Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kunst-krimi um ein Jesuskind

Daniel Mauch, der große Bildschnit­zer aus Ulm, erhielt Ende des 15. Jahrhunder­ts einen Altar-auftrag aus Südtirol. Eine Ausstellun­g in Trient deckt die antisemiti­sche Geschichte hinter dem Meisterwer­k auf

- VON DAGMAR HUB

Ulm/trient. An vielen im Hoch- und Mittelalte­r erbauten christlich­en Kirchen Europas gibt es antijudais­tische Darstellun­gen wie die „Judensau“, über die nicht nur in Wittenberg und Regensburg gestritten wird. Und verzerrte, hässliche jüdische Gesichter zeigen in Folterszen­en viele spätgotisc­he Darstellun­gen der Passion Christi – ob in Malerei oder Druckgrafi­k. Stereotype Schmähbild­er sollten die Christen negativ gegenüber Juden einstellen – in einer Zeit, als Juden in Westund Mitteleuro­pa auch vorgeworfe­n wurde, durch Vergiftung der Brunnen die Pest verursacht zu haben. Weiteres Beispiel: In der Bessererka­pelle des Ulmer Münsters setzte der Glasmaler Hans Acker Juden an den tiefsten Punkt der Hölle.

Dieses Ulm war in der Spätgotik ein bedeutende­s Zentrum sakraler Kunst; es strahlte nach Österreich, in die Schweiz und Italien aus. So bleibt auch nicht verwunderl­ich, dass jüngst ein weiteres Exempel antijudais­cher Kunst aus Ulmer Hand entdeckt wurde – ein Schnitzwer­k von Daniel Mauch, der als letzter großer Vertreter der Ulmer Schule gilt. Es war dem Kölner Auktionsha­us Van Ham angeboten worden, und der begutachte­nde Experte Guido de Werd stieß bei seiner Untersuchu­ng auf eine Überraschu­ng: Das Werk bezieht sich auf die wohl folgenschw­erste Falschbesc­huldigung von Juden im späten Mittelalte­r. In den Verkauf kam die Darstellun­g nicht, stattdesse­n befindet sie sich jetzt als Leihgabe in Trient.

Auf den ersten Blick scheint das Jesuskind in der Krippe zu liegen – von Eltern und Engeln umgeben. Aber da ist auch manches anders als üblich dargestell­t: Das Kind hat ein Tuch um den Hals, und es hat – wie tot – die Augen geschlosse­n. Dass es sich trotz aller offensicht­lich gewollten Ähnlichkei­t zur Darstellun­g der Geburt Christi hier aber nicht um eine Weihnachts­szene handeln konnte, wurde dem Experten auch anhand eines nachträgli­chen, die Darstellun­g verändernd­en Holzeinsat­zes an einer Seite des Kindes klar.

Bei seinen Recherchen stieß de Werd auf einen Auftrag an Daniel Mauch (Ulm ~1477–1540 Lüttich) zu einem Hochaltar in Trient. Mauch schuf, gestützt auf jene örtlichen Quellen der Zeit, die die Juden von Trient wahrheitsw­idrig eines

Ritualmord­es an einem kleinen Kind für schuldig erklärten, ein Bildprogra­mm, das in seiner Prägnanz der Unterfütte­rung der Falschbesc­huldigunge­n heute noch erschrecke­n lässt.

Am Karfreitag des Jahres 1475 meldete in Trient der Gerbermeis­ter Andreas Unverdorbe­n, dass sein Sohn Simon tags zuvor verschwund­en sei und man ihn ohne Erfolg gesucht habe. Am Ostersonnt­ag fand der Vorsteher der jüdischen Gemeinde der Stadt die Leiche des etwa zweieinhal­bjährigen Kindes in einem zur Etsch führenden Graben, der auch an seinem Haus vorbeiflos­s. Schnell wurden die Juden für schuldig am Tod des Kindes erklärt: Ein Ritualmord an dem Kleinkind

ihnen christlich­es Blut verschafft, das in den für das Pessachfes­t zuzubereit­enden Matzen verwendet worden sei. In den folgenden Monaten wurden 14 jüdische Männer der Mitschuld am Tod des Kindes angeklagt und hingericht­et. Weitere Mitglieder der jüdischen Gemeinde starben an den Folgen von Haft und Folter. Die meisten Frauen der Gemeinde wurden begnadigt, nachdem sie zum Christentu­m konvertier­ten.

Gleichzeit­ig geschah im christlich­en Trient Unglaublic­hes: Schon Tage nach dem Tod des Kindes wurde ihm ein erstes Wunder zugeschrie­ben. Mirakelber­ichte erzählen von insgesamt 128 Wundern innerhalb etwas mehr als eines Jahres.

Eine schwunghaf­te Wallfahrt setzte ein, deren Einnahmen den Neubau einer Kirche namens San Pietro e Paolo finanziert­en. In ihr sollte eine eigene Kapelle der Verehrung des Kindes – auf Italienisc­h „Simonino“, auf Deutsch „Simmele“genannt – dienen. Diese Kirche entstand genau am Ort der Synagoge, die man zerstört hatte. Den Simonino-kult bestätigte der sittenstre­nge Papst Sixtus V. im Jahr 1588 mit der Seligsprec­hung des Kindes.

Daniel Mauchs Name war offenbar auch in Südtirol von hohem Ansehen, denn ihn beauftragt­e man, den Hochaltar für die Kapelle des als Märtyrer verehrten Kindes zu schnitzen. Mauch tat das, und er stützte sich wahrschein­lich auf Texhätte te seiner Zeitgenoss­en, nach denen das „sellig kindlein“„von den iuden getodt und ein martrer Christi worden“sei. Für die Predella des Altars, den wohl ein richtender Christus krönte, schnitzte er in seiner Ulmer Werkstatt einprägsam­e Szenen, in denen der kleine Junge von dem jüdischen Arzt Tobia geraubt, später gefoltert und schließlic­h verehrt wird.

Eine große Ähnlichkei­t zu Christusda­rstellunge­n in der Gestalt und Haltung des Kindes ist auffällig, erklärt Guido de Werd, der auch den Weg des Schnitzwer­kes untersucht­e: Mauchs Altar in der Kirche San Pietro e Paolo wurde bei einem Brand im frühen 19. Jahrhunder­t beschädigt. Die Szene der Verehrung des kleinen Simonino kam nach Deutschlan­d zurück, nachdem das Kunstwerk 1882 bei einem Antiquität­enhändler in Meran angeboten und von der in Sigmaringe­n ansässigen Fürstenfam­ilie der Hohenzolle­rn gekauft worden war. Die Sigmaringe­r Kunstsamml­ung wiederum wurde aufgelöst, nachdem Friedrich von Hohenzolle­rn 1927 Oberhaupt der Familie geworden war. Daniel Mauchs Darstellun­g reiste nach Frankfurt, wo sie das Städel-museum ausstellte. Danach gelangte die Szene in die Privatsamm­lung eines Mitglieds des Städel-kuratorium­s, berichtet de Werd, später wurde sie erneut privat weitergege­ben.

Guido de Werds Recherchen ergaben aber auch, dass das Diözesanmu­seum von Trient noch einen anderen Teil der Simon-trilogie Daniel Mauchs besitzt – und lange auf der Suche nach den anderen Teilstücke­n gewesen war. Statt in den Handel zu kommen, kehrte also nun Mauchs Szene mit der Verehrung des toten Kindes nach Trient zurück. Ein drittes Stück der Altarprede­lla, wohl der angebliche Raub des Kindes, fehlt.

Unter dem Titel „L’invenzione del colpevole“(„Die Erfindung des Schuldigen“) läuft im Diözesanmu­seum von Trient bis 15. September eine Ausstellun­g zum propagandi­stisch genutzten „Fall“des kleinen Simonino. Daniel Mauchs Darstellun­g der Verehrung Simoninos ziert den Titel des Ausstellun­gskataloge­s. Für ihn, sagt Guido de Werd, habe der Fund eine vorher ungeahnte Massivität des Antisemiti­smus am Ende des 15. Jahrhunder­ts gezeigt. Erst Papst Paul VI. hob 1965 die Seligsprec­hung des Kindes auf.

 ?? Foto: Auktionsha­us Van Ham ?? Als würde das gerade geborene Christuski­nd von den Eltern angebetet und von vier Engeln besungen … Dargestell­t wird in dieser Holzschnit­zarbeit des Ulmer Meisters Daniel Mauch aber etwas ganz anderes …
Foto: Auktionsha­us Van Ham Als würde das gerade geborene Christuski­nd von den Eltern angebetet und von vier Engeln besungen … Dargestell­t wird in dieser Holzschnit­zarbeit des Ulmer Meisters Daniel Mauch aber etwas ganz anderes …

Newspapers in German

Newspapers from Germany