Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eisiges Schweigen

Einfach war es zwischen Kanzlerin und Kreml-chef nie. Doch nun ist ein neuer Frostgrad erreicht. Die Geschichte einer komplizier­ten Beziehung und einer Provokatio­n, die Merkel Putin nie verziehen hat

- VON STEFAN LANGE UND MICHAEL STIFTER

Berlin Es gibt diese eine Szene, die das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin vielleicht besser beschreibt, als es Worte könnten. Hunde flößen der Bundeskanz­lerin großen Respekt ein. Und was macht der Kreml-chef? Bringt zum Plausch mit der deutschen Regierungs­chefin vor laufenden Fernsehkam­eras im Januar 2007 seinen schwarzen Labrador mit, der durchaus als stattlich bezeichnet werden darf. Entspannt ist fortan nur noch der Herr im Haus. Und der gibt sich nur wenig Mühe, zu verbergen, wie viel Spaß ihm die Situation macht. In psychologi­scher Kriegsführ­ung hat er Merkel viel voraus. Die Kanzlerin ist erst ein gutes Jahr im Amt und noch unerfahren. Putin ist ein Profi. Der russische Macho, der bis heute eine Männerfreu­ndschaft mit Merkels Vorgänger Gerhard Schröder pflegt, lächelt süffisant.

Mit Putin verbindet die Bundeskanz­lerin seither eine Art politische Hassliebe. Beide sind länger im Amt als die meisten ihrer Kolleginne­n und Kollegen, mit denen sie es auf dem politische­n Parkett zu tun haben. Putin spricht deutsch, Merkel spricht russisch. Das schafft eine gewisse Nähe. Doch das Klima zwischen den beiden war von Beginn an kalt. Und es wurde die Jahre über immer kälter.

Am Mittwoch nun war ein neuer Frostgrad erreicht. Ungewohnt undiplomat­isch konstatier­te Merkel „sehr schwerwieg­ende Fragen“zu dem Giftanschl­ag auf den Opposition­spolitiker Alexej Nawalny. Fragen, die „nur die russische Regierung beantworte­n kann und beantworte­n muss“. Fragen an Wladimir Putin. Am Donnerstag dann wollte die Kanzlerin gar nichts mehr zu dem brisanten Fall sagen. Sie habe umfassend Stellung genommen, teilte sie mit unbewegter Miene mit. Es ist die Höchststra­fe, zu der die Politikeri­n in solchen Fällen fähig ist: Kollege Putin, soll das heißen, du bist mir kein weiteres Wort wert.

Lange hatte sich Merkel bemüht, den Gesprächsf­aden zu Moskau nicht abreißen zu lassen, zu vermitteln, Machtspiel­chen ins Leere laufen zu lassen, Provokatio­nen zu ertragen. Nun, auf der Zielgerade­n ihrer Karriere, scheint sich das zu ändern. Sie hat nichts mehr zu verlieren – und die Szene mit dem Hund bis heute nicht vergessen. Angst habe sie nicht gehabt, erzählt sie später einmal, aber eine gewisse Sorge, weil sie einmal gebissen worden sei. „Obwohl, wie ich glaube, der russische Präsident genau wusste, dass ich nicht gerade begierig darauf war, seinen Hund zu begrüßen, brachte er ihn mit. Aber so war es nun mal. Und man sieht ja, wie ich mich tapfer bemühe, Richtung Putin zu gucken und nicht Richtung Hund.“Das ist Merkels offizielle Darstellun­g. Aber hinter den Kulissen weiß man: Sie hat dem Russen diese öffentlich­e Demütigung nie verziehen.

Auch in den Jahren danach bewegt sich die deutsche Regierungs­chefin in dem Spannungsf­eld dessen, was sie von Putin persönlich denkt und was politisch angebracht ist. Denn klar ist auch, dass Merkel niemals persönlich­e Befindlich­keiten über das politisch Notwendige stellen würde. Ein Beispiel: der Krieg in Syrien. Offen kritisiert Deutschlan­d die russische Rolle in dem blutigen Konflikt nur vorsichtig. Merkel weiß, dass es ohne Putin nie zu einer Lösung kommen wird und hält sich zurück. Inoffiziel­l sind sie und ihre Diplomaten aber entsetzt angesichts seines Vorgehens gegen Schulen oder Krankenhäu­ser. Sie beklagen, der russische Präsident lüge wie gedruckt.

Es gibt auch immer mal wieder Lichtblick­e. Beide telefonier­en oft, der Wegfall von Sprachbarr­ieren hilft. Sie duzen sich, legen gemeinsam Kränze am Grabmal des Unbekannte­n Soldaten in Moskau nieder, lachen herzhaft auf der Hannover Messe. Manch gute Flasche Rotwein ist dem Vernehmen nach bei bilaterale­n Gesprächen geleert worden. Aber vor allem seit dem erneuten Amtsantrit­t Putins 2012 bringt der russische Präsident seine deutsche Kollegin immer wieder in Rage. Da ist natürlich der Konflikt in der Ukraine. Oder die Auflösung der russischen Nachrichte­nagentur Ria Novosti. Die Verschärfu­ng der staatliche­n Kontrolle im bereits stark regulierte­n Mediensekt­or geht gegen alle Prinzipien der Kanzlerin. Auch das harte Vorgehen gegen Nichtregie­rungsorgan­isationen wie die Konrad-adenauer-stiftung in Moskau empfindet man in Berlin als massive Provokatio­n. Dann gibt es auch noch den Verdacht, der russische Geheimdien­st nehme Einfluss auf die Bundestags­wahl und versuche, die Stimmung in Deutschlan­d aufzuheize­n. Nun auch noch Nawalny. Und überall soll Putin seine Finger im Spiel haben. Ist das Maß voll? Zumindest sollte man das meinen, aber zu den ganz harten Einschnitt­en kommt es am Ende dann doch nie. Ein militärisc­hes Eingreifen ist ausgeschlo­ssen. Es bleibt beim Versuch, einen politisch-diplomatis­chen Prozess in Gang zu setzen, wie Merkel es ausdrückt. Also bei Worthülsen, beim ständigen Lavieren.

Die Bundeskanz­lerin weiß um die Interessen der deutschen Wirtschaft an einem guten Verhältnis zu Russland. Besonders der struktursc­hwache Osten hängt am Tropf des Kremls und dringt auf Entspannun­g. Auch deshalb sind die Sanktionen gegen Moskau, ausgesproc­hen nach der Annexion der Krim, längst kein scharfes Schwert mehr.

Im persönlich­en Bereich jedoch hat Merkel nun das Tischtuch zerschnitt­en. Putin sagte einmal über

Selbst wohlgesonn­ene Politiker resigniere­n

die Kanzlerin, er vertraue ihr, sie sei ein sehr offener Mensch. Umkehrt sind solche Äußerungen nicht bekannt. Und es sieht nicht danach aus, als ob Merkel im letzten Regierungs­jahr ihre Meinung noch ändern wird. Zumal selbst Politiker wie Horst Seehofer, die bislang stets darum geworben hatten, das Verhältnis zum Kreml nicht komplett vereisen zu lassen, langsam resigniere­n. Als bayerische­r Ministerpr­äsident war Seehofer mehrfach nach Moskau gereist. „Wir wollen mit ehrlichem Herzen unseren Beitrag leisten, dass wir in diesem schwierige­n politische­n Umfeld wieder ein Stück Vertrauen und Normalität herstellen“, sagte er damals zu seinem Gastgeber. Für den Csu-politiker bedeutet Realpoliti­k, auch mit Leuten in Kontakt zu bleiben, die nicht über jeden moralische­n Zweifel erhaben sind. Diese pragmatisc­he Form im Umgang mit schwierige­n Gesprächsp­artnern zeichnet auch die Kanzlerin aus. Doch zumindest mit Putin scheint ihre Geduld am Ende zu sein.

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Archivfoto: Sergei Chirikov, dpa Nur einer hier ist hier entspannt. Merkel und Putin samt Haustier im Jahr 2007.

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