Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Viele leiden psychisch unter der Corona-krise
Experten berichten von Krankheiten sowie verschärften Sucht- und Schlafproblemen
Augsburg Die Corona-krise belastet viele Menschen psychisch. Nicht wenige werden sogar krank. Erste Zahlen von Krankenkassen, Zwischenergebnisse von Studien sowie Erfahrungen von Psychologen und Ärzten weisen darauf hin. Gerade in der Lockdown-phase haben sich wohl Probleme wie etwa Schlafstörungen, Depressionen oder Suchterkrankungen verschärft.
So verzeichnen viele Krankenkassen einen auffälligen Anstieg von Krankmeldungen aufgrund seelischer Leiden in den Monaten März und April. Die Zahlen seien aber mit großer Vorsicht zu behandeln, da ein sehr hoher Anteil darauf beruhen könnte, dass aus Sorge vor Coronamaßnahmen und Praxisschließungen kurzfristig mehr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt oder verlängert wurden. „Sichere Erkenntnisse werden wir erst kommendes Jahr haben, wenn wir alle tatsächlichen Behandlungsdaten auswerten und abgleichen können“, sagt die Chefmedizinerin der Barmer Ersatzkassen, Ursula Marschall.
Doch auch Psychologen berichten von Auffälligkeiten: „Wir sehen in wöchentlichen Forschungsberichten, dass die Isolation, die anfänglich unklare Bedrohung durch das Virus, aber auch die Existenzängste bei vielen Betroffenen zu einer depressiven Symptomatik führen“, sagt Fredi Lang vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Dies gelte vor allem für Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen. Lang leitete die Corona-hotline, die der Berufsverband zu Beginn der Pandemie geschaltet hatte und dabei bis zu 400 Anrufe am Tag verzeichnete: „Es gab eine reale Zunahme der psychischen Belastungen, die gerade auf sich selbst gestellte Menschen in der Isolation oft nicht mehr bewältigen konnten“, so der Psychologe. „Da ist es ein großer Unterschied, ob man allein mit seinen Ängsten auf sich selbst zurückgeworfen ist oder ob man auch in der Corona-zeit über ein Netzwerk verfügt, das einen mit Telefon- oder Videogesprächen auffangen kann.“
„Corona war und ist in Teilen noch ein immenser Stresstest für die Seele“, sagt auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig. „Die Zeit des Lockdowns war für Menschen mit Suchtproblemen nicht leicht. Isolation ist natürlich das Letzte, was Menschen in solchen Lebenslagen guttut.“Sie sei deshalb sehr dankbar, dass viele Hilfseinrichtungen ihr Beratungsangebot gerade in dieser kritischen Phase telefonisch oder digital ausgebaut und so weiterhin den Kontakt mit Betroffenen gehalten haben.
Auch die Anonymen Alkoholiker in Augsburg berichten, dass es mehr Zugriffe auf ihre Webseite gebe. Und Dr. Anne Koopmann vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim kann mit einer Studie aus ihrem Haus belegen, dass während des Lockdowns deutlich öfter zu Wein, Bier & Co. gegriffen wurde.
Aber nicht nur die Gefahr an einer Sucht oder seelisch zu erkranken, nimmt zu. Selbst nachts treiben die Gedanken an die Pandemie immer mehr Menschen um. Und besonders betroffen sind offenbar die Menschen im Freistaat: Christian Bredl, Chef der Techniker Krankenkasse (TK) in Bayern, sagt: „Corona raubt vielen Bayern den Schlaf.“Bei der Umfrage „Corona 2020“des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der TK gaben 14 Prozent der bayerischen Befragten an, dass sie seit Beginn der Corona-pandemie schlechter schlafen als zuvor. Das ist der TK zufolge mit Abstand der höchste Wert in Deutschland.
Eine Einschätzung des Themas lesen Sie im Kommentar. Welche Risikofaktoren zu einem Alkoholproblem während der Corona-zeit führen, erfahren Sie auf
Wer in den vergangenen Wochen an der frischen Luft unterwegs war, dem wehte vielerorts der Geruch von Grillkohle ins Gesicht – auch in öffentlichen Parkanlagen. Das lag mitunter an Menschen, die sich Corona-regeln nach den eigenen Bedürfnissen selbst zurechtlegten. Es lag an Ordnungshütern, die mit den Kontrollen nicht hinterherkamen oder manchmal ein Auge zudrückten. Und es lag sicher auch daran, dass vielen Menschen gar nicht (mehr) bewusst war, dass das einst erlassene Grillverbot überhaupt noch Bestand hatte. Zumal nur schwer nachvollziehbar war, warum man in einem Park zwar wieder in größerer Runde beisammensitzen darf – nur nicht um einen Grill herum.
Genau hier zeigt sich das Problem: So sinnvoll manche Coronaregel zu Beginn der Pandemie auch war, so sehr muss jede einzelne immer wieder hinterfragt werden. Das ist mühsam. Das lässt schon der Name der sechsten bayerischen Infektions schutzmaßnahmen verordnung erahnen, die 24 Paragrafen mit teils dutzenden Absätzen und Unterpunkten, grundsätzlichen sowie Sonder-und Ausnahme regelungen sind der Beweis. Und doch ist es zwingend notwendig. Zum einen, um die Pandemie so gut wie möglich unter Kontrolle zu halten. Zum anderen, um die Akzeptanz der Corona-regeln in der Bevölkerung hoch zu halten.
Im Bestfall übernimmt der Gesetzgeber selbst die Aufgabe des Nachjustierens . In den anderen Fällen müssen Gerichte ran. Sich die Regeln nach eigenem Gusto auszulegen, darf die Lösung in unserem Rechtsstaat nicht sein – selbst wenn sie nach Grillkohle riecht und nach Bratwurst schmeckt.