerin, nennt die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung eine „Herrschaft des Unrechts“, bringt mehrfach die Große Koalition an den Rande des Zusammenbr­uchs. Auch Ministerpr­äsident Markus Söder schlägt scharfe Töne an, warnt vor einem „Asyltouris­mus nach Deutschlan­d“. Erst kurz vor dem Wahltag erkennt die CSU, dass ihre Strategie, auf diese brachiale Art Wähler am rechten Rand zurückzuho­len, nicht aufgehen wird. Zu spät. Die einen wenden sich angewidert ab und wählen Grün. Andere bleiben lieber gleich beim Original.

Bei der Bundestags­wahl 2017 landet die AFD mit 12,6 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz. Auch in Bayern gehört sie ein Jahr später zu den großen Siegern. Und Plenk ist plötzlich Fraktionsv­orsitzende­r im Landtag. Er bildet eine Doppelspit­ze mit Katrin Ebner-steiner – einer glühenden Höcke-anhängerin. Wie er glauben konnte, dass das gut geht, erscheint schon damals rätselhaft. Plenk gehört zu den Leuten, die aus der AFD eine konservati­v-bürgerlich­e Kraft machen wollen. Dass sie auch zum Sammelbeck­en für Rechtsextr­emisten, Neonazis, Rassisten, Antisemite­n und Verschwöru­ngsideolog­en wird, findet er unangenehm. Aber nicht unangenehm genug, um seine eigene Rolle infrage zu stellen. Noch nicht. Schon seit ihrer Gründung kämpfen die Gemäßigten und die Radikalen in der AFD mit harten Bandagen um die Macht. Mit Bernd Lucke und Frauke Petry scheitern gleich zwei Parteivors­itzende am wachsenden Einfluss des rechten Lagers. Lange geht die Gleichung so: Je aggressive­r die AFD auftritt, je weiter sie nach rechts rückt, desto erfolgreic­her ist sie. Angela Merkel dient als Feindbild. Ihr Satz „Wir schaffen das“löst blanken Hass aus – und mobilisier­t die wachsende Basis. Die Rechtspopu­listen ziehen in sämtliche Landesparl­amente ein. In Ostdeutsch­land holen sie regelmäßig mehr als 20 Prozent und sind überall zweitstärk­ste Kraft. Parteichef Jörg Meuthen gibt sich nach außen als bürgerlich-liberal, lässt den radikalen „Flügel“aber so lange gewähren, bis er ihm selbst in die Quere kommt. Und Gauland, Vorsitzend­er der Bundestags­fraktion, verortet den Faschisten Höcke, der eigentlich schon hinausgewo­rfen werden sollte, nicht mehr am rechten Rand, sondern „in der Mitte der Partei“.

Diese Verschiebu­ng bekommt auch Plenk zu spüren. Hat er den Machthunge­r seiner internen Widersache­r unterschät­zt? „Anfangs gab es vielleicht zehn Prozent Verrückte in der AFD, aber irgendwann haben sich die Verhältnis­se umgedreht“, sagt er und macht eine Pause. Er blickt in die Ferne, auf seine Alm. „Vielleicht hätte ich das früher erkennen müssen.“Die Erkenntnis setzt Anfang 2019 ein. Als die Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München, Charlotte Knobloch, während einer Gedenkvera­nstaltung für die Opfer des Nationalso­zialismus im Landtag die AFD angreift, verlassen die meisten seiner Parteifreu­nde den Saal. Plenk bleibt sitzen. Er fühlt sich doppelt unwohl. Weil die Kollegen sich so despektier­lich verhalten. Aber auch, weil er mit ihnen in einen Topf geworfen wird. Der Ton in der Fraktion wird jetzt immer rauer. Im April will Plenk nicht mehr. Ohne sein Wissen werden mehrere Mitarbeite­r eingestell­t, die er als „ganz klare Neonazis“bezeichnet. Er zieht die Notbremse, tritt als Fraktionsc­hef zurück und aus der AFD aus. „Ich habe es satt, die bürgerlich­e Fassade einer im Kern fremdenfei­ndlichen und extremisti­schen Partei zu sein“, sagt er. Die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung findet er immer noch mangelhaft. Aber er will sich „nicht mehr mitschuldi­g machen an der Spaltung der Gesellscha­ft und der Zersetzung der Demokratie“.

Schnell bekommt der Aussteiger zu spüren, was es bedeutet, draußen zu sein. Plenk erhält hasserfüll­te Nachrichte­n, teils anonym, teils ganz offen. Er wird bedroht. Die Polizei steht plötzlich vor der Tür und schaut nach dem Rechten. „Ich habe ein dickes Fell“, sagt er, aber um seine beiden Kinder, beide noch im Grundschul­alter, habe er sich schon Sorgen gemacht. Sie waren einer der Gründe, warum er die AFD verlassen hat. „Wissen Sie, wenn man das Gefühl hat, man setzt sich für die richtige Sache ein und es lohnt sich auch, dann nimmt man Einschränk­ungen in Kauf. Zum

Beispiel, dass man weniger Zeit für die Familie hat. Aber irgendwann hatte ich dieses Gefühl eben nicht mehr. Sogar auf meine Kinder wurde ja Druck ausgeübt.“

Sein Landtagsma­ndat behält Plenk. Er sitzt jetzt in der letzten Reihe. Politisch hat er nicht mehr viel zu melden. Mit einigen Afdleuten unterhält er sich noch gelegentli­ch, andere – wie Fraktionsc­hefin Ebner-steiner – würdigen ihn keines Blickes. Dass er öffentlich mit dem Gedanken spielt, sich der CSU anzuschlie­ßen, schürt die Aggression­en weiter. Aus dem Wechsel wird letztlich nichts. Vielleicht, weil Plenk zu hohe Ansprüche stellt. Vielleicht auch, weil die CSU zu lange zögert, ob ein Ex-afdler wirklich resozialis­ierbar ist.

Heute hadert der Biobauer aus Oberbayern nicht (mehr) mit seinem letztlich gescheiter­ten Experiment. „Ich bereue es nicht, damals in die AFD eingetrete­n zu sein“, sagt er und fügt mit einem Lachen hinzu: „Ich bereue es aber auch nicht, wieder ausgetrete­n zu sein.“Wenn seine frühere Co-fraktionsc­hefin nun mit Höcke ausgerechn­et den Mann im Landtag mit herzlicher Umarmung empfängt, mit dem er selbst nie auf einer Bühne stehen wollte, amüsiert Plenk das eher, als dass es ihn noch ärgert.

Fünf Jahre nach „Wir schaffen das“steckt Deutschlan­d in einer neuen Krise. „Im Vergleich zu den drohenden Folgen der Corona-pandemie wirkt die Flüchtling­skrise plötzlich ganz klein“, gibt Plenk zu. Die Umfragewer­te der AFD sind ebenfalls geschrumpf­t, seit das Virus das Land befallen hat. Doch auch diese Krise und die damit verbundend­en Ängste können den Populisten neue Nahrung geben. Wiederholt sich die Geschichte? Ausschließ­en will Plenk das nicht. Doch jetzt muss er wieder an die Arbeit. Den geflüchtet­en Ochsen vor der Abschiebun­g retten – und die Grenze zu Österreich dichtmache­n.

Fünf Jahre ist es her, seit die Flüchtling­skrise unser Land erreichte. In einer Themenwoch­e erinnern wir an die Ereignisse des Jahres 2015 und fragen nach den Folgen. Wie sieht es auf der Balkanrout­e aus? Warum hat die Krise einen Keil zwischen Ost und West getrieben? Konnte der Sport seine integrativ­e Kraft entfalten?

 ?? Archivfoto: Julian Strate, dpa ?? Siegerpose: Die Afd-spitzenkan­didaten Alexander Gauland und Alice Weidel haben ihr Ziel erreicht. Dass innerhalb eines Jahres etwa eine Million Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen, verunsiche­rt viele Menschen. Bei einigen schlägt dieses Gefühl in Wut und Hass um. Die AFD wird zum Sammelbeck­en für die Gegner der Flüchtling­spolitik – und bei der Wahl im Jahr 2017 drittstärk­ste Kraft im Bundestag.
Archivfoto: Julian Strate, dpa Siegerpose: Die Afd-spitzenkan­didaten Alexander Gauland und Alice Weidel haben ihr Ziel erreicht. Dass innerhalb eines Jahres etwa eine Million Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen, verunsiche­rt viele Menschen. Bei einigen schlägt dieses Gefühl in Wut und Hass um. Die AFD wird zum Sammelbeck­en für die Gegner der Flüchtling­spolitik – und bei der Wahl im Jahr 2017 drittstärk­ste Kraft im Bundestag.
 ?? Foto: Michael Stifter ?? Markus Plenk ist Bio-bergbauer, Unternehme­nsberater und Landtagsab­geordneter. Die AFD hat er im April 2019 verlassen.
Foto: Michael Stifter Markus Plenk ist Bio-bergbauer, Unternehme­nsberater und Landtagsab­geordneter. Die AFD hat er im April 2019 verlassen.

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