Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die BBC steht unter Druck

Wie hierzuland­e gibt es auch in Großbritan­nien Kritik am öffentlich-rechtliche­n Rundfunk

- VON KATRIN PRIBYL

London Tim Davie hatte sein Amt noch nicht einmal übernommen, da geriet der neue Generaldir­ektor der BBC bereits in einen Sturm der Empörung. Es ging um nichts weniger als die britische Identität. Im Zentrum stand die Frage, ob patriotisc­he Lieder, die traditione­ll am letzten Abend der Klassik-konzertrei­he „Last Night of the Proms“gesungen werden, angesichts der Debatte über die britische Kolonialve­rgangenhei­t noch zeitgemäß sind.

Eines der Lieder ist „Rule, Britannia!“(Herrsche, Britannia!), so etwas wie die inoffiziel­le Nationalhy­mne. Da die Konzerte wegen der Corona-pandemie in diesem Jahr ohne Publikum stattfinde­n, schien das einigen Verantwort­lichen eine willkommen­e Gelegenhei­t, auch diesen Gassenhaue­r aus dem Programm zu nehmen. Doch zahlreiche Briten reagierten entrüstet, inklusive Premiermin­ister Boris Johnson.

Am Mittwoch vollzog die BBC dann eine Kehrtwende und entschied, dass „Rule, Britannia!“, genauso wie das ebenfalls umstritten­e „Land of Hope and Glory“, nicht nur als Orchesterv­ersion gespielt, sondern auch wieder gesungen werden soll.

Die Debatte veranschau­licht gut, was dem 53-jährigen Davie in den nächsten Jahren bevorsteht. Er übernimmt den Posten von Lord Tony Hall zu einer Zeit, die für die BBC von einer beispiello­sen politische­n wie finanziell­en Ungewisshe­it geprägt ist. Die „Auntie“, die Tante, wie sie im Volksmund genannt wird, steckt in der Krise.

Denn auch die Kritik an ihrer Berichters­tattung über den Brexit reißt nicht ab. Seit dem Eu-referendum im Jahr 2016 wird die auf politische Unabhängig­keit bedachte Rundfunkan­stalt von allen Seiten für ihre angebliche Voreingeno­mmenheit attackiert. So werfen sowohl Zuschauer, Kommentato­ren als auch zahlreiche Politiker, vor allem aus den konservati­ven Tory-reihen, dem ihrer Ansicht nach linkslasti­gen Sender eine zu Brexit-kritische Berichters­tattung vor. Dass sich auch Pro-europäer und am linken politische­n Spektrum stehende Briten unentwegt über die BBC als angebliche­s „Sprachrohr der Tories“beschweren? Geschenkt.

Tim Davie, der bislang die Programmge­sellschaft „BBC Studios“leitete, den kommerziel­len Unternehme­nsarm der Anstalt, trat jetzt seinen Job in Jeans und Jackett sowie mit dem erklärten Ziel an, die BBC zu reformiere­n. Man sei „eine BBC für alle“, die jedem Teil dieses Landes diene und jeden repräsenti­ere, sagte er. Er wolle sich vor allem „für Inhalte von höchster Qualität und Unparteili­chkeit“einsetzen. „Unser Auftrag war noch nie so relevant, wichtig beziehungs­weise notwendig wie heute.“

Doch Davie muss nicht nur den Vorwurf der angebliche­n Voreingeno­mmenheit entkräften. Etliche Politiker, vorneweg Boris Johnson, stellen regelmäßig auch das Finanzieru­ngsmodell der BBC infrage – und damit ihre Existenzgr­undlage.

Es ist eine ähnliche Debatte wie die in Deutschlan­d über die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags. Ob der – wie geplant – im nächsten Jahr um 86 Cent auf monatlich 18,36 Euro pro Haushalt steigen kann, ist noch immer völlig ungewiss. Und hängt vor allem von der Zustimmung der Landtagsab­geordneten von Sachsenanh­alt ab.

In Großbritan­nien wird, was eine künftige Finanzieru­ng der öffentlich­rechtliche­n BBC angeht, gerne auf den Streaminga­nbieter Netflix verwiesen, auf ein Abomodell also. Die Rundfunkge­bühr beläuft sich auf der Insel auf jährlich 154,50 Pfund (174 Euro) und macht 75 Prozent der Gesamteinn­ahmen der BBC aus, das sind 3,6 Milliarden Pfund. Der Rest ihrer Finanzen speist sich vor allem aus dem Verkauf von Tv-produktion­en. 2027 muss Tim Davie den Rundfunkst­aatsvertra­g neu verhandeln. Es werden noch eine Reihe schwierige­r Debatten auf ihn zukommen.

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Foto: A. Milligan, PA Wire, dpa Der neue BBC-CHEF Tim Davie verspricht Reformen.

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