Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vom Straftäter zum falschen Priester mit Herz

In „Corpus Christi“glänzt der Schauspiel­er Bartosz Bielenia. Das Drama ist eine Metapher für das zerrissene Polen

- VON MARTIN SCHWICKERT

Kurz vor seinem 21. Geburtstag wird Daniel (Bartosz Bielenia) wegen guter Führung vorzeitig aus der Jugendstra­fanstalt entlassen. Im Knast hat der gewalttäti­ge Jugendlich­e zum Glauben gefunden. Das lag vor allem an den Predigten des unkonventi­onellen Gefängnisg­eistlichen Tomasz (Lukasz Simlat), der seiner kriminelle­n Klientel direkt aus der Seele sprach. Daniel, der in den Gottesdien­sten als Messdiener aushalf, wünscht sich nichts sehnlicher, als selbst Priester zu werden. Aber im Seminar nimmt man Straftäter wie ihn nicht auf. „Man kann auf viele andere Arten Gutes tun“sagt Tomasz.

So geht es nach der Entlassung und zünftig durchzecht­er Nacht ins tiefste Ostpolen, wo Daniel in einem Sägewerk Arbeit und Wiedereing­liederung bekommen soll. Aber auf dem Weg zum Betrieb kehrt er in die Dorfkirche ein und gibt sich gegenüber einer jungen Frau eher aus Scherz als Priester aus. Eine geklaute Kutte dient als Beweis und wenig später sitzt der falsche Pfaffe beim örtlichen Pastor im Wohnzimmer. Der schwere Alkoholike­r muss ins Krankenhau­s und bittet Daniel ihn zu vertreten. Die Beichte am nächsten Tag wird noch mithilfe von Smartphone und Internet absolviert, aber schon hier zeigt sich, dass der junge Mann ein guter Zuhörer und Ratgeber ist. Die ersten improvisie­rten Predigten lehnen sich an den Worten seines Mentors an. Schon bald erweist sich der Nachwuchss­eelsorger als Naturtalen­t und ist im Dorf aufgrund seiner frischen Herangehen­sweise sehr beliebt.

Bei einer Taufe fasst er schon einmal mit beiden Händen ins Weihwasser­becken und schleudert das gesegnete H2O vor Freude in die Luft. Die Menschen im Dorf sehnen sich nach ein wenig frischem Wind.

Bei einer Karambolag­e auf dem Dorfplatz sind im letzten Jahr sechs Jugendlich­e umgekommen. Die Trauer ebenso wie die Wut auf die Witwe des betrunkene­n Fahrers, der ebenfalls den Tod fand, sind ungebroche­n. Als Daniel versucht, die beiden Seiten miteinande­r zu versöhnen, gerät er an die Grenzen seiner seelsorger­ischen Fähigkeite­n.

Die Geschichte des falschen Geistliche­n, die der polnische Regisseur Jan Komasa in „Corpus Christi“erzählt, beruht zum Teil auf wahren Begebenhei­ten und wird zu einem komplexen Drama über Moral, Mitgefühl und die Grenzen der Vergebung ausgebaut. Die zerrissene Dorfgemein­schaft dient hier unübersehb­ar als Metapher für die gespaltene Gesellscha­ft Polens, wo sich Erzkonserv­ative und Modernisie­rer zunehmend unversöhnt gegenübers­tehen. Aber das ist nur einer von vielen Resonanzrä­umen, in dem sich die kluge, präzise erzählte Geschichte bewegt, in der gerade der Scharlatan die Herzen der Menschen öffnet und die Wahrheit ans Licht bringt. Dabei wird der junge hochbegabt­e Bartosz Bielenia, der die emotionale Palette vom gebrochene­n Straftäter zum empathisch­en Geistliche­n mit einer enormen Präsenz ausspielt, zu einem eigenen Kinoereign­is.

» Corpus Christi, 1 Std. 55 Min.,

Drama, Polen

 ?? Foto: dpa ?? Wie Bartosz Bielenia diesen Daniel spielt, der im Gefängnis eine spirituell­e Erfahrung gemacht hat und sich dann als Priester ausgibt, ist ein Kinoereign­is.
Foto: dpa Wie Bartosz Bielenia diesen Daniel spielt, der im Gefängnis eine spirituell­e Erfahrung gemacht hat und sich dann als Priester ausgibt, ist ein Kinoereign­is.

Newspapers in German

Newspapers from Germany