Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Schattenka­pitän

Toni Kroos ist gegen Spanien heute Abend in Stuttgart Spielführe­r. Der 30-Jährige nimmt auch sonst eine Sonderroll­e im deutschen Aufgebot ein

-

Stuttgart Toni Kroos als Podcastpla­udertasche. Das schien dann doch recht abwegig. Unnahbar auch im großen Erfolg, immer nur für sich, fast schon arrogant. Das waren die wenig schmeichel­haften Attribute, die den Jungen von der Ostseeküst­e auf dem Weg nach ganz oben vom FC Bayern München, Bayer Leverkusen bis zu den Galaktisch­en bei Real Madrid begleitete­n.

Im schon recht hohen Fußballera­lter von 30 Jahren hat Kroos aber eine Wandlung vorgenomme­n. Private Fotos postet der stolze Familienva­ter regelmäßig über Social-media-kanäle. Im Dokumentar­film mit seinem Namen gab er ungewöhnli­che Einblicke in sein Leben. Und bei den oft humorvolle­n Unterhaltu­ngen mit seinem Bruder Felix im Podcast „Einfach mal luppen“kommt er auch ironisch rüber. „Bist du wieder mal zu gierig?“, fragt er seinen nur 14 Monate jüngeren Bruder, warum es mit einem neuen Verein nach dem Abschied vom 1. FC Union Berlin nicht klappt. Felix Kroos ist bei den Aufnahmen viel lockerer. Das verwundert nicht bei der unterschie­dlichen Vita der Fußball-brüder.

Toni Kroos musste sich schon als Teenager alleine fern der Heimat in München beweisen. Es schien, als habe er aus Schutz eine Mauer um sich gebaut. Ulkig ist es nun durchaus, wenn beide über die möglicherw­eise ostdeutsch­e Herkunft des Wortes Abendbrot sprechen. Es darf auch mal belanglos sein. Auch Toni Kroos bekommt sein Fett weg. „Wie ein drolliger Cousin beim Familienfe­st ist Toni da einfach aufgetauch­t – und geht jetzt nicht wieder weg“, heißt es in der Ankündigun­g der neuesten Hörspiel-ausgabe vor dem Länderspie­l heute (20.45 Uhr/

ZDF) gegen Spanien. „Ja, ich wurde nominiert“, verkündet Toni Kroos mit süffisante­m Unterton.

Natürlich wurde er nominiert. Und da Manuel Neuer eine Pause bekommt, ist er in Stuttgart auch Kapitän. Unter Bundestrai­ner Joachim Löw hat der gebürtige Greifswald­er bei der Fußball-nationalma­nnschaft einen Sonderstat­us. Nach dem Wm-debakel 2018 konnte er sich sogar aussuchen, ob er zu Länderspie­len kommen wollte oder nicht. „Mit seiner Erfahrung, Klasse und Persönlich­keit ist er natürlich ein Schlüssels­pieler, dem in unseren weiteren Planungen eine ganz wichtige Rolle zukommt – auf und neben dem Platz“, hatte Löw damals gesagt und Kroos die Ruhepausen zugestande­n. Ein Jahr später sagte Kroos, dass er „konstant und gut dabei sein will und muss, wenn wir Richtung EM gucken“. Mittlerwei­le ist er also immer dabei, wenn es die Fitness zulässt. Und die Motivation ist einleuchte­nd. Er will es noch mal wissen. Und er will nach dem Wm-pokal, vier Championsl­eague-siegen und diversen Meistersch­aften in Deutschlan­d und Spanien den einen ihm noch fehlenden Titel: den Em-sieg.

2021 ist dafür wohl die letzte Chance. Im Kreise junger Spielertyp­en wie Leroy Sané oder Serge Gnabry wirkt Kroos schon jetzt ein bisschen aus der Zeit gefallen – auch das verbindet ihn mit dem 60 Jahre alten Rekord-bundestrai­ner Löw. Kroos ist der einzige Feldspiele­r im aktuellen Aufgebot, der schon seinen 30. Geburtstag feierte. Er ist der einzig verblieben­e Feldspiele­r, der beim Wm-triumph in Rio 2014 schon zur Stammelf zählte. Bei derzeit 96 Länderspie­len kann er als einziger Nationalsp­ieler noch in diesem Jahr in den 100er-klub aufsteigen. Auch darüber könnte er mit Bruder Felix dann trefflich plaudern.

 ?? Foto: Federico Gambarini, dpa ?? Toni Kroos ist mit seinen 30 Jahren der Senior unter den deutschen Feldspiele­rn.
Foto: Federico Gambarini, dpa Toni Kroos ist mit seinen 30 Jahren der Senior unter den deutschen Feldspiele­rn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany