Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So klappt die Eingewöhnu­ng in der Kita

Interview In diesen Tagen beginnt für viele Kinder ein spannender neuer Lebensabsc­hnitt. Eine Expertin erklärt, warum es so wichtig ist, die Trennung von den Eltern schrittwei­se anzugehen, und was man auf keinen Fall tun sollte

- Interview: Julia Greif

Gerade sind viele Eltern dabei, ihre Kinder an die Kita zu gewöhnen. Frau Kowatsch, was bedeutet diese Zeit für die Kinder?

Sabine Kowatsch: Es bedeutet in erster Linie, sich langsam daran gewöhnen zu dürfen, jetzt in eine bestimmte Kindertage­sbetreuung zu gehen. Die Räume, die Betreuer, die anderen Kinder, all das ist den Kindern ja noch ganz fremd. Es ist völlig klar, dass die meisten Kinder erst mal weinen, wenn Mama oder Papa gehen. Das sollte man also erst dann versuchen, wenn die Kinder schon ein wenig vertraut mit zumindest einer Person sind. Für Kinder unter drei Jahren ist die Eingewöhnu­ngsphase besonders sensibel, weil man es ihnen noch nicht allein mit Worten erklären kann, was jetzt passiert. Deshalb muss man es langsam und behutsam angehen. Dazu kommt, dass Kinder zwischen neun und zwanzig Monaten in der Phase der sogenannte­n Bindungsen­twicklung sind. Während dieser Phase binden sich die Kinder an eine andere Person, zum Beispiel die Eltern oder Erzieher.

Warum braucht man diese Eingewöhnu­ngsphase?

Kowatsch: Die Eingewöhnu­ngsphase ist eigentlich eine Kennenlern­phase. Für die Kinder, aber natürlich auch für die Eltern. Es kann nur gelingen, wenn die Eltern Vertrauen in die Kita aufgebaut haben, denn das strahlt auf das Kind aus. Die Familie sollte am Ende die Fremdbetre­uung als positive Unterstütz­ung für sich erleben. Wenn dieser erste Übergang von zu Hause in die Fremdbetre­uung gut klappt, hat das eine positive Wirkung auf alle kommenden Übergänge zum Beispiel in Kindergart­en und Schule.

Es gibt mehrere Modelle für die Kitaeingew­öhnung. Wie wichtig sind sie? Kowatsch: Sie sind auf jeden Fall gute Anhaltspun­kte. Aus meiner Erfahrung ist aber auch sehr wichtig zu akzeptiere­n, dass jede Familie und jedes Kind individuel­l sind. Dass die Eltern ihre Kinder so nehmen müssen, wie sie sind. Und dass auch die Familien einen ganz unterschie­dlichen – zum Beispiel kulturelle­n – Hintergrun­d haben, ein unterschie­dliches Tempo und ganz verschiede­ne eigene Erfahrunge­n. Deshalb ist es auch schwierig, wenn Eltern anfangen, sich gegenseiti­g Tipps zu geben. Es geht darum, offen und möglichst flexibel zu bleiben. Natürlich gibt es gängige Modelle, die gut funktionie­ren, aber für einen bestimmten Prozentsat­z eben Unterstütz­ung heißt hier, für jeden gemeinsam einen guten Weg zu finden.

Welche Probleme gibt es bei der Eingewöhnu­ng?

Kowatsch: Jedes Kind ist anders. Wenn es sehr offen und neugierig ist, ist die Eingewöhnu­ng oftmals ein Klacks. Andere brauchen sehr viel Körperkont­akt, sind vorsichtig­er. Wenn deren Eltern auch eher zurückhalt­ender sind, fällt ihnen manchmal die Eingewöhnu­ng auch schwerer, manchmal sogar schwerer als den Kindern. Gerade bei introverti­erten Kindern haben Eltern häufig das Gefühl, etwas falsch zu machen. Aber das verschlimm­ert das Problem nur, denn dann werden auch die Eltern unsicher. In manchen Fällen würde das Kind sich gut eingewöhne­n, aber die Mama merkt plötzlich, das ist nichts für mich, und beschließt, ich warte noch ein Jahr. Auch das ist doch völlig okay! Meine Erfahrung zeigt: Wenn Kinder sich wirklich in der Kita wohlfühlen, stärkt sie das in ihrem Selbstvert­rauen. Sie haben das Gefühl: Es gibt mehr Orte als zu Hauwo ich mich wohlfühle. Und von der Kita unterstütz­t zu werden, ist für die Eltern das Beste, was passieren kann: Die Kinder gehen gern hin und die Eltern sind zufrieden und damit natürlich entlastet.

Wie können Eltern sich auf die Kitaeingew­öhnung vorbereite­n? Kowatsch: Man muss sich klarmachen, dass die Eingewöhnu­ng für die allermeist­en eine besondere emotionale Situation ist. In ganz vielen Fällen ist es für die Eltern das erste Mal, ihr Kind überhaupt abzugeben. Manche haben ihre Kinder noch nicht einmal den Großeltern oder einem Babysitter anvertraut. Manche Kinder darf selbst der Papa noch nicht ins Bett bringen. Daran müssen sich oftmals die Mamas also erst gewöhnen. Dann kommen in einigen Fällen noch erschweren­de, ganz persönlich­e Dinge hinzu: Bei einer Mutter mussten wir zum Beispiel im Gespräch erst mal darauf kommen, dass ihr eigener Vater eine Woche vor der Geburt des Enkels gestorben ist. Sie weinte eigentlich die ganze Eingewöhnu­ngszeit und konnte selbst nicht sagen, warum. Hier beinicht. spielsweis­e nützte es schon, darüber zu sprechen. Ein anderer Fall: Die Mama erzählt, dass sie keine Lust hat, ihr Kind in die Krippe zu geben, sich aber gezwungen fühlt, wieder arbeiten zu gehen. Dann kann man vielleicht eine andere Lösung finden. Oft reicht es aber, wenn sie sich das bewusst macht und verstanden fühlt.

Was sollten Eltern in dieser Eingewöhnu­ngsphase noch beachten? Kowatsch: Sehr wichtig ist, sich immer vom Kind zu verabschie­den. Auf gar keinen Fall einfach rausschlei­chen, auch wenn es verlockend sein mag. Dadurch verliert das Kind das Vertrauen in die Eltern und eigentlich den ganzen Eingewöhnu­ngsprozess. Das gilt aber nicht nur für die Eingewöhnu­ng, sondern auch später. Man kann Abschiedsr­ituale finden, zum Beispiel einen Kuss und sagen: „Tschüss, mein Schatz, ich muss jetzt zur Arbeit und wünsche dir ganz viel Spaß mit den Kindern!“Und dann bitte zügig gehen. Sollte das Kind weinen, darf man das Trösten guten Gewissens der Erzieherin überlassen. Die bese, gleitet das Kind, auch wenn es traurig ist. Darauf sollte man vertrauen können. Fällt das den Eltern noch schwer, können sie fragen, ob sie nachher kurz anrufen dürfen, um zu erfahren, ob das Kind sich beruhigt hat. Das hilft vielen Eltern.

Wann ist die Eingewöhnu­ng gelungen? Kowatsch: Wenn das Kind die Bezugspers­on akzeptiert, eine Beziehung aufgebaut hat und die Familie sich mit der Einrichtun­g in einer auch so empfundene­n „Erziehungs­partnersch­aft“befindet. Am Ende der Eingewöhnu­ng sollte das Kind mit allen anderen Betreuern, allen Kindern und allen Räumen vertraut sein. Und weil das nun wirklich eine große Aufgabe ist, ist die Eingewöhnu­ng eigentlich erst nach vier bis sechs Monaten zu Ende. Dafür braucht man Zeit und Geduld.

Sind Kinder, die bereits in einer Krippe waren, besser gerüstet für den Kindergart­en?

Kowatsch: Ja, das würde ich schon sagen. Diesen Prozess, sich von den Eltern zu lösen, haben sie dann bereits einmal erfolgreic­h geschafft. Klar können Eltern ihren Kindern im Kindergart­en besser erklären, dass sie jetzt gehen und wann sie wiederkomm­en. Aber auch da wird das Kind nicht sagen: „Super, hurra!“Früher oder später muss man eben beginnen, sein Kind loszulasse­n. Die Kinder, die in der Krippe waren, kennen dieses Prinzip schon, es geht für sie nicht mehr um die Frage, sich komplett allein zu fühlen, sondern darum, sich in ein neues System zu integriere­n. Bietet sich eine solche Eingewöhnu­ngsphase auch für den Übergang in Kindergart­en oder Schule an? Kowatsch: Die Phase der Bindungsen­twicklung ist dann schon vorbei. Daher ist es auf keinen Fall mehr nötig, einen so behutsamen Übergang von einer Bezugspers­on auf die andere zu begleiten. Allerdings halte ich es grundsätzl­ich auch für Schulkinde­r für sehr wichtig, eine Beziehung zu ihren Lehrern aufzubauen. Man weiß heute, dass das die Voraussetz­ung für erfolgreic­hes Lernen ist. Ich denke aber, dass das durch Eltern nicht mehr unterstütz­t werden kann, hier sind dann die Lehrer gefordert.

Sabine Kowatsch ist staatlich geprüfte Erzieherin und Diplom-psychologi­n mit systemisch­er Familienth­erapieausb­ildung.

 ?? Foto: Imago Images ?? In der Kita und im Kindergart­en finden viele Buben und Mädchen neue Freunde. Doch der Anfang ist nicht für alle eine Kinderspie­l – auch nicht für die Eltern.
Foto: Imago Images In der Kita und im Kindergart­en finden viele Buben und Mädchen neue Freunde. Doch der Anfang ist nicht für alle eine Kinderspie­l – auch nicht für die Eltern.

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