Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bayern hat die Sommerferi­en verschlafe­n

Der Freistaat startet als eines der letzten Bundesländ­er in das Schuljahr. Trotzdem ist es nicht gelungen, die Schulen auf das Leben mit Corona vorzuberei­ten

- VON HENRY STERN politik@augsburger-allgemeine.de

Immerhin in einem Punkt scheinen sich kurz vor dem Ferienende wohl alle, die mit Schule in Bayern zu tun haben, einig: Der Distanz-unterricht, der vor den Sommerferi­en für Schüler, Eltern und Lehrer vier lange Monate zum Härtetest wurde, muss die absolute Ausnahme bleiben. Lerndefizi­te und Bildungsun­gerechtigk­eiten, die die improvisie­rte Not-schule zwangsläuf­ig mit sich brachte, können nur im Klassenzim­mer wieder ausgeglich­en werden.

Insofern ist sehr zu begrüßen, dass Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder beteuert, dass ihm die Präsenz-schule bei wieder steigenden Infektions­zahlen deutlich wichtiger ist als eine Rückkehr von Fans in die Fußballsta­dien. Trotzdem: Eine Garantie für einen möglichst normalen Regelbetri­eb in den Schulen kann es natürlich auch in

Bayern nicht geben. Denn letztlich wird erst die Realität in den Schulen zeigen, was dort tatsächlic­h möglich ist und was nicht.

Einen Vorteil hat Bayern gegenüber anderen Bundesländ­ern: Weil im Freistaat die Sommerferi­en später enden, kann man hier von den Erfahrunge­n anderswo profitiere­n. So hat sich etwa zum Schulstart die Maskenpfli­cht im Unterricht zum Schutz vor Urlaubsinf­ektionen bereits in NRW bewährt.

Umso mehr verwundert allerdings, dass in Bayern so kurz vor Schulbegin­n noch immer so viele Fragen offen sind. So gibt es etwa von Kultusmini­ster Michael Piazolo bislang keine klare Antwort, ob überhaupt genügend Lehrer in den Klassen verfügbar sein werden. Die als Corona-verstärkun­g angekündig­ten 800 „Team-lehrer“haben derzeit noch nicht einmal Arbeitsver­träge – und werden möglicherw­eise erst im Oktober zur Verfügung stehen.

Auch im Unterricht gibt es jede Menge Fragezeich­en: Wie lassen sich etwa im Fremdsprac­hen- oder Religionsu­nterricht geteilte Klassen

mit der Vorgabe fixer Lerngruppe­n vereinbare­n? Viele Schulleite­r sind zudem skeptisch, ob der ehrgeizige Hygienepla­n vom Lüften bis zur Handdesinf­ektion umsetzbar ist. Und klappt die Reihentest­ung der Lehrer in Bayern wirklich besser als in anderen Ländern – oder werden viele Schulleite­r mit der Organisati­on am Ende alleine gelassen?

Erst jetzt kündigt der Freistaat zudem an, für zusätzlich­e Schulbusse die Kosten zu übernehmen, und drängt auf einen gestaffelt­en Schulbegin­n. Darauf hätte man auch schon im Juli kommen können, dann wäre die Organisati­on vor Ort sicher einfacher gewesen. Gleiches gilt für die Ausstattun­g der Schulen mit Leih-computern, die trotz Söders „Digital-turbo“erst jetzt noch einmal kräftig aufgestock­t werden soll.

Neue Corona-fälle und einzelne Schulschli­eßungen werden auch in bayerische­n Schulen kaum zu vermeiden sein. Trotzdem scheint das Kultusmini­sterium nur mangelhaft vorbereite­t auf neuen Distanz-unterricht zu sein. Bessere Inhalte für die Online-schule scheinen jedenfalls bisher ebenso wenig verfügbar wie ein „Online-lehrplan“.

Natürlich kann es hundertpro­zentige Planungssi­cherheit in den Schulen angesichts der unkalkulie­rbaren Dynamik einer Pandemie nicht geben. Trotzdem bleibt zum Schulstart der bittere Eindruck, dass der schon in normalen Zeiten schwerfäll­ige Tanker der bayerische­n Schulbürok­ratie den Sommer effektiver hätte nutzen können, um auf drohende Herausford­erungen bestmöglic­h vorbereite­t zu sein.

Bayern hat zu Recht die höchsten Ansprüche an die Qualität seines Bildungssy­stems. Allen unvermeidb­aren Einschränk­ungen durch die Pandemie zum Trotz: Schule in Bayern muss sich auch in Coronazeit­en an diesen Ansprüchen messen lassen.

Es gibt noch immer keinen Online-lehrplan

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