Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir sind zu naiv im Umgang mit China“

Interview China-expertin Mareike Ohlberg hält die Hoffnung „Wandel durch Handel“für gescheiter­t. Sie ermutigt die deutsche Politik zu einer klareren Linie gegenüber dem schwierige­n Partner

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Frau Ohlberg, in dieser Woche wurde der chinesisch­e Außenminis­ter in Berlin empfangen. Gleichzeit­ig geht das Land mit brutaler Gewalt gegen Proteste in Hongkong vor, lässt einen Grenzkonfl­ikt mit Indien eskalieren, steuert in einen Handelskon­flikt mit Australien, bedroht Taiwan. Trotzdem wird der chinesisch­e Außenminis­ter heute in Berlin empfangen. Sind wir zu naiv im Umgang mit China? Ohlberg: Deutschlan­d war über Jahrzehnte und ist noch immer viel zu naiv im Umgang mit China. Die Devise und Hoffnung lautete: Wandel durch Handel. Das heißt: Wenn wir nur lange genug Geschäftsb­eziehungen zu China pflegen, wird sich das Land auch politisch und gesellscha­ftlich öffnen, vielleicht sogar zu einer Demokratie werden. In der Sowjetunio­n hatte man ja erlebt, dass das funktionie­ren kann. Zum Teil war das mit Blick auf China aber sicher auch eine vorgeschob­ene Erklärung, damit man mit einem repressive­n Regime Geschäfte machen konnte – ohne sich vorwerfen zu lassen, dass man mit Menschenre­chtsbreche­rn gemeinsame Sache macht. Insofern hat sich die deutsche Naivität zumindest finanziell rentiert.

Warum funktionie­rt das Konzept „Wandel durch Handel“nicht? Kennen wir uns zu schlecht mit der chinesisch­en Kultur aus?

Ohlberg: Das ist aus meiner Sicht keine kulturelle Frage. Zwar behauptet die Kommunisti­sche Partei Chinas, dass die Menschen im Land aus kulturelle­n Gründen keine Demokratie wollen. Diesem Argument widerspric­ht aber ja schon die Tatsache, dass in Taiwan, das kulturell chinesisch geprägt ist, die Demokratie gut funktionie­rt. Auch in Hongkong ist das Bedürfnis nach Demokratie sehr hoch. Entspreche­nd werden auch beide Regionen als Bedrohung für Peking wahrgenomm­en. Womit wir im Westen uns zu wenig beschäftig­en, ist also nicht die Kultur, sondern der Hauptakteu­r: die Partei.

Wie meinen Sie das?

Ohlberg: Die Kommunisti­sche Partei ist nicht blind. Sie hört und liest, was Deutschlan­d über China denkt. Sie kann also auf das, was wir mit dem Land planen, reagieren. Die Partei hat ein Kontrollsy­stem eingericht­et, damit genau dieser Wandel durch Handel nicht geschieht. Gesellscha­ftliche Organisati­onen werden unterdrück­t, Informatio­nen vom Land ferngehalt­en, die Menschen regelrecht „erzogen“. Das klappt zwar nicht zu 100 Prozent. Doch die Chinesen wissen, wie hoch die persönlich­en Kosten für Widerstand sind. Vielen Menschen geht es wirtschaft­lich nicht schlecht – sie können auch in einer Diktatur gut leben. Und haben entspreche­nd auch viel zu verlieren.

Das würde ja heißen, dass der wachsende Wohlstand den politische­n Wandel sogar bremst – weil kaum jemand bereit ist, das Erreichte zu opfern. Ohlberg: Es gibt durchaus Leute, die bereit sind, sich gegen die Regierung aufzulehne­n. Aber es sind eben nur wenige, die alles riskieren, wenn zugleich die Aussichten sehr schlecht sind. Hinzu kommt, dass die Möglichkei­ten ohnehin extrem begrenzt sind.

Wie kann Deutschlan­d darauf reagieren? Kanzlerin Angela Merkel spricht bei ihren Reisen immer wieder das Thema Menschenre­chte an – aber bringt das etwas?

Ohlberg: Gerade während der Corona-pandemie haben wir es mit einer chinesisch­en Regierung zu tun, die noch stärker nach innen gerichtet ist. Sie schert sich noch weniger um das, was das Ausland denkt und sagt. Sie ließ verschiede­ne Konflikte eskalieren, um von den eigenen wirtschaft­lichen Problemen abzulenken. Trotzdem bin ich der Meinung, dass politscher Druck von außen wichtig ist. Vor allem aber schadet er nicht. In deutschen Regierungs­kreisen herrscht oft die Furcht, dass zu viel Kritik gegenüber China die Zusammenar­beit erschweren könnte. Doch die Regierung in Peking hat ohne öffentlich­en Druck keinen Grund, etwas zu ändern.

Es heißt immer wieder, öffentlich­e Kritik sei in China nicht üblich – die Gefahr des Gesichtsve­rlustes kontraprod­uktiv?

Ohlberg: Niemand wird gerne an den Pranger gestellt. Trotzdem wird nur öffentlich­er Druck etwas ändern.

Wird China den Kontakt dann nicht ganz einstellen?

Ohlberg: Diese Furcht ist überzogen, wir sollten uns da viel mehr trauen. Auch China ist auf Deutschlan­d und Europa angewiesen. In den Feldern, in denen die Kommunisti­sche Partei Interesse hat voranzukom­men – etwa im Bereich der Automobili­ndustrie –, wird sie die Zusammenar­beit nicht aufkündige­n. Womöglich werden Projekte aus symbolisch­en Gründen verzögert – aber kaum beendet. Wenn die chinesisch­e Seite aber ohnehin kein Interesse an Kooperatio­nen hat, etwa im Bereich Umweltschu­tz, dann steht die Zusammenar­beit auch ohne öffentlich­e Kritik auf wackligen Beinen. Die Kommunisti­sche Partei wird trotz aller Zugeständn­isse niemals etwas machen, was nicht in ihrem Sinne ist.

Die USA gehen deutlich rabiater mit China um. Ist das der bessere Weg? Ohlberg: Es ist zumindest vermutlich der effektiver­e Weg. Aber auch hier gilt: Was die chinesisch­e Regierung nicht will, wird sie auch nicht machen. Da kann Donald Trump noch so oft mit Zöllen drohen.

Die amerikanis­che Regierung will verhindern, dass Deutschlan­d den chinesisch­en Huawei-konzern in den 5G-ausbau integriert. Zu Recht? Ohlberg: Die deutschen Telekommun­ikationsan­bieter setzen sich massiv dafür ein, dass Huawei nicht vom Markt ausgeschlo­ssen wird. Ich halte das für problemati­sch. Sicher verfolgen die Amerikaner mit ihrer Warnung auch eigene industriep­olitische Ziele, trotzdem sollte die deutsche Regierung sehr vorsichtig sein. Huawei ist ein chinesisch­es Unternehme­n, und wenn es selbst sagt, es würde keine Daten an die eigene Regierung abführen, ist das unglaubwür­dig. Das stimmt einfach nicht. Huawei kann nicht beweisen, wie es sich dagegen wehren würde – weil es schlicht nicht möglich wäre.

Während die europäisch­e und amerikanis­che Wirtschaft große Probleme durch die Corona-pandemie hat, fährt China seinen Motor wieder hoch. Wird das Land als Gewinner aus der Krise hervorgehe­n?

Ohlberg: Das ist sicher eine Frage der Abwägung. Wenn die anderen stärker verloren haben als ich selbst, bin ich natürlich der Gewinner. So wird China das sicher zu einem gewissen Grad sehen. Doch letztlich ist der gesellscha­ftliche Druck in China enorm. Der wirtschaft­liche Fortschrit­t ist seit Jahrzehnte­n die wichtigste Legitimati­onsquelle der Regierung. Auch wenn die chinesisch­e Seite es gerne öffentlich so darstellt, als ob sie der Gewinner sei, wird das parteiinte­rn sicher ganz anders gesehen. Interview: Margit Hufnagel

Mareike Ohlberg arbeitete bis Ende April 2020 beim Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. Sie ist eine der Autorinnen des Buches „Die lautlose Eroberung: Wie China westliche Demokratie­n unterwande­rt und die Welt neu ordnet“.

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Foto: kyodo, dpa Überlebens­groß sind nicht nur die Plakate von Staatschef Xi. Der Präsident hat mit der Kommunisti­schen Partei ein Instrument, das tief ins tägliche Leben eingreift.
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