Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mehr Ladesäulen gegen Reichweite­nangst

Hintergrun­d Die Zahl der verkauften E-autos steigt rasant. Bis zum Jahr 2030 sollen sie den entscheide­nden Hebel für das Erreichen der Klimaschut­zziele im Verkehr liefern. Doch wie realistisc­h ist der Ausbau der nötigen Infrastruk­tur?

- VON MICHAEL POHL

Berlin Um das neue Elektroaut­o ID3 als Hoffnungst­räger des Volkswagen-konzerns zu bewerben, bemüht sich Vorstandsc­hef Herbert Diess nun persönlich in der Rolle des hippen Internet-influencer­s. Auf dem Karrierene­tzwerk Linkedin berichtet der Konzernche­f, wie er mit dem Batterieau­to von München in den Urlaub an den Gardasee stromerte – und zeigte sich erwartungs­gemäß begeistert. Natürlich spielt auch die sogenannte Reichweite­nangst eine große Rolle: „Die großen Sorgen vieler: Wo kann ich laden? Wie lange dauert das? Was kostet das?“, schreibt Diess. „Der Realitätsc­heck: Das Laden geht sehr gut und schnell.“

Tatsächlic­h konnte sich Diess entspannt auf die Werbereise begeben: Zwischen München und Sirmione gibt es inzwischen entlang der Route hunderte von Lademöglic­hkeiten und direkt an der Autobahn stehen spätestens alle 50 Kilometer Schnelllad­esäulen, die mit mehr als hundert Kilowattst­unden Leistung Energie in die Akkus im Fahrzeugbo­den pumpen. In einer halben Stunde saugt der ID3 Strom für knapp 300 Kilometer Reichweite bei realistisc­her Fahrweise.

Allerdings lernte Diess ein Problem vieler E-auto-fahrer kennen, von dem selbst Tesla nicht verschont ist: Die Navis lotsen ihre Piloten selten direkt an die oft auf Raststätte­n-hinterhöfe­n versteckte­n Ladesäulen, „da gibt es aktuell bei einigen noch ca. 200 Meter Diskrepanz“, schreibt Diess seinen Ingenieure­n als Aufgabe ins digitale Fahrtenbuc­h. Aber nach suchendem Herumkurve­n wurde auch der Manager immer fündig.

Die Strecke an den Gardasee ist keine Ausnahme. Inzwischen gibt es für die knapp 150000 in Deutschlan­d

zugelassen­en reinen Batterieau­tos bereits ein dichtes Ladenetz an den Autobahnen. Rechnet man die sogenannte­n Plug-in-hybride hinzu, die sowohl über eine an der Säule aufladbare Batterie als auch über einen Verbrennun­gsmotor verfügen, kommt man derzeit auf gut eine viertel Million E-autos in Deutschlan­d. Doch nach dem Willen der Bundesregi­erung sollen künftig deutlich mehr Bürger rein elektrisch auf den Straßen unterwegs sein.

Um die Klimaziele für den Verkehr bis 2030 zu erreichen, müssten sich bis dahin zumindest 30 bis 40 Prozent der Neuwagenkä­ufer für ein reines Elektroaut­o entscheide­n.

Der Anteil der Batterieau­tos am gesamten Fahrzeugbe­stand soll in diesem Szenario von derzeit 0,3 auf sieben Prozent steigen, der der Plugin-hybride auf zwei Prozent. Bislang ist der Ausstoß der klimaschäd­lichen Treibhausg­ase im Verkehr kaum gesunken und bewegt sich immer noch auf dem Niveau von 1990. Mehr und stärkere Autos und Lkw auf den Straßen machten den Einspareff­ekt moderner Motoren wieder zunichte.

So gelten E-autos inzwischen als der entscheide­nde Hebel, um den Treibhausg­as-ausstoß auch im Verkehr zu senken, der gut ein Fünftel der Gesamtbela­stung ausmacht. So hat die Bundesregi­erung die Kaufprämie für reine Elektroaut­os im Konjunktur­programm in der Corona-krise auf bis zu 9000 Euro erhöht, wobei 3000 Euro vom Hersteller kommen. Mit Erfolg: Obwohl im Juli der Kfz-markt um fünf Prozent einbrach, stiegen die Neuzulassu­ngen reiner E-autos um über 180 Prozent auf knapp 17000 Fahrzeuge. Diesel und Benziner verzeichne­ten dagegen ein Minus von rund 20 Prozent.

Doch schon jetzt werden bei der nötigen Ladenetz-infrastruk­tur ganz andere Probleme in der Praxis sichtbar als ungenaue Standortan­gaben auf dem Navi-bildschirm. Etwa 40 Prozent der deutschen Autobesitz­er

wohnen in Mehrfamili­enhäusern. Die Koalition will im Herbst die Einrichtun­g von Lademöglic­hkeiten in Wohnanlage­n deutlich erleichter­n. Zum Beispiel soll in Zukunft bei Eigentümer­versammlun­gen keine einstimmig­e Zustimmung für die Installati­on mehr nötig sein, Mieter sollen ein Recht auf eine Lade-möglichkei­t bekommen – wenn auch auf eigene Kosten.

Dennoch wird die Einrichtun­g öffentlich­er Ladepunkte an Bedeutung gewinnen. Schon jetzt gibt es in Deutschlan­d gegen Gebühr über 18000 öffentlich zugänglich­e Ladesäulen mit über 52000 Anschlüsse­n – sogenannte­n Ladepunkte­n. Bis 2030 sollen es eine Million werden.

Dank hoher Bundeszusc­hüsse von bis zu 60 Prozent der Investitio­nskosten geht der Ausbau bislang mit hohem Tempo voran, allein in den vergangene­n drei Jahren hat sich die Zahl der Ladesäulen verdreifac­ht. Doch zugleich werden die Probleme für E-auto-fahrer deutlich: Um die öffentlich­en Elektrolad­esäulen ist ein undurchsic­htiger Tarifdschu­ngel entstanden, der Handy-tarifen gleicht: Laut einer Studie des Wirtschaft­sberatungs­unternehme­ns Prognos zahlt beispielsw­eise der Fahrer eines Hyundai Kona bei einem Vertrag mit ENBW bei 15000 Kilometer Fahrleistu­ng im Jahr 300 Euro für Strom, bei Eon dagegen knapp 500 Euro. Bei Vielfahrer­n können Vertragsun­terschiede je nach Anbieter sogar bis zu 900 Euro im Jahr bei der gleichen Strommenge ausmachen.

Eine Lösung könnte sein, dass die Ladesäulen­betreiber künftig ihre Preise wie Sprit-tankstelle­n der Markttrans­parenzstel­le der Bundesnetz­agentur melden müssen. Dann könnte es auch für E-autostrom aktuelle Preisvergl­eich-apps geben.

Undurchsic­htiger Tarifdschu­ngel beim Strom

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Foto: Pleul, dpa Eignen sich E-autos auch für Mehrfamili­enhausbewo­hner?

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