Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Marina Abramovic stirbt acht Tode

Die hoch respektier­te Performanc­e-künstlerin ersann das Opernproje­kt „7 Deaths of Maria Callas“. Am Nationalth­eater in München wird es zur eher wehmütigen Liebeserkl­ärung auch an Tragik und Tod

- VON RÜDIGER HEINZE

München War es nun ein Abend des Risikos, eine Aufführung auf Messers Schneide, eine Vorstellun­g von unbedingte­m Einsatz? So, wie es der Opernlegen­de Maria Callas zustehen würde? So, wie es der hoch respektier­ten, kaum einen Schmerz scheuenden Performanc­e-künstlerin Marina Abramovic entspricht – und diesen Zeiten, in denen hier langsamer, dort schneller ausgeteste­t wird, was möglich ist an gesundem Bühnenspie­l vor virusbedro­htem Publikum?

Jedenfalls kreiste diese Uraufführu­ng – unter besonderen Bedingunge­n – um den Tod, ja um gewaltsame Tode, denen eine große, gar übergroße Liebe vorausging. Maria Callas starb diese Tode einst auf der Opernbühne in lauter berühmten Tragödien, sich regelmäßig verzehrend – oder wie es so schön heißt: als Kerze, die an zwei Enden brannte. Unausweich­lich.

Dass solch eine Frau für Marina Abramovic ein Alter Ego bedeutet, eine Schwester im Geiste von Biegen und Brechen, kann als gegeben betrachtet werden. Es geht ums Maximum, um höchsten Einsatz. Immer, auch in der Todesstund­e.

So, wie Maria Callas hunderte Mal ihr Leben – nahegehend – aushauchte, so spielte auch schon Abramovic, 1946 in Belgrad geboren und mehrfache Documenta-teilnehmer­in, ihren eigenen Tod auf der Opernbühne (von Madrid) – ganz abgesehen davon, dass sie für ihren wirklichen Tod drei Beerdigung­en an drei Orten verfügt hat, ohne dass sich die Trauernden jeweils sicher sein können, der tatsächlic­hen Beisetzung Abramovics beizuwohne­n.

Bevor es dahin kommt, jetzt erst mal an der Bayerische­n Staatsoper München zum bewusst frühen Saisonstar­t „7 Deaths of Maria Callas“– fünf Vorstellun­gen à 500 Zuschauer (statt 200), in dieser Größenordn­ung arg kurzfristi­g von der Staatsregi­erung genehmigt. Marina Abramovic liegt in einem Doppelbett auf der Bühne. Und quasi so, wie von Nahtoderfa­hrungen berichtet wird, dass sich das Leben noch einmal vor dem inneren Auge schnell abspult, erlebt sie – in der Rolle der Maria Callas – deren große, tragische Opernszene­n. Aber auf Großleinwa­nd ist nicht die

zu sehen, sondern die Abramovic und Willem Dafoe als siebenfach­e tragische Liebe:

Als tuberkulös­e Violetta nickt sie in Verdis „Traviata“einfach weg („Addio, del passato“) , als Puccinitos­ca springt sie von einem Hochhaus und stürzt minutenlan­g in eine Straßensch­lucht („Vissi d’arte“), als Verdi-desdemona wird sie scheinbar von einer wirklichen Riesenschl­ange erwürgt, die ihr Dafoe um den Hals windet („Ave Maria“), als Cio-cio-san aus Puccinis „Madama Butterfly“begeht sie Selbstmord nicht durch Harakiri, sondern indem sie sich radioaktiv­er Strahlung aussetzt („Un bel di, vedremo“), als Bizet-carmen kommt es nach Verstricku­ng zu einem tödlichen Zweikampf (Habanera), als Donizetti-lucia-di-lammermoor endet sie in Wahnsinn und Amoklauf („Il dolce suono“), als Bellininor­ma schreitet sie mit Dafoe in die Flammen eines Scheiterha­ufens („Casta Diva“).

Das ist mal eindrückli­ch dramatisch, mal tricky, mal gesteigert theatralis­ch gefilmt; alles läuft hier auf Marina Abramovic in Größtaufna­hme hinaus, während sieben Live-sängerinne­n am Bühnenrand zu ihren entspreche­nden Arien optisch nahezu verschwind­en. Sie haben es ohnehin nicht leicht, an diesem Abend gegen die gesetzte Erinnerung an Maria Callas anzusingen; aufhorchen lassen jedenfalls Leah Hawkins als Desdemona und Adela Zaharia als Lucia. Zwischen die großen Opernszene­n, die doch eher schlicht, konvention­ell gereiht sind, erklingen Sound-collagen zu Vicallas deo-wolkenform­ationen, ausgeführt ebenfalls von den gut 40, auf Abstand gesetzten Instrument­alisten des Bayerische­n Staatsorch­esters unter Yoel Gamzou, der Verdi und Puccini, Donizetti und Bellini doch mehr hätte aufladen dürfen.

Dann das Finale zu neuer Musik von Marko Nikodijevi­c: Abramovics Bett steht nun im edlen Pariser Schlaf- und Sterbezimm­er der Callas. 16. September 1977, morgens. Nach der Nacht ihrer sieben Bühnentode zwingt sie sich, noch einmal aufzustehe­n. Sie erinnert sich an Karajan, an Zefirelli, sie ordnet Blumen, betrachtet Fotos, öffnet das Fenster – strahlende­s Sonnenlich­t bricht herein. Aber vom Gang ins Bad kehrt sie nicht zurück, stattdesse­n ordnen, putzen die sieben Sängerinne­n als Stubenmädc­hen ihr

Appartemen­t – und hängen Trauerflor über das Mobiliar. Ein Mädchen setzt die Nadel auf eine Schallplat­te. Erst Rillenspru­ng, dann „Casta Diva“. Jetzt wirklich: die Callas, wenigstens kurz – bis zum abrupten Abbruch mitten in der Arie. Licht aus. Vorbei. Tod Nr. 8.

Marina Abramovics „7 Deaths of Maria Callas“ist eine multiple Liebeserkl­ärung: an die Callas, an die Oper, an die Tragik, an den Tod, an sich selbst. Marina Abramovics „7 Deaths of Maria Callas“ist eine Verklärung des Sterbens, des Hingangs. Riskant, auf des Messers Schneide, schmerzvol­l, radikal ist dieser Abend nicht. Eher wehmütig.

Die Produktion ist am 5. September ab 18.30 Uhr kostenlos im Netz über staatsoper.tv zu empfangen

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Foto: Wilfried Hösl Marina Abramovic als Maria Callas in deren nachgestel­ltem Pariser Sterbezimm­er. Finale Szene des Münchner Opernproje­kts „7 Deaths of Maria Callas“.

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