Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ausgebremst
Die Zulieferer hatten es schon vor Corona schwer. Leichter ist es seither nicht geworden. Wirtschaftsminister Aiwanger ist besorgt und nimmt die Bundesregierung in die Pflicht
Augsburg Vollgas ist das Gegenteil von dem, was die Automobilzulieferer gerade geben können. Die Rekordrallye war für die Branche schon vor Corona vorbei, das Virus sorgte dann für eine Vollbremsung. Die Frage ist nun: Mit welcher Geschwindigkeit bewegen sich Bosch, Conti, ZF und Co. gerade in welche Richtung? Fährt man schon in der Talsohle? Geht es noch weiter bergab? Oder geht es ein paar Monate nach Ende des Lockdowns bei manchen wieder leicht aufwärts?
Für Continental zum Beispiel eher nicht. Das Unternehmen hat Anfang der Woche bekannt gegeben, den bereits eingeschlagenen Sparkurs zu verschärfen. Von 2023 an werden nach den jüngsten Planungen des Konzerns nun brutto mehr als eine Milliarde Euro an Einsparungen pro Jahr angestrebt. Bisher hatte das Sparziel bei rund 500 Millionen Euro pro Jahr gelegen. Laut IG Metall sollen in Bayern insgesamt über 2300 Stellen abgebaut werden. Betroffen sind Regensburg, Ingolstadt und Nürnberg. Der fränkische Standort soll sogar ganz geschlossen werden. Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender von Continental, begründete den verschärften Sparkurs so: „Die gesamte Autoindustrie hat derzeit gewaltige Herausforderungen zu bewältigen. Keine ihrer Krisen der vergangenen 70 Jahre war größer und schärfer. Sie trifft die Zulieferer besonders hart. Sie verlangt uns kurzfristig schon sehr viel ab und fordert uns auf Jahre bis zum Äußersten.“
Die Probleme des im Dax notierten Unternehmens aus Hannover, die Nummer zwei unter den größten deutschen Zulieferern, ist nur ein Beispiel von vielen in Deutschland. Es gibt sie auch in der von der Autoindustrie extrem abhängigen Region. In Augsburg etwa teilte erst Ende August der Automobilzulieferer Wafa in Haunstetten mit, am Ende zu sein. Mehr als 200 Angestellte verlieren ihren Job.
Es könnten nicht die letzten sein, glaubt man einer Studie von PWC Strategy&. Das Beratungsunternehmen rechnet für die Branche – abhängig vom weiteren Verlauf der Pandemie, den entsprechend verhängten Maßnahmen und der Geschwindigkeit der Markterholung – mit einem Umsatzrückgang von 13 bis 24 Prozent. Die Autoren haben 83 Unternehmen weltweit analysiert und bringen das Ergebnis so auf den Punkt: „2019 war ein schwaches Jahr für die Top-zulieferer. 2020 könnte für einige sogar existenzbedrohend ausfallen.“Die Branche sei ungebremst in die Krise gefahren.
Die Zulieferer hängen natürlich an den Herstellern. Und auch da sind die am Donnerstag veröffentlichten Zahlen des Kraftfahrt-bundesamtes für August das Gegenteil von Beschleunigung. Rund 251100 Autos, 20 Prozent weniger als im Vorjahresmonat, wurden in Deutschland zugelassen. Das liegt zwar nicht nur an den Corona-folgen, denn der August 2019 war laut Verband der Automobilindustrie (VDA) ein besonders starker Monat, weil ab September 2019 neue Abgasvorgaben in Kraft traten, was zu Vorzieheffekten führte. Auch hatte der vergangene August einen Arbeitstag weniger. Dennoch resümiert der VDA: Der Inlandsmarkt bleibt schwach. Bei den ausländischen Auftragseingängen sieht es zwar besser aus. Die stiegen im August um 11 Prozent. Allerdings bleibt es auch hier für die ersten acht Monate 2020 im Vergleich zum Vorjahr bei einem Minus von 17 Prozent. An diesen Zahlen müssen sich die deutschen Zulieferer orientieren, unter denen der VDA jüngst eine Umfrage gemacht hat. Das Ergebnis: „Jeder Zweite rechnet damit, dass erst im Jahr 2022 das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird, jeder Zehnte sogar erst im Jahr 2023.“Und: Sechs von zehn Zulieferer-unternehmen planten außerdem als Folge der Corona-krise verstärkten Personalabbau.
Das ist keine Perspektive. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) forderte daher im Gespräch mit unserer Redaktion: „Anstatt dem Dahinsiechen der Automobilzulieferer zuzusehen und Milliarden für Kredite und Kurzarbeit auszugeben, ist es jetzt höchste Zeit, auch den Kauf neuer Verbrenner zu unterstützen, nicht nur Batteriefahrzeuge.“Über 80 Prozent der Autokäufer wollten einen modernen Verbrenner, das müsse die Bundesregierung beim Förderprogramm berücksichtigen, „wenn man die Branche nicht weiter an die
Wand fahren will“. Ebenso wichtig sei es laut Aiwanger, dass der Bund endlich ein Flottenaustauschprogramm für Lastwagen auf den Weg bringe, damit alte Brummis durch neue, schadstoffarme ersetzt werden. Der Minister fürchtet: „Ansonsten wackeln auch Arbeitsplätze bei bayerischen Lkw-herstellern.“
Das schwere Gelände ist für die Zulieferer lange noch nicht verlassen. Johann Horn, Bezirksleiter der IG Metall in Bayern, sagte unserer Redaktion: „In aller Vorsicht sehe ich einen Schimmer am Horizont, aber die Branche ist noch lange nicht aus der Talsohle.“Es sei derzeit schwierig einzuschätzen, wie es weitergehe, aber, so Horn weiter: „Ich halte von Horrorszenarien genauso wenig wie von den Äußerungen, dass wir schon durch die Krise sind.“Die große Herausforderung bleibt diese: „Klimafreundlich mit dem Herzstück der deutschen Industrie wieder nach oben kommen.“Auch er fordert daher erneut die bei Umwelt-experten so umstrittene Prämie für umweltfreundliche Verbrenner. Die befristete Absenkung der Mehrwertsteuer und die Anreize zum Kauf von E-autos reichten nicht. Horn: „Wir müssen auch die klimafreundlichen Benziner und Diesel fördern.“Um der Umwelt zu helfen und Arbeitsplätze in der Branche zu erhalten.
Was das Kraftfahrt-bundesamt in Sachen Neuzulassungen übrigens auch mitteilte: Bei den Importmarken legte Tesla am stärksten zu, die E-autos von Elon Musk. Es gab im Vergleich zum August 2019 ein Plus von 453,7 Prozent.
Aiwanger: Die Branche nicht weiter an die Wand fahren