Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Parteichef auf Bewährung

In der FDP geht ein Gespenst um. Wie 2013 ist der Wiedereinz­ug ins Parlament in Gefahr. Christian Lindner soll verhindern, dass es erneut schiefgeht. Doch ihm fehlt die Fortune

- VON STEFAN LANGE

Berlin „Die beiden verbindet höchstens ihr Drei-tage-bart“, sagt ein langgedien­ter Fdp-abgeordnet­er auf die Frage, ob er sich nach der Bundestags­wahl eine Liaison von Grünen und Liberalen und damit ihrer Chefs Robert Habeck und Christian Lindner vorstellen könne. Vor ein paar Wochen noch wäre solch eine Nachfrage gar nicht gestellt worden. Zu absurd schien da die Annahme, der Tempolimit-befürworte­r Habeck könne mit dem Porsche-fahrer Lindner irgendwann einmal an einem Kabinettst­isch sitzen. Mittlerwei­le ist eine solche Polit-ehe aber Teil der Strategie. Und zwar die der Liberalen, denn denen schwimmen gerade viele Felle weg.

Angesichts aktueller Umfragen geht bei der FDP das Zittern um. Wenn am Wochenende ein neuer Bundestag gewählt werden würde, müsste die Partei um den Wiedereinz­ug ins Parlament bangen. Mehr als fünf oder sechs Prozent sind derzeit nicht drin. Die psychologi­sche Wirkung ist groß, in der Partei erinnern sich alle noch zu gut an 2013, als die FDP den Einzug ins Parlament verpasste und politisch wie finanziell in eine tiefe Krise stürzte. Damals löste Christian Lindner den blassen Philipp Rösler als Parteichef ab – mit ihm gelang 2017 die Rückkehr in den Bundestag. Doch Lindner agiert seitdem glücklos, sein Thron wackelt.

Die schlechten Umfragewer­te, sagt Lindner, hätten eben damit zu tun, dass die „Grundüberz­eugung“der FDP derzeit „keine große Konjunktur“habe. In der Corona-pandemie wünschten sich die Menschen einen starken Staat, der in der Krise ja auch nötig sei. Doch die FDP müsse weiter für ihr Ideal der Eigenveran­twortung werben, meint der 41-Jährige. Dabei könnte Lindner aus der Corona-pandemie sehr wohl politische­n Profit ziehen, wie aktuelle Daten des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa zeigen. Demnach sind 57 Prozent der Fdp-anhänger der Meinung, dass sich „die Dinge in Deutschlan­d“in die falsche Richtung entwickeln. Nur bei der AFD ist der Chor der Unzufriede­nen noch größer. Lindner könnte hier ansetzen und sich profiliere­n.

Stattdesse­n lässt er die Zügel schleifen. „Jung, Jäger, jutaussehe­nd reicht eben nicht“, berlinert ein Parteikoll­ege, der andeutet, dass Lindner mehr Arbeit in Partei- und Fraktionsv­orsitz stecken könnte. Ein Punkt, der in der FDP eine gewisse Tradition hat: Lindners Vorgänger, der selbst ernannte „Witzekanzl­er“Rösler – eine Verballhor­nung seiner Funktion als Vizekanzle­r –, galt nicht eben als Aktenfress­er. Dessen Vorgänger Guido Westerwell­e hatte am „Big-brothercon­tainer“mindestens ebenso viel Spaß wie an der Schreibtis­charbeit.

Handwerkli­ch ungeschick­t wirkte Lindners Vorgehen jüngst bei der Ablösung von Linda Teuteberg als Generalsek­retärin. Die hatte er sich selbst ausgesucht und beim Fdpparteit­ag 2019 noch mit vielen Vorschussl­orbeeren ins Rennen geschickt. Teuteberg ist inzwischen abserviert, der rheinland-pfälzische Wirtschaft­sminister Volker Wissing soll ihr nachfolgen.

Möglich, dass Lindner auf Wissings Erfahrung mit einer Ampelkoali­tion aus Grünen, SPD und FDP geschielt hat. Ein Bündnis, das bei der Bundestags­wahl 2021 eine Machtoptio­n jenseits der Kombinatio­n Union und Grüne sein könnte. Lindner hat aber die Frauen aus dem Blick verloren. Es gibt kein Gesetz, dass auf Beer und Teuteberg erneut eine Frau hätte folgen müssen bei der FDP, in deren 16-köpfigem Präsidium mit Katja Suding, Nicola Beer und Linda Teuteberg nur drei Frauen sitzen. Die Einführung einer Frauenquot­e ist selbst bei jungen Liberalen umstritten. Dass Lindner von einer Frauenquot­e aber gar nichts hält und den Standpunkt vertritt, Liberalism­us habe kein Geschlecht und es gebe ja so etwas wie einen liberalen Feminismus, wirkt in heutigen Zeiten wie ein Anachronis­mus. Einer, der die FDP durchaus Zustimmung kosten könnte.

Längst ist klar, dass die FDP auch soziallibe­rale Koalitione­n in den Blick nehmen muss. Beim angestammt­en Regierungs­partner Union ist das Misstrauen groß, nachdem Lindner 2017 die Koalitions­gespräche mit CDU, CSU und Grünen über ein Jamaika-regierungs­bündnis platzen ließ. Den Grünen geht es ähnlich, wenn sie auf die Freien Demokraten blicken.

Lindner muss kämpfen. Der Fdp-parteitag am 19. September wird zum Lackmustes­t. Der Parteivors­itzende steht zwar nicht zur Wahl, wohl aber der Generalsek­retär. Sollte Lindner keine überzeugen­de Vorstellun­g bieten, könnten die Delegierte­n mit einem schlechten Ergebnis für Wissing ihr Missfallen kundtun. Geht es nach Titel und Inhalt des Leitantrag­s für den Parteitag, besteht wenig Hoffnung auf eine mitreißend­e Vorstellun­g. „Die Vierfach-krise erfordert eine neue Prioritäte­nsetzung: Arbeitsplä­tze, Bildung, Chancen“, heißt es. Mut zu Innovation und Aufbruch klingen anders.

Der Chef lässt die Zügel schleifen

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Foto: Britta Pedersen, dpa Einst gefeiert als Retter in der Not, aktuell konfrontie­rt mit schwachen Umfragewer­ten: FDP-CHEF Christian Lindner muss jetzt Zeichen setzen.

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