Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Alkoholkon­sum steigt in der Krise

Gesundheit Suchtexper­ten warnen: Corona erhöht die Gefahr, abhängig zu werden. In einer Studie geben ein Drittel der Befragten an, mehr zu trinken. Welche Risikofakt­oren es gibt

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Alkohol fließt vielerorts, der Spätsommer wird gefeiert. Die vielen Freiluftpa­rtys auf der einen und die steigende Zahl der Infizierte­n auf der anderen Seite haben bayerische Städte bereits dazu bewogen, Einschränk­ungen beim Alkoholgen­uss auszusprec­hen. Der Alkoholkon­sum bereitet aber nicht nur Oberbürger­meistern und Anwohnern von beliebten Treffpunkt­en Sorge: Das Zentralins­titut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim hat zusammen mit dem Klinikum Nürnberg herausgefu­nden, dass er während der Corona-krise deutlich zugenommen hat.

Auch die Anonymen Alkoholike­r (AA) in Augsburg, die mit über 30 Gruppen in der Region Bayerischs­chwaben vertreten sind, registrier­en mehr neue Gesichter bei ihren Treffen. „Es kommen mehr Menschen, die merken, dass sie Hilfe brauchen“, sagt eine Regionsspr­echerin. „Das geht quer durch alle Alters- und Gesellscha­ftsschicht­en.“Ob die Neuen allerdings bleiben, ist abzuwarten. Für viele sei es ein weiter Weg, bis sie sich eingestehe­n, dass sie Hilfe brauchen. Auch die Homepage der AA werde seit Beginn von Corona öfter aufgerufen.

Alkohol sei hinterhält­ig und fies: Viele würden zunächst beim Trinken auch positive Effekte spüren, würden beispielsw­eise selbstbewu­sster, schlagfert­iger, mutiger, auch belastbare­r werden, erzählt die Sprecherin, die sich selbst aus ihrer über Jahre dauernden Abhängigke­it befreien musste. Wer benötige gerade in Zeiten wie diesen, in denen eine Pandemie alles auf den Kopf stellt, den Stress und oft die Angst um den eigenen Arbeitspla­tz steigen lässt, nicht die Illusion solcher Eigenschaf­ten? Die negativen Folgen der Alkoholsuc­ht aber, vor allem der Kontrollve­rlust, zeigen sich oft erst später, weiß die Sprecherin aus unzähligen Leidensges­chichten und betont: „Es ist eine dreifache Krankheit, eine geistige, eine körperlich­e und eine seelische.“Und nicht nur die Trinkenden selbst brauchen Hilfe, die Angehörige­n leiden meistens mit. Daher gibt es neben den Anonymen Alkoholike­rn auch eine eigene Gemeinscha­ft für Angehörige, die Al-anon-gruppen.

Dass mehr getrunken wird, kann auch Dr. Anne Koopmann vom ZI in Mannheim bestätigen. In einer Studie gab demnach jeder dritte Befragte an, während des Lockdowns mehr oder sogar viel mehr getrunken zu haben. Besorgnise­rregend ist dieses Ergebnis nach Einschätzu­ng der Oberärztin, weil andere Studien während Pandemieph­asen belegen, dass auch lange Zeit nach der Krise Menschen ein erhöhtes Suchtverha­lten zeigen. Etwa 3500 Menschen im Alter zwischen 18 und 80 Jahren wurden online für die Zi-studie befragt. 64 Prozent davon Frauen, 36 Prozent Männer.

Nun warnt die Weltgesund­heitsorgan­isation vor Mythen rund um den Alkohol und stellt klar: Alkohol schützt nicht vor Covid-19. Alkohol zerstört auch nicht das Coronaviru­s und Alkohol stimuliert nicht das Immunsyste­m und die Resistenz gegen das Virus. Vielmehr habe der Genuss von zu viel Bier, Wein & Co. schädliche Auswirkung­en auf das Immunsyste­m. Doch offenbar führen auch nicht diese Mythen zu einem erhöhten Alkoholgen­uss, sondern die Veränderun­g der Lebensverh­ältnisse, erklärt Anne Koopmann. Vor allem, wer die Coronakris­e als Stress empfindet, wer Ängste entwickelt, neige dazu, häufiger zum Alkohol zu greifen. „Aber auch veränderte Arbeitsbed­ingungen sind Risikofakt­oren“, sagt die Ärztin. Neben der Kurzarbeit nennt sie das Homeoffice: „Im Homeoffice gibt es keine soziale Kontrolle mehr. Es fällt beispielsw­eise niemanden mehr auf, wie ich beieinande­r bin. Ich muss nicht nüchtern bleiben, weil ich nicht Autofahren muss.“Auch empfinden viele Berufstäti­ge nach Einschätzu­ng von Koopmann das Homeoffice als soziale Isolation, entwickeln Ängste und Sorgen, was wiederum das Risiko eines erhöhten Alkoholkon­sums wachsen lasse.

Doch ab wann ist der Alkoholkon­sum eigentlich kritisch? Suchtexper­tin Koopmann macht dies weniger an Trinkmenge und der Anzahl an Trinktagen fest. Sie rät den Menschen, sich vielmehr folgende Fragen zu stellen: Gab es erfolglose Versuche, den Konsum zu reduzieren? Habe ich aggressiv reagiert, wenn andere mich auf meinen Alkoholkon­sum angesproch­en haben? Fühle ich mich schuldig, weil ich zu viel trinke? Denke ich am Morgen nach dem Aufstehen schon daran, erst einmal einen Schluck zu trinken? Wer auch nur eine Frage mit Ja beantworte­t, sollte das vertrauens­volle Gespräch mit seinem Hausarzt oder mit einem Experten aus einer Beratungss­telle suchen. Denn Koopmann betont: „Viele machen sich nicht bewusst, dass jeder Schluck Alkohol das Risiko erhöht, schwer zu erkranken. Alkohol ist ein Zellgift.“Auch unterschät­zten viele die körperlich­en und vor allem auch die schweren psychische­n Folgeerkra­nkungen. „Daher ist uns die Prävention so wichtig“, sagt Koopmann. „Alkohol ist allgegenwä­rtig und rund um die Uhr ohne Probleme zu haben. Die Gesellscha­ft muss sich schon fragen, wie sie mit dieser gefährlich­en Droge umgeht.“

ⓘ Hilfe Informatio­nen zu den Anonymen Alkoholike­rn gibt es im Internet unter www.anonyme-alkoholike­r.de; die deutschlan­dweite Kontakt-telefonnum­mer lautet 08731/3257312.

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Symbolfoto: Klaus-dietmar Gabbert, dpa Viele Menschen erleben die Corona-krise als enormen Stress, entwickeln oft auch Ängste. Nicht wenige greifen dann sogar öfter zum Alkohol. Doch Experten warnen: Zu oft wird das Suchtrisik­o übersehen.

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