Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gehen die Schotten von der Fahne?

Das stolze Volk im Norden Großbritan­niens will noch einmal über die Unabhängig­keit vom Vereinigte­n Königreich abstimmen. Was der Brexit und Corona damit zu tun haben

- VON KATRIN PRIBYL

London Die Bilder wurden als Schnappsch­üsse präsentier­t. Boris Johnson mit Baby Wilfred bei der Wanderung durch die schottisch­en Highlands. Ein anderes zeigte den britischen Premier mit seiner Verlobten Carrie Symonds, Sohn und Hund vor atemberaub­ender Landschaft. Doch nur fürs private Fotoalbum waren die Aufnahmen keineswegs gedacht. Der konservati­ve Regierungs­chef wollte mit der Wahl seines Urlaubsort­s offenbar auch sein persönlich­es Bekenntnis zur Union und der nördlichen Region demonstrie­ren. Dort nämlich braut sich ein Sturm zusammen, der Johnson gefährlich werden könnte. Nichts weniger als das Vereinigte Königreich steht auf dem Spiel.

Laut Umfragen wächst seit Monaten der Drang der Schotten, sich vom Rest des Landes abzuspalte­n. Diese Woche nun kündigte die schottisch­e Regierungs­chefin Nicola Sturgeon an, ein Gesetz über ein neues Unabhängig­keitsrefer­endum auf den Weg zu bringen. In einem Entwurf sollen Zeitrahmen, die Bedingunge­n und die genaue Fragestell­ung für die Abstimmung festgelegt werden. Dass die Vorsitzend­e der Schottisch­en Nationalpa­rtei SNP für die Unabhängig­keit kämpft, ist natürlich nichts Neues. Doch die Separatist­en fühlen sich durch den Erfolg bei der Parlaments­wahl im Dezember, als die Regionalpa­rtei 45 Prozent der Wählerstim­men erhalten und damit 8,1 Prozentpun­kte zugelegt hat, bestätigt. Hinzu kommen der Brexit – in Schottland stimmte 2016 die Mehrheit für den Verbleib in der EU – und das Chaos in der Corona-krise.

Beides ließ Johnson im Norden weiter in den Sympathiew­erten abstürzen, weshalb sich der Premier erst im Juli nach Schottland aufgemacht hatte. „Die letzten sechs Monate haben genau gezeigt, weshalb das historisch­e und tief empfundene Band, das unsere vier Nationen zusammenhä­lt, so wichtig ist“, sagte er während seines Besuchs. „Die pure Macht unserer Union wurde wieder einmal unter Beweis gestellt.“Die Schotten scheinen das anders zu sehen, das weiß natürlich auch der Regierungs­chef. Und noch mehr weiß das Sturgeon, die in der Pandemie mit ihren seriösen Auftritten punktete und jetzt ihre Chance wittert. Hinzu kommt die Ungewisshe­it, ob sich Großbritan­nien und die EU bis Ende des Jahres auf ein Handelsabk­ommen einigen. Ein von der Wirtschaft befürchtet­er No-deal-brexit könnte den Plänen der „Yes“-befürworte­r am Ende sogar behilflich werden. Am Dienstag diskutiert­e das Kabinett den Vorstoß der Schotten. Downing Street hält offenbar an der simplen Strategie fest, die da lautet: Einfach weiter Nein sagen. Man kann, so der Hintergeda­nke, kein Referendum verlieren, das nicht stattfinde­t. Denn, das ist der Haken für die Abspaltung­swilligen im Norden, der Weg zu einer Volksabsti­mmung führt rechtlich über das Unterhaus in London, das einem Votum zustimmen muss. Wie im Jahr 2014, als der damalige Premier David Cameron ein Referendum genehmigte, um die Debatte zumindest „für eine Generation“zu klären. Damals ging es recht knapp aus: 55 Prozent der Schotten sprachen sich letztlich für den Verbleib im Königreich aus – auch, weil Cameron ihnen mehr Eigenständ­igkeit versproche­n hatte. Doch der damalige Premier wurde längst vom Brexit aus dem Amt gefegt und die Stimmung in Schottland dreht sich wieder. Mittlerwei­le zeigen die Umfragen, dass eine Mehrheit die Unabhängig­keit unterstütz­t.

Sollte die SNP bei den Wahlen zum schottisch­en Regionalpa­rlament im Mai besonders erfolgreic­h abschneide­n, dürfte es schwierig für Johnson werden, bei seiner ablehnende­n Haltung zu bleiben. „Der Brexit wurde uns aufgezwung­en“, betont Sturgeon bei jeder Gelegenhei­t. Der Landesteil dürfe nicht gegen den eigenen Willen aus der EU gezerrt werden. Dabei, so betonen Kritiker, stehe Schottland wirtschaft­lich keineswegs so gut da wie 2014. Und auch die Frage, ob ein autonomes Schottland Eu-mitglied unter den bekannten Bedingunge­n bleiben könnte oder ob es sich neu bewerben müsste, ist nicht geklärt.

Den Traum der Unabhängig­keit lassen sich die Separatist­en davon aber nicht zerstören. Das Königreich steht fragiler da als je zuvor.

Johnson macht gleich mal Urlaub in den Highlands

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Foto: Stewart Kirby, Imago Images Erst im Mai 2019 hatten tausende Schotten für die Abspaltung von Großbritan­nien und den Verbleib in der EU demonstrie­rt.

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