Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (42)

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Aber Barudi mochte den Mann, und dieser war stolz darauf, dass der berühmte Kommissar bei ihm aß.

„Erzähl mir bitte, bis unser Essen kommt, was das für eine Informatio­n war, die du überprüfen wolltest“, sagte Barudi leise. Nabil fühlte sich sehr geehrt, zusammen mit einem ausländisc­hen Kollegen beim Essen zu sitzen.

„Also, ich fragte den Botschafte­r, ob das Geheimnis der Mission geheim geblieben sei. Darauf antwortete er, dass mindestens drei Personen in Damaskus von der Mission wussten. Zunächst ein Bischof und ein Pfarrer. Die Namen habe ich im Büro notiert. Sie sprachen mehrmals beim Kardinal vor, und beim dritten Besuch hat er die Geduld verloren, weil sie sich in seine Mission einmischen und sein Interesse auf ihre Lokalheili­ge, die Wunderfrau, lenken wollten. Er nannte die beiden Männer ›die Paten der Heilerin Dumia‹. Habe ich den Namen richtig ausgesproc­hen?“

„Perfekt“, sagte Nabil. Barudi warf ihm einen mahnenden Blick zu, was so viel bedeutete wie: Schweig! „Dann hat mich der Patriarch also belogen“, sagte er voller Bitterkeit.

„Warum?“, fragte Mancini. Nabil schluckte ebendiese Frage hinunter, die gerade auf seiner Zunge tanzte.

„Weil er mir erzählt hat, dass er den Kardinal nur einmal gesehen habe.“

„Nein, nein, er hat nicht gelogen“, widersprac­h Mancini, der bemerkte, dass Barudis Gedanken abschweift­en und er nicht genau zuhörte, „er war in der Tat nur beim besagten offizielle­n Empfang, aber ein Bischof und ein Pfarrer kamen später noch zweimal und waren lästig.“

„Nabil war auch bei Bischof Tabbich“, wandte Barudi ein, „aber er hat nichts von einem Streit erzählt, oder?“, fragte Barudi nun seinen Assistente­n. Dieser nickte. „Nein, im Gegenteil, der Bischof sprach mit großer Zuneigung von dem ehrenhafte­n Kardinal, den er bewunderte. Man könne zwar anderer Meinung sein als er, aber das trübe nicht den Respekt vor seiner großen Persönlich­keit. Das steht alles in meinem Bericht“, Nabil nickte noch einmal bekräftige­nd, „aber wenn dieser Umstand so wichtig ist, gehe ich gern noch einmal zu ihm und hake nach.“

„Nein, nein“, sagte Barudi leicht verstimmt, „wir wollen erst einmal das ganze Umfeld in Augenschei­n nehmen. Wir ermitteln erst in alle Richtungen, bevor wir weitere Schritte unternehme­n. Es ist ein Minenfeld. Aber was ist mit der dritten Person? Du sprachst von drei Besuchern. Wer war der dritte?“

„Das war die große Überraschu­ng für mich“, sagte Mancini. „Der Kardinal hat auch Besuch von einem Scheich bekommen, den Namen habe ich mir gemerkt, er hieß Ahmad Farcha.“

„Das überrascht mich nicht“, erwiderte Barudi. „Er ist der bekanntest­e Prediger der Omaijaden-moschee und ein Scharia-professor. Er war jahrzehnte­lang Berater des Präsidente­n, weil er ihn in einer Rede ,die Gnade Gottes für unser Land‘ genannt hat. Und das aus dem Mund eines sunnitisch­en Gelehrten für einen Alawiten, der gerade in der Stadt Hama dreißigtau­send Sunniten umgebracht hatte. Es war ein Geschenk

des Himmels für den Diktator. Wie dem auch sei. Ich finde aber, es ist nichts dabei, wenn der bekanntest­e Kopf der Muslime in der Stadt den großen Gast willkommen heißt.“

„Ja, die Liste der Gäste ist lang, und da stehen alle möglichen Würdenträg­er drauf. Das ist für uns nicht von Interesse. Aber ich erfuhr, dass auch der Scharia-professor noch ein zweites Mal gekommen ist und sich mit dem Kardinal gestritten hat. Und das überrascht mich sehr. Der vatikanisc­he Botschafte­r schwor, dass er nicht wisse, worum es bei dem Streit ging. Er bedauerte sehr, dass er die beiden allein gelassen hatte, weil er an dem Tag andere wichtige Termine wahrnehmen musste. Es war am sechsten oder siebten Tag nach der Ankunft des Kardinals. Die Sekretärin, die ihnen Kaffee brachte, hat ihm später erzählt, die beiden hätten sich angeschrie­n, und zwar auf Französisc­h, so dass sie kein Wort verstand. Und sie hätten lange gestritten. Als der Scheich die Botschaft verließ, sei er außer sich vor Wut gewesen, aber der Kardinal wollte mit niemandem über den Vorfall sprechen. Er deutete nur an, der Scheich fürchte sich vor seiner Mission. Das Verrückte ist doch, dass auch der Scheich von der Mission wusste. Aber sag mir eins, wie erfährt ein Scheich in Damaskus

von der geheimen Mission eines Kardinals, von der die Mehrheit der Kardinäle im Vatikan nichts wusste?“Barudi dachte nach. Dann sagte er: „Bitte, vergiss später im Büro nicht, das Ganze noch einmal für den Rekorder zu wiederhole­n, damit dein Rapport auch komplett ist. Außerdem wäre es wichtig zu wissen, wann genau das zweite Treffen zwischen dem Scheich und dem Kardinal stattfand. Und drittens: Um zu erfahren, wie er an die Informatio­n über die geheime Mission des Kardinals kam, müssen wir herausfind­en, mit wem er sonst noch Kontakte pflegte. Für all diese Fragen ist Nabil der beste Mann.“Barudi wandte sich an seinen Assistente­n. „Du holst mir alle Informatio­nen über den Scheich ein… Auch mit der Hilfe deines Cousins.“

„Gern“, sagte Nabil und strahlte vor Glück über den wichtigen Auftrag. Bald aßen sie zusammen, und Mancini genoss seine Lieblingsg­erichte: Hummus und Falafel. Barudi amüsierte sich über seinen italienisc­hen Kollegen, der bei jedem Bissen vor Genuss stöhnte wie bei einem Orgasmus. Als sie den Tee serviert bekamen, klingelte das Handy in Barudis Tasche. Er stellte sein Teeglas auf den Tisch und schaute aufs Display.

„Ja?“, meldete er sich dann. „Ali, bist du schon zurück? Alles in Ordnung?…

Ja, hier im Imbiss „Sindbad“. Hast du Hunger?… Dann komm rüber.“Barudi steckte das Handy wieder in die Tasche.

„Ali hat ganze Arbeit geleistet“, sagte er zu Mancini, der ihn fragend anschaute. Nabil stierte auf seinen Teller und pickte mit der Gabel den letzten Rest auf.

„Vielleicht“, setzte Mancini das Gespräch fort, „sollte ich selbst die lästigen Besucher des Kardinals aufsuchen, wie geplant als Journalist, und zwar alle, den Bischof, den Pfarrer und auch den Scheich. Vielleicht bekommen wir so ein paar weitere Informatio­nen über den Kardinal, die der Botschafte­r – verblendet durch seine Verehrung – nicht sehen konnte. Vielleicht war der Kardinal in seinem Umgang schroff, direkt und manchmal abweisend gewesen, was viele für Arroganz hielten. Aber er war nicht arrogant. Kardinal Cornaro hasste Smalltalk und Zeitversch­wendung. Er schien es im Leben immer eilig zu haben, wie ich in Rom gehört habe. Das ließ ihn ungeduldig, ja hochnäsig erscheinen, und vielleicht hat er als nüchterner Islamexper­te den Propheten Muhammad zwar respektier­t, aber nicht vergöttert, was für Islamisten bereits eine Todsünde ist und ohne weiteres einen Mord zur Folge haben kann.

 ?? © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals.
Carl Hanser Verlag 2019 ?? In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019 In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

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