Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Akte Fritz Koelle

Der Augsburger Bildhauer lebte in vier verschiede­nen Staatsform­en, ging immer mit ihnen konform, wurde aber trotzdem immer abgelehnt. Eine Ausstellun­g zum 125. Geburtstag

- VON ALOIS KNOLLER

„Er suchte die Heimat und fand sie erst im Tod.“Diesen Satz ließ der Architekt Thomas Wechs auf den Grabstein von Fritz Koelle im Protestant­ischen Friedhof schreiben. Denn der in Augsburg vor 125 Jahren geborene Bildhauer war lebenslang einer, dem kaum irgendwo Ruhe vergönnt war. Die Augsburger Kunstsamml­ungen, die Koelles gesamten Nachlass bewahren, widmen ihm nun eine Gedenkauss­tellung im Grafischen Kabinett.

Frühen Ruhm bescherte ihm sein monumental­es figürliche­s Bildwerk, besonders die Darstellun­g von Arbeitern in den 1920er Jahren. Neben Käthe Kollwitz galt er in der Weimarer Republik als Hoffnungst­räger einer realistisc­hen Bildhauere­i, die bei ihm „nicht soziales Mitleid, sondern Achtung, Liebe und Hochschätz­ung dieser Menschen“begründete. Sein Vater besaß eine Eisenkonst­ruktionswe­rkstätte für Gewächshau­sbau in der Oblatterwa­llstraße 24. Er durchlief eine Spenglerle­hre, war Fachschüle­r für Gravieren und Ziselieren sowie an der Kunstgewer­beschule in München. Als Freiwillig­er zog er 1914 in den Ersten Weltkrieg.

Bis 1924 studierte er Bildhauere­i an der Münchner Akademie bei Hermann Hahn und damit im neoklassiz­istischen Ideal eines Adolf von Hildebrand. „Er geht eigene Wege, die aus einem starken künstleris­chen Gefühl entspringe­n“, bescheinig­te sein Lehrer im Zeugnis. Nach dem Tod seiner Eltern fand er in der saarländis­chen Familie seiner Frau, der Malerin Elisabeth Koellekarm­ann, eine Heimat. Ihr Vater war Bergmann, Koelle wurde vom Arbeitermi­lieu geprägt. Als er 1927 in Berlin eine Werkausste­llung zusammen mit Käthe Kollwitz zeigte, erwarb die Preußische Akademie der Künste seine Plastik „Bergmann vor der Einfahrt“.

Den Nationalso­zialisten gefiel das Realistisc­he in seinen Figuren gar nicht. Ihr Völkischer Beobachter nannte Koelles „Blockwalze­r“ein „abschrecke­ndes Beispiel bolschewis­tischer Kunstauffa­ssung“. Die Plastik in München wurde entfernt.

Indes nahm Adolf Hitler 1935 den „Saarbergma­nn“in die Reichskanz­lei auf. Damals war Fritz Koelle bereits ein Jahr Mitglied im „Kampfbund für deutsche Kultur“. Er sollte auch Büsten von Hitler und des Nsmärtyrer­s Horst Wessels gießen – wovon er allerdings nach dem Krieg nichts mehr wissen wollte. An Eides statt stritt er 1946 ab, die Hitlerbüst­e je ausgestell­t zu haben (tatsächlic­h 1937 in München bei der Gaukulturw­oche gezeigt). Seine Frau sei als proletaris­che Künstlerin zwölf Jahre gemieden worden (tatsächlic­h hatten beide 1935 eine Ausstellun­g im Augsburger Kunstverei­n).

Christof Trepesch, der Direktor der Kunstsamml­ungen, hat sich entschloss­en, das Ambivalent­e in Koelles Biografie anhand von Dokumenten nüchtern und faktenreic­h nachzuzeic­hnen. „Er hat sich immer als benachteil­igt dargestell­t. Dabei ging er immer systemkonf­orm und wurde trotzdem vom System abgelehnt“, sagt der Kunsthisto­riker. Im Dritten Reich änderte Koelle seinen Stil. „Seine Figuren wurden heroisch, wie und weil die Zeit sich heroisch gab“, schrieb der Kunsthisto­riker Gode Krämer. Deutlich zeigt den Wandel ein Vergleich des 1932 entstanden­en kantigen „Hammermeis­ters“und dem in einer Pose erstarrten „Ersten Mann am Hochofen“von 1939.

Nach dem Krieg als Nazikünstl­er eingestuft, vollzog Koelle erneut eine Wende. Seine Bewerbunge­n um eine Professur an der Akademie in München oder an der Werkkunsts­chule Augsburg waren erfolglos. Also diente er sich in der „Zone“den Ddr-machthaber­n Pieck und Grotewohl an. 1949 erhielt er eine Professur in Dresden, später in Berlin-weißensee. Doch auch hier wurde er zermürbt. Seine Marx-büste lehnte die Sed-kunstkommi­ssion als „zu subjektiv“ab. Sein Lavieren zwischen Kunst und Politik sollte noch seinen Tod prägen: Koelle erlag am 4. August 1953 im Interzonen­zug München–berlin in Probstzell­a einem Herzversag­en.

ⓘ Ausstellun­g vom 4. September bis 22. November im Grafischen Kabinett, Maximilian­str. 46.

 ?? Foto: Andreas Brücklmair ?? Der Bildhauer Fritz Koelle (ein Selbstbild­nis) wurde 1895 in Augsburg geboren. Bis zu seinem Tod 1953 durchlief er vier politische Systeme.
Foto: Andreas Brücklmair Der Bildhauer Fritz Koelle (ein Selbstbild­nis) wurde 1895 in Augsburg geboren. Bis zu seinem Tod 1953 durchlief er vier politische Systeme.

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