Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Tragödie der Flüchtenden, gespiegelt in der Kunst
Dass Künstler ihre Augen nicht verschließen würden vor den steigenden Flüchtlingszahlen in der Welt, dessen durfte man sich im 21. Jahrhundert sicher sein – nachdem die Kunst mit der Französischen Revolution auch politisch geworden war. Und so geschah es dann – verstärkt mit dem Jahr 2015 und den Flüchtenden aus Nahost und Afrika.
Die Finger, die die Künstler in die Wunde legten, sollten mehr als mahnen: Sie sollten provozieren, schmerzen, Widersprüche innerhalb der oft halbherzig Schutz bietenden Staaten aufdecken. Der Streit, der um jenen Obelisken in Kassel geführt wurde, in den der nigerianisch-amerikanische Künstler Olu Oguibe 2017 in vier Sprachen das Evangeliumszitat „Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt“eingravieren ließ, umreißt anschaulich die deutsche Debatte um christlichen Anspruch, tatsächliche Hilfe und Abwehr/ Ablehnung von Geflüchteten. Banksys Gemälde „Mediterran Sea View“wiederum (ebenfalls 2017) bezieht seine Sprengkraft aus dem Urlauber-sehnsuchtstraum eines Sonnenuntergangs am Meer, wo andererseits sich Überlebenswesten stapeln (Bild unten rechts). Mitunter geriet die Kunst zur „Flüchtlingskrise“– in ihrer Hauptsache gewiss gut gemeint – aber auch in deutliche Kritik: Ai Weiwei wurde Selbstinszenierung unterstellt, als er sich als „Flüchtlingstoter“am Strand von Lesbos fotografieren ließ (Bild links unten) und die Präsentation des Schiffwracks „Barca Nostra“auf der venezianischen Kunst-biennale 2019 (oben) konnte als zynisch verstanden werden, weil darin 2015 tatsächlich hunderte von Flüchtenden umgekommen waren.