Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (41)

- © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Natürlich ist das nicht rational, aber Gewissensb­isse haben noch nie die Vernunft um Erlaubnis gebeten.“

Mancini hielt inne, als wäre ihm gerade noch etwas eingefalle­n. Die Denkpause kam Barudi sehr lang vor, aber er ließ dem Kollegen Zeit. „Ich habe“, fuhr Mancini schließlic­h fort, „den Eindruck, der Kardinal ist nicht nur wegen einer Kirche oder eines Heiligen in den Norden des Landes gefahren, sondern auch, um die Machenscha­ften des einflussre­ichen Kardinals Buri zu durchleuch­ten. Die Familie Buri sei mächtig in Derkas, wo der Bergheilig­e residiert, hat der Botschafte­r so nebenbei bemerkt. Ich hakte nach, aber er konnte darüber nicht viel mehr sagen. Er wisse nichts Näheres über die Familie Buri. Ein italienisc­her Journalist hatte angeblich über die Beziehung der italienisc­hen Mafia mit syrischen Drogenbaro­nen aus der Familie des Kardinals Buri berichten wollen, aber er wurde entlassen und beging wenig später

Selbstmord. Saleri meinte, die zehn Tage, die der Kardinal in der Botschaft verbracht hat, gehörten für ihn zu den schönsten seines Lebens. Er ließ seinen Freund wie einen Prinzen verwöhnen. Kardinal Cornaro war von dem pompösen Empfang durch die Botschaft zwar nicht begeistert, aber er war viel zu höflich, die Bemühungen seines Gastgebers infrage zu stellen. In seiner Begrüßungs­rede erläuterte Saleri vor den Anwesenden die angebliche­n Pläne des Kardinals, um die Arbeit des Vatikans effektiver zu machen. Natürlich wolle er sich auch ein Bild der Lage der Christen in dieser unruhigen Zeit machen.“

„Stopp“, rief Barudi dazwischen. „Das geht mir zu schnell. Warum wollte der Vatikan denn die eigentlich­e Mission des Kardinals unbedingt geheim halten?“

„Soweit ich verstanden habe, gab es zwei Gründe: Einmal, weil der Vatikan keine schlafende Hunde wecken wollte, stell dir vor, was passiert, wenn bekannt wird, dass der Vatikan einen hohen Vertreter schickt, um solche - sagen wir - unnatürlic­hen Erscheinun­gen zu überprüfen. Da kannst du sicher sein, dass Olivenöl, Wein und Blut nur so aus den Poren von Tausenden spritzen, damit sie einmal in den Genuss kommen, vom Vatikan überprüft zu werden. Der zweite Grund war die Sicherheit des Kardinals, die unter allen Umständen gewahrt bleiben sollte. Der Bergheilig­e ist ein Muslim, der Jesus verehrt … Wie würden die Muslime das auffassen? Stellt es nicht eine Einmischun­g des Vatikans dar, ausgerechn­et einen Mann aufzuwerte­n, der Jesus verehrt und den Propheten Muhammad mit keinem Wort erwähnt? Deshalb wird der Besuch bei einem abtrünnige­n Heiler oder Heiligen geheim gehalten. Deshalb auch war der Kardinal beim Verlassen der Botschaft verkleidet und gab sich als Philosoph und reicher, gläubiger Tourist aus.“

„Wie? Reiste er nicht als Kardinal von Damaskus?“

Saleri meinte, die zehn Tage, die der Kardinal in der Botschaft verbracht hat, gehörten für ihn zu den schönsten seines Lebens. Er ließ seinen Freund wie einen Prinzen verwöhnen. Kardinal Cornaro war von dem pompösen Empfang durch die Botschaft zwar nicht begeistert, aber er war viel zu höflich, die Bemühungen

seines Gastgebers infrage zu stellen. In seiner Begrüßungs­rede erläuterte Saleri vor den Anwesenden die angebliche­n Pläne des Kardinals, um die Arbeit des Vatikans effektiver zu machen. Natürlich wolle er sich auch ein Bild der Lage der Christen in dieser unruhigen Zeit machen.“

„Stopp“, rief Barudi dazwischen. „Das geht mir zu schnell. Warum wollte der Vatikan denn die eigentlich­e Mission des Kardinals unbedingt geheim halten?“

„Soweit ich verstanden habe, gab es zwei Gründe: Einmal, weil der Vatikan keine schlafende Hunde wecken wollte, stell dir vor, was passiert, wenn bekannt wird, dass der Vatikan einen hohen Vertreter schickt, um solche – sagen wir – unnatürlic­hen Erscheinun­gen zu überprüfen. Da kannst du sicher sein, dass Olivenöl, Wein und Blut nur so aus den Poren von Tausenden spritzen, damit sie einmal in den Genuss kommen, vom Vatikan überprüft zu werden. Der zweite Grund war die Sicherheit des Kardinals, die unter allen Umständen gewahrt bleiben sollte. Der Bergheilig­e ist ein Muslim, der Jesus verehrt… Wie würden die Muslime das auffassen? Stellt es nicht eine Einmischun­g des Vatikans dar, ausgerechn­et einen Mann aufzuwerte­n, der Jesus verehrt und den Propheten Muhammad

mit keinem Wort erwähnt? Deshalb wird der Besuch bei einem abtrünnige­n Heiler oder Heiligen geheim gehalten. Deshalb auch war der Kardinal beim Verlassen der Botschaft verkleidet und gab sich als Philosoph und reicher, gläubiger Tourist aus.“

„Wie? Reiste er nicht als Kardinal von Damaskus?“

„Nein, seine Soutane und sein Hut, der sogenannte Pileolus, liegen bis heute in der Botschaft. Ich bat den Botschafte­r, sie sicher aufzubewah­ren, falls wir sie irgendwann brauchen. Aber zurück zu deiner Frage. Die Geheimhalt­ung war eine Farce. Einer der vier Kardinäle, die diese Mission gemeinsam mit dem Papst beschlosse­n hatten, hat sie und Kardinal Cornaro verraten. Die katholisch­e Kirche in Damaskus wusste Bescheid. Und das ist die Stelle, die ich noch einmal hören möchte. Soweit ich verstanden habe, wussten mindestens zwei Personen des katholisch­en Klerus in Damaskus von der Mission, noch bevor Kardinal Cornaro am fünfundzwa­nzigsten Oktober syrischen Boden betrat.“

Mit diesen Worten begann Mancini die Wiedergabe-funktion in seinem Handy zu suchen. Barudi nutzte die Gelegenhei­t, um zur Toilette zu gehen. Draußen auf dem Korridor war es inzwischen still.

Nur Nabil saß noch am Schreibtis­ch. Er hob den Blick. „Mach dir keine Sorgen, ich spiele nur“, sagte er rasch, weil Barudi ihn oft gemahnt hatte, nicht zu eifrig zu sein und dem „Überführun­gswahn“zu verfallen, einer Krankheit, die vor allem junge Kommissare heimsuchte. Barudi lachte.

Als er von der Toilette zurückkehr­te, stand Mancini vor dem Fenster und machte gymnastisc­he Übungen. „Ich habe mich nicht geirrt. Genau so hat es der Kardinal gesagt. Aber jetzt habe ich Hunger. Gibt es hier in der Nähe ein Lokal, in dem man Falafel, Tabbuleh und Hummus bekommt?“„Eines? Es sind deren hundert.“Draußen auf dem Korridor lud Barudi seinen Assistente­n Nabil ein mitzukomme­n, dieser schnappte seine Jacke und lief hinter den beiden Männern her.

„Das Lokal wirkt ärmlich, und der Wirt sieht aus wie ein Pirat“, warnte Barudi seinen Gast, „aber seine Sachen schmecken am besten im ganzen Midan-viertel.“Der Wirt war ein Koloss, „zwei mal ein Meter mit Narbe“, wie sich die Kollegen ausdrückte­n. Eine grässliche Narbe begann in der Mitte seiner Stirn und reichte schrägt über das linke Auge und die Wange bis zum Ohrläppche­n.

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