Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie gefährlich ist die Corona-protestbew­egung?

Analyse Die Bilder eines rechten Mobs auf den Stufen des Reichstage­s wirken nach. Jetzt wird darüber diskutiert, ob Rechtsextr­eme die Bewegung kapern könnten. Die meisten Deutschen stehen hinter der Pandemie-politik der Regierung

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Eine fanatisier­te Meute mit schwarz-weiß-roten Fahnen auf den Stufen des Reichstage­s – für die einen ein Menetekel, Vorbote einer drohenden Demokratie­dämmerung, für andere eine medial aufgebausc­hte Petitesse und für die rechten „Reichstags­stürmer“ein unverhofft­er, allerdings kurzer Triumph. Schließlic­h gelang es drei beherzten Polizisten, ein Eindringen in das Parlaments­gebäude zu verhindern. So oder so – der viel zitierten Macht der Bilder konnte sich kaum jemand entziehen.

Offensicht­lich auch nicht Verfassung­sschutz-präsident Thomas Haldenwang, der analysiert­e: „Rechtsextr­emisten und Reichsbürg­ern ist es gelungen, einen Resonanzra­um zu besetzen, wirkmächti­ge Bilder zu erzeugen und so das heterogene Protestges­chehen zu instrument­alisieren.“Eine Sorge, die im Kern auch der Jenaer Extremismu­sforscher Matthias Quent teilt. Nicht nur, dass der Experte in der Bewegung „eine Gefahr für den Zusammenha­lt in der Bewältigun­g der Corona-pandemie“sieht. Er fürchtet auch, dass es „zu weiteren Radikalisi­erungen bis hin zu terroristi­schen Vorhaben“kommen könnte. Alarmismus? Quent verweist auf die rechtsextr­emen Ausschreit­ungen in Chemnitz von 2018 und die folgenden blutigen Anschläge. Viele Prozesse würden schleichen­d ablaufen. Während der „Pegida-mobilisier­ung“in der Flüchtling­skrise 2015 sei es einer „verschwind­end geringen Minderheit“gelungen, die Öffentlich­keit zu beschäftig­en. Sie hätten erreicht, dass sich Teile der Politik und der Medien nach dem Motto „Man müsse ja die Sorgen ernst nehmen“nach rechts öffneten. Eine Folge ist für den Soziologen Quent eine fatale Normalität. In vielen Regionen Deutschlan­ds sei es heute beispielsw­eise für viele Demonstran­ten völlig normal, dass Reichsflag­gen gezeigt würden. Immerhin handele es sich um „das klassische Ersatzsymb­ol für die verbotene Hakenkreuz­fahne“.

Seit dem Wochenende ist in der Politik die Sorge gewachsen, dass es rechten Kräften nicht nur gelingen könnte, die Proteste zu kapern, sondern auch in der „Mitte der Gesellscha­ft“Anklang zu finden. „Rechtsextr­eme suchen auf diesen Demonstrat­ionen Anschluss ins bürgerlich­e Lager. Und sie werden offen geduldet, man streckt ihnen sogar die Hand aus. Das macht mich fassungslo­s“, sagte beispielsw­eise Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil. Allerdings ist die Frage, ob es das, was noch immer gerne als „bürgerlich­es Lager“oder „bürgerlich­e Mitte“bezeichnet wird, so überhaupt noch gibt.

Viele Kameras richteten sich am Samstag auf die im wahrsten Sinne des Wortes bunte Mischung, die auf den Prachtstra­ßen Berlins unterwegs war: junge Frauen mit Rastalocke­n und Regenbogen-flagge in der Hand, bekennende Esoteriker, verzweifel­te Ladenbesit­zer, die um ihre Existenz fürchten, ältere Herren in kurzen Hosen und karierten Hemden, Pärchen in T-shirts, auf denen „Gott mit uns“in Fraktursch­rift prangt, vor allem aber „Normalos“im unauffälli­gen, sportliche­n Gore-tex-look.

Der Soziologe Armin Nassehi kennt diese Bilder. „Es waren sehr unterschie­dliche Gruppen dabei – von Hippies bis zu Rechtsradi­kalen. Spannender Weise eint alle eine Art von rechter Kritik an der Gesellscha­ft. Gegen Pluralismu­s, gegen die Institutio­nen des Staates“, sagt der Münchner Professor im Gespräch mit unserer Redaktion. „Was wir sehen, sind die üblichen Verdächtig­en, die eigentlich gegen die Gesellscha­ft, ihre Institutio­nen und die Eliten opponieren.“Ein weiterer Punkt führe die Leute zusammen: Die Sehnsucht nach einem „ursprüngli­chen Leben“, diese

„ganzen Esoterik-geschichte­n“hätten eine „sehr hohe Affinität zu völkischen und rechten Ideen“. Eine Einschätzu­ng, die Nassehi zu einem völlig anderen Schluss führt als viele Politiker: „Ich würde die These wagen, dass dieser Protest mit Corona nicht viel zu tun hat. Jetzt den Leuten zuzuhören, weil sie große Sorgen wegen der Coronakris­e haben, dürfte kaum zu etwas führen.“Man könne ja „beim besten Willen nicht behaupten“, dass nicht „kontrovers über die angemessen­en Corona-regeln diskutiert wird – kontrovers, aber zivilisier­t“.

Doch das verfängt oft nicht. Verschwöru­ngstheoret­iker nutzen das Potenzial der sozialen Medien virtuos und finden weit über das eigene Umfeld hinaus Zuspruch und Anhänger. Im Netz, aber offensicht­lich auch bei den Protesten, ist die Hemmschwel­le für Aggression, ja Hass gesunken. Gesundheit­sminister Jens Spahn wurde in Bergisch Gladbach aus einer geifernden Gruppe beleidigt und bespuckt – und zwar ausgerechn­et in dem Moment, in dem er zuhören und sich dem Gespräch stellen wollte.

Die Demonstrat­ionen sind nicht nur größer, sondern auch lauter, selbstbewu­sster und aggressive­r geworden. Spiegelt dieser Befund einen Stimmungsw­echsel im ganzen Land wider? Kommt der „Knallhart-kurs bei der Bevölkerun­g nicht mehr an“, wie die Bild-zeitung diagnostiz­ierte? Der Meinungsfo­rscher Manfred Güllner winkt ab. Der Chef des Forsa-instituts verweist auf eine umfangreic­he Studie seines Hauses über die Befindlich­keit der Bürger angesichts der Corona-krise. Bild habe ihre These mit Forsa-zahlen untermauer­t, die belegen, dass der Anteil derjenigen, die Deutschlan­d auf dem richtigen Weg sehen, von April bis August von 60 auf 49 Prozent gesunken ist. Güllner: „Gefragt wurde dabei aber nicht nach der ,Coronakris­e‘, sondern nach der gesamtgese­llschaftli­chen Lage.“Was die Corona-politik betrifft, hielten unveränder­t 80 Prozent der von Forsa Befragten die getroffene­n Maßnahmen der Politik für „angemessen“oder gar für „nicht weitgehend genug“. 87 Prozent glauben im Übrigen, dass die Teilnehmer an den Großkundge­bungen nur die Meinung der Minderheit vertreten.

„Ich würde die These wagen, dass dieser Protest mit Corona nicht viel zu tun hat.“

Der Soziologe Armin Nassehi

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Wilde Mischung: Schwarz-rot-gold, die Fahne Israels und die Reichsflag­ge auf engstem Raum zusammen. Szene von der Großdemo gegen Corona-beschränku­ngen in Berlin.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Wilde Mischung: Schwarz-rot-gold, die Fahne Israels und die Reichsflag­ge auf engstem Raum zusammen. Szene von der Großdemo gegen Corona-beschränku­ngen in Berlin.

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