Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
So klappt die Eingewöhnung in der Kita
Interview In diesen Tagen beginnt für viele Kinder ein spannender neuer Lebensabschnitt. Eine Expertin erklärt, warum es so wichtig ist, die Trennung von den Eltern schrittweise anzugehen, und was man auf keinen Fall tun sollte
Gerade sind viele Eltern dabei, ihre Kinder an die Kita zu gewöhnen. Frau Kowatsch, was bedeutet diese Zeit für die Kinder?
Sabine Kowatsch: Es bedeutet in erster Linie, sich langsam daran gewöhnen zu dürfen, jetzt in eine bestimmte Kindertagesbetreuung zu gehen. Die Räume, die Betreuer, die anderen Kinder, all das ist den Kindern ja noch ganz fremd. Es ist völlig klar, dass die meisten Kinder erst mal weinen, wenn Mama oder Papa gehen. Das sollte man also erst dann versuchen, wenn die Kinder schon ein wenig vertraut mit zumindest einer Person sind. Für Kinder unter drei Jahren ist die Eingewöhnungsphase besonders sensibel, weil man es ihnen noch nicht allein mit Worten erklären kann, was jetzt passiert. Deshalb muss man es langsam und behutsam angehen. Dazu kommt, dass Kinder zwischen neun und zwanzig Monaten in der Phase der sogenannten Bindungsentwicklung sind. Während dieser Phase binden sich die Kinder an eine andere Person, zum Beispiel die Eltern oder Erzieher.
Warum braucht man diese Eingewöhnungsphase?
Kowatsch: Die Eingewöhnungsphase ist eigentlich eine Kennenlernphase. Für die Kinder, aber natürlich auch für die Eltern. Es kann nur gelingen, wenn die Eltern Vertrauen in die Kita aufgebaut haben, denn das strahlt auf das Kind aus. Die Familie sollte am Ende die Fremdbetreuung als positive Unterstützung für sich erleben. Wenn dieser erste Übergang von zu Hause in die Fremdbetreuung gut klappt, hat das eine positive Wirkung auf alle kommenden Übergänge zum Beispiel in Kindergarten und Schule.
Es gibt mehrere Modelle für die Kitaeingewöhnung. Wie wichtig sind sie? Kowatsch: Sie sind auf jeden Fall gute Anhaltspunkte. Aus meiner Erfahrung ist aber auch sehr wichtig zu akzeptieren, dass jede Familie und jedes Kind individuell sind. Dass die Eltern ihre Kinder so nehmen müssen, wie sie sind. Und dass auch die Familien einen ganz unterschiedlichen – zum Beispiel kulturellen – Hintergrund haben, ein unterschiedliches Tempo und ganz verschiedene eigene Erfahrungen. Deshalb ist es auch schwierig, wenn Eltern anfangen, sich gegenseitig Tipps zu geben. Es geht darum, offen und möglichst flexibel zu bleiben. Natürlich gibt es gängige Modelle, die gut funktionieren, aber für einen bestimmten Prozentsatz eben Unterstützung heißt hier, für jeden gemeinsam einen guten Weg zu finden.
Welche Probleme gibt es bei der Eingewöhnung?
Kowatsch: Jedes Kind ist anders. Wenn es sehr offen und neugierig ist, ist die Eingewöhnung oftmals ein Klacks. Andere brauchen sehr viel Körperkontakt, sind vorsichtiger. Wenn deren Eltern auch eher zurückhaltender sind, fällt ihnen manchmal die Eingewöhnung auch schwerer, manchmal sogar schwerer als den Kindern. Gerade bei introvertierten Kindern haben Eltern häufig das Gefühl, etwas falsch zu machen. Aber das verschlimmert das Problem nur, denn dann werden auch die Eltern unsicher. In manchen Fällen würde das Kind sich gut eingewöhnen, aber die Mama merkt plötzlich, das ist nichts für mich, und beschließt, ich warte noch ein Jahr. Auch das ist doch völlig okay! Meine Erfahrung zeigt: Wenn Kinder sich wirklich in der Kita wohlfühlen, stärkt sie das in ihrem Selbstvertrauen. Sie haben das Gefühl: Es gibt mehr Orte als zu Hauwo ich mich wohlfühle. Und von der Kita unterstützt zu werden, ist für die Eltern das Beste, was passieren kann: Die Kinder gehen gern hin und die Eltern sind zufrieden und damit natürlich entlastet.
Wie können Eltern sich auf die Kitaeingewöhnung vorbereiten? Kowatsch: Man muss sich klarmachen, dass die Eingewöhnung für die allermeisten eine besondere emotionale Situation ist. In ganz vielen Fällen ist es für die Eltern das erste Mal, ihr Kind überhaupt abzugeben. Manche haben ihre Kinder noch nicht einmal den Großeltern oder einem Babysitter anvertraut. Manche Kinder darf selbst der Papa noch nicht ins Bett bringen. Daran müssen sich oftmals die Mamas also erst gewöhnen. Dann kommen in einigen Fällen noch erschwerende, ganz persönliche Dinge hinzu: Bei einer Mutter mussten wir zum Beispiel im Gespräch erst mal darauf kommen, dass ihr eigener Vater eine Woche vor der Geburt des Enkels gestorben ist. Sie weinte eigentlich die ganze Eingewöhnungszeit und konnte selbst nicht sagen, warum. Hier beinicht. spielsweise nützte es schon, darüber zu sprechen. Ein anderer Fall: Die Mama erzählt, dass sie keine Lust hat, ihr Kind in die Krippe zu geben, sich aber gezwungen fühlt, wieder arbeiten zu gehen. Dann kann man vielleicht eine andere Lösung finden. Oft reicht es aber, wenn sie sich das bewusst macht und verstanden fühlt.
Was sollten Eltern in dieser Eingewöhnungsphase noch beachten? Kowatsch: Sehr wichtig ist, sich immer vom Kind zu verabschieden. Auf gar keinen Fall einfach rausschleichen, auch wenn es verlockend sein mag. Dadurch verliert das Kind das Vertrauen in die Eltern und eigentlich den ganzen Eingewöhnungsprozess. Das gilt aber nicht nur für die Eingewöhnung, sondern auch später. Man kann Abschiedsrituale finden, zum Beispiel einen Kuss und sagen: „Tschüss, mein Schatz, ich muss jetzt zur Arbeit und wünsche dir ganz viel Spaß mit den Kindern!“Und dann bitte zügig gehen. Sollte das Kind weinen, darf man das Trösten guten Gewissens der Erzieherin überlassen. Die bese, gleitet das Kind, auch wenn es traurig ist. Darauf sollte man vertrauen können. Fällt das den Eltern noch schwer, können sie fragen, ob sie nachher kurz anrufen dürfen, um zu erfahren, ob das Kind sich beruhigt hat. Das hilft vielen Eltern.
Wann ist die Eingewöhnung gelungen? Kowatsch: Wenn das Kind die Bezugsperson akzeptiert, eine Beziehung aufgebaut hat und die Familie sich mit der Einrichtung in einer auch so empfundenen „Erziehungspartnerschaft“befindet. Am Ende der Eingewöhnung sollte das Kind mit allen anderen Betreuern, allen Kindern und allen Räumen vertraut sein. Und weil das nun wirklich eine große Aufgabe ist, ist die Eingewöhnung eigentlich erst nach vier bis sechs Monaten zu Ende. Dafür braucht man Zeit und Geduld.
Sind Kinder, die bereits in einer Krippe waren, besser gerüstet für den Kindergarten?
Kowatsch: Ja, das würde ich schon sagen. Diesen Prozess, sich von den Eltern zu lösen, haben sie dann bereits einmal erfolgreich geschafft. Klar können Eltern ihren Kindern im Kindergarten besser erklären, dass sie jetzt gehen und wann sie wiederkommen. Aber auch da wird das Kind nicht sagen: „Super, hurra!“Früher oder später muss man eben beginnen, sein Kind loszulassen. Die Kinder, die in der Krippe waren, kennen dieses Prinzip schon, es geht für sie nicht mehr um die Frage, sich komplett allein zu fühlen, sondern darum, sich in ein neues System zu integrieren. Bietet sich eine solche Eingewöhnungsphase auch für den Übergang in Kindergarten oder Schule an? Kowatsch: Die Phase der Bindungsentwicklung ist dann schon vorbei. Daher ist es auf keinen Fall mehr nötig, einen so behutsamen Übergang von einer Bezugsperson auf die andere zu begleiten. Allerdings halte ich es grundsätzlich auch für Schulkinder für sehr wichtig, eine Beziehung zu ihren Lehrern aufzubauen. Man weiß heute, dass das die Voraussetzung für erfolgreiches Lernen ist. Ich denke aber, dass das durch Eltern nicht mehr unterstützt werden kann, hier sind dann die Lehrer gefordert.
Sabine Kowatsch ist staatlich geprüfte Erzieherin und Diplom-psychologin mit systemischer Familientherapieausbildung.