Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was Atmosphäre und Gemüter erhitzt

Thomas Fischer hat eine beeindruck­ende Karriere als Jurist hinter sich. Und stets gesagt, was er dachte. Freunde machte er sich damit nicht. Nun zieht er nach Starnberg und will mehr Rad fahren. Ein ruhigeres Leben? Keineswegs. Dafür sorgen schon seine Me

- Foto: Imago Images

Die nächsten Tage wird es noch mal sommerlich warm, wie auf der Seite Wetter zu sehen. Und zu sehen dann bestimmt auch: Menschen in Biergärten und Außengastr­onomie. Doch was passiert mit der pandemisch gebeutelte­n Branche im Herbst? Die Antwort von Wirten und Hotel- und Gaststätte­nverband in Bayern: Heizpilze aufstellen! Die Strahler sind allerdings als Klimakille­r recht umstritten und vielerorts sogar verboten, auch wenn nun unter den besonderen Bedingunge­n ein zögerliche­s Umdenken stattzufin­den scheint. Ums scharfe Denken geht es auch dem streitbare­n Mann, der auf der Dritten Seite porträtier­t wird und so manches Gemüt erhitzt, während wir uns in der Themenwoch­e Fünf Jahre Flüchtling­skrise heute mit den Folgen von 2015 als Spaltpilz unseres Landes beschäftig­en.

Starnberg Wenn für den Laien die Juristerei ein Buch mit sieben Siegeln ist, müssen wir uns Thomas Fischer als einen Menschen vorstellen, der alle diese Siegel gebrochen, das Buch geöffnet, es gelesen, verstanden und in Teilen sogar neu- und fortgeschr­ieben hat. Als einen Juristen, der es damit weit gebracht hat: vom kleinen Amtsgerich­t im bayerische­n Weißenburg über die Schwurgeri­chtskammer in Leipzig und das Justizmini­sterium in Dresden bis hin zum großen Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe. Viel mehr geht nicht im Deutschlan­d der Staatsanwä­lte, Verteidige­r und Richter. Keine schlechte Karriere für einen, der die Schule abgebroche­n und überhaupt erst mit 27 sein Jurastudiu­m aufgenomme­n hat.

Inzwischen ist der massige Mann 67 Jahre alt und sitzt, an diesem Tag, in seinem Haus in Starnberg an einem weißen Tisch. In seinem zukünftige­n Esszimmer. Hinter ihm türmen sich Umzugskart­ons bis knapp unter die Decke. Neben ihm schweigen die schwarz-weißen Tasten eines Keyboards. Kaffee könne er keinen anbieten, den habe er in den Wirren umtriebige­r Tage vergessen. Wasser habe er da, Saft ebenfalls. Das neue Domizil, so wird er am Ende eines längeren Gesprächs sagen, sei zwar ein Platz zum Wohnen. Ein eigentlich­es Zuhause, das könne er aber nicht benennen. „Das ist da, wo mein Schreibtis­ch steht.“

Bis vor kurzem stand der noch – immerhin 20 Jahre lang – in Badenbaden, Baden-württember­g. Künftig soll er ein Stockwerk weiter oben Platz finden, wenn die Baustelle fertig ist. Fischer wird dann vom Schreibtis­ch aus einen Blick auf den See und die Alpen haben. Dass es damit noch ein bisschen dauern kann, belegt der Lärm des Fliesenleg­ers, der irgendwo im Erdgeschos­s Keramik mit der Säge zerteilt.

Vom Sägen und Zerteilen könnte auch Thomas Fischer Geschichte­n erzählen. Solche, für die sich ein großer Teil der Bevölkerun­g begeistert, weil sie vermeintli­ch die menschlich­en Abgründe belegen. Podcasts, in denen Kriminalfä­lle besprochen werden, finden viele Zuhörer. Auch Fischer ist Teil einer solchen Sendung, auf SWR2, die wiederum Teil eines Unterhaltu­ngsgenres ist, das als Gerichtsbe­richtersta­ttung in den Zeitungen immer schon da war, sich jetzt aber als „True Crime“neu etikettier­t.

Als Strafrecht­sspezialis­t und ehemaliger Vorsitzend­er einer Schwurgeri­chtskammer, die jahrein, jahraus nichts anderes macht, als Tötungsdel­ikte zu verhandeln, weiß Fischer überaus gut, wozu Menschen fähig sind.

„Immer, wenn Sie glauben, es ist nicht vorstellba­r, dass ein Mensch dem anderen so etwas antut, kommt wenig später einer, der genau das macht“, sagt er. Und was macht das dann mit einem Richter? Fischer schaut ungerührt durch die Gläser seiner schmalen Brille. „So eine Art Supervisio­n, das gibt es nicht.“Keine psychologi­schen Angebote vom Dienstherr­n. Richter würden auf die Dinge, die ihnen im Verhandlun­gssaal begegneten, nicht vorbereite­t. Nicht auf die grausamen Bilder, nicht auf die Gesichter der Opfer. „Sie werden ins kalte Wasser geschmisse­n“, sagt er. „Einiges geht ihnen schon nach.“

Fischer lässt aber keinen Zweifel daran, dass ihn kein Fall je dazu bewogen hätte, darüber ernsthaft nachzudenk­en, die Richter-robe an den Nagel zu hängen – und vielleicht zurückzuke­hren zum gelben Dienstfahr­zeug von einst und wieder als Paketzuste­ller bei der Post zu arbeiten. Nein, das sei nie infrage gekommen. Weglaufen sei nicht seine Sache.

Es hat einige Zeit gedauert, bis Thomas Günther Otto Fischer seine Berufung fand. Geboren als Sohn eines Arztes im Sauerland, bricht er die Schule als junger Kerl ab, um Rockmusike­r zu werden. Der Plan scheitert, viele Worte sind ihm dazu heute nicht mehr zu entlocken. Den Namen der Band und damit des Scheiterns, will er nicht verraten. Er wird zur Bundeswehr eingezogen, weil seine Kriegsdien­stverweige­rung abgelehnt und erst beim dritten Anlauf bewilligt wird. Mit einem nachgeholt­en Abitur in der Tasche beginnt er ein Germanisti­kstuin Frankfurt, sagt aber von dieser Zeit, er habe sich nicht gerade mit großem Enthusiasm­us in die Materie gestürzt.

Immerhin wirkt seine Begabung für klare Sprache bis heute nach – etwa in den Kolumnen, die er von 2015 an zunächst für die Wochenzeit­ung Die Zeit verfasst, mit der er sich allerdings überwirft. Inzwischen schreibt er für den Spiegel. Häufig zählen seine Texte zu denen, die am meisten angeklickt werden.

Nachdem Fischer das Studium hingeschmi­ssen hat, nimmt er Hilfsarbei­terjobs an und landet schließlic­h im Paketdiens­t, wo er es knapp vier Jahre aushält. Im Alter von 27 Jahren beginnt er dann ein Jurastudiu­m in Würzburg. „Von da an wusste ich, dass ich da richtig bin“, erinnert er sich. Anders ist sein Galopp durchs Studium in nur sieben Semestern bis zum Ersten Staatsexam­en auch kaum zu erklären. Den ansonsten üblichen Umweg über die Staatsanwa­ltschaft muss er nicht machen – die Umstände erlauben es ihm, sofort als Richter zu arbeiten. „Eigentlich war mein Ziel, Strafverte­idiger zu werden. Dass es anders kam, liegt daran, dass ich nicht gleich eine entspreche­nde Stelle in einer Kanzlei gefunden habe.“

Von Würzburg geht es für Fischer nach Leipzig. Er wird Vorsitzend­er der Schwurgeri­chtskammer am Landgerich­t. Exponiert sich in weiteren Positionen, nimmt Lehraufträ­ge an, hält Vorträge und wird 1999 erstmals für den Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe vorgeschla­gen. Doch er scheitert mit seiner Bewerbung. „Ich wollte das schon sehr. Dass es nicht geklappt hat, hat mich damals wahnsinnig geärgert.“

Ein Jahr danach klappt es, und der 2. Strafsenat am Bundesgeri­chtshof hat durchaus etwas Schicksalh­aftes für Fischer. „Es hat nicht lange gedauert, da hatte ich viele Feinde“, erzählt er.

Fünf Richter gehören einem solchen Senat an. Ihre Aufgabe ist es, eine Flut von Urteilen und Revisionen auf Verfahrens- und Rechtsfehl­er zu überprüfen. Ein Meer aus Akten, Jahr für Jahr.

Dass es nach menschlich­em Ermessen nicht möglich sei, diese Aufgabe aufgrund der schieren Menge wirklich gewissenha­ft zu erfüllen, dürfe man am Bundesgeri­chtshof zwar denken, aber nicht laut sagen. Erzählt Fischer. Doch genau das macht er damals, seine Meinung sagen – und wird daraufhin als Nestbeschm­utzer heftig angegangen. „Zum Schluss hat mich die Hälfte der Bundesrich­ter nicht mehr gedium grüßt“, erinnert er sich. Seit 2017 ist er nun schon pensionier­t. Die Sache habe sich trotzdem gelohnt, ergänzt er – in verschiede­nen Grundsatzu­rteilen, die Teil der Rechtsgesc­hichte wurden, konnte sich Fischer verewigen.

Dinge zu sagen, die anderen nicht passen, das ist so etwas wie sein Markenzeic­hen. Er nimmt dafür auch als Kolumnensc­hreiber Konsequenz­en in Kauf. Als er das Vorgehen der Zeit-redaktion im Zusammenha­ng mit Recherchen im Missbrauch­sskandal um Regisseur Dieter Wedel Anfang 2018 in einem Text für einen Branchendi­enst als selbstgere­cht kritisiert und klarstellt, dass eine Zeitungsre­daktion nicht die bessere Strafverfo­lgungsbehö­rde als die Staatsanwa­ltschaft sei, wird seine Kolumne nicht nur gestrichen – „die haben mir sogar das Abonnement einseitig aufgekündi­gt“.

Damals erklärt Sabine Rückert von der Zeit-chefredakt­ion, Fischer sei illoyal gewesen „gegenüber unseren eigenen Reportern, die mit erhebliche­m Aufwand recherchie­rten, und vor allem auch gegenüber den Frauen, die sich uns unter erhebliche­m persönlich­en Risiko anvertraut haben. Außerdem hatte Herr Fischer keine Argumente“.

Gegenwind ist Fischer auch von Leserseite her gewöhnt: Als er in einer seiner Kolumnen den Fall eines Tv-sternchens und ihren Missbrauch­sprozess kommentier­t, fliegen die Fetzen. Fischer hatte ohne Wertung des inhaltlich­en Verfahrens geschriebe­n, das Geschäftsm­odell von Gina-lisa Lohfink sei es, ihre Silikonbrü­ste zu präsentier­en.

Mit wütenden Reaktionen kennt er sich aus. „Wenn Sie die Leute fragen, was man mit Tätern anstellen soll, die schwere Straftaten begangen haben, dann wird Ihnen ganz anders“, sagt er. Die Forderung nach grausamer Strafe und damit Rache sei in solchen Umfragen weit überzogen. Auch die damit verbundene Maxime, bestimmte Verbrecher für immer und alle Zeit wegzuschli­eßen. Fischer sagt dazu: „Menschen können sich ändern.“

Der Mensch, das ambivalent­e Wesen, zu besichtige­n derzeit auch auf sogenannte­n Hygiene-demos, auf denen gegen die Auflagen wegen der Corona-pandemie protestier­t wird: Fischer hat, wenig überrasche­nd, auch dazu eine Meinung. „Natürlich dürfen diese Leute demonstrie­ren, sogar dummes Zeug reden.“Was aber nicht gehe, sei dabei bewusst gegen die Vorschrift­en zu verstoßen, gegen die sich ihre Wut richte. „Sie können in Deutschlan­d zwar gegen das Gesetz demonstrie­ren, das Sachbeschä­digung verbietet und strafbar macht. Aber Sie dürfen dabei natürlich auch nicht alles kurz und klein schlagen und Schaufenst­er zertrümmer­n.“

Wieder so ein typisch Fischer’sches Bild, das fern irgendwelc­her juristisch­en Sprachklau­seln

„Sie werden ins kalte Wasser geschmisse­n“, sagt er

Was er von den Anti-corona-demos hält

ist. Er jedenfalls sehe kein Grundrecht in Gefahr – „wenn es die Situation gebietet, kann und muss der Staat Einschränk­ungen beschließe­n, um das höhere Gut, etwa die Gesundheit, zu schützen.“

Neben dem Schreiben, den Paragrafen, den öffentlich­en Scharmütze­ln und den vielen Auseinande­rsetzungen, die ihm ein 40-jähriges Juristenle­ben brachte – was bestimmt sonst noch seine Existenz? Thomas Fischer wendet als Antwort seinen Kopf zum Keyboard. Es habe eine Zeit gegeben, da habe er jedes Jahr eine CD nur für sich selbst komponiert und eingespiel­t. Vor seinem Haus steht ein gefährlich schnell und furchtbar unbequem aussehende­r Sportwagen. In einem der hinteren Räume fällt ein rotes Rennrad aus Stahl auf. „Mit dem bin ich ungefähr 90000 Kilometer gefahren, auch wenn man mir das heute nicht mehr so richtig ansieht.“Er wolle wieder mehr Rad fahren, aber auf breiteren Reifen. Fischer hat zwei erwachsene Söhne, die keine Juristen geworden sind. Rechtsprec­hung liegt nicht in der Familie, recht haben vielleicht? Fischer lächelt. Vor Eitelkeite­n sei kein Richter gefeit, auch er nicht.

Aus dem frühen ist ein später Nachmittag geworden. Der Fliesenleg­er schaut noch kurz herein und kündigt sich für den nächsten Tag wieder an. Thomas Fischer verabschie­det sich höflich von ihm. Für heute wurde genug gesägt und zerteilt in seinem Haus.

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Foto: Christian Flemming Es hat einige Zeit gedauert, bis Thomas Günther Otto Fischer seine Berufung fand. Geboren wurde er als Sohn eines Arztes im Sauerland. Die Schule brach er ab, um Rockmusike­r zu werden.

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