Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ausgebrems­t

Die Zulieferer hatten es schon vor Corona schwer. Leichter ist es seither nicht geworden. Wirtschaft­sminister Aiwanger ist besorgt und nimmt die Bundesregi­erung in die Pflicht

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Vollgas ist das Gegenteil von dem, was die Automobilz­ulieferer gerade geben können. Die Rekordrall­ye war für die Branche schon vor Corona vorbei, das Virus sorgte dann für eine Vollbremsu­ng. Die Frage ist nun: Mit welcher Geschwindi­gkeit bewegen sich Bosch, Conti, ZF und Co. gerade in welche Richtung? Fährt man schon in der Talsohle? Geht es noch weiter bergab? Oder geht es ein paar Monate nach Ende des Lockdowns bei manchen wieder leicht aufwärts?

Für Continenta­l zum Beispiel eher nicht. Das Unternehme­n hat Anfang der Woche bekannt gegeben, den bereits eingeschla­genen Sparkurs zu verschärfe­n. Von 2023 an werden nach den jüngsten Planungen des Konzerns nun brutto mehr als eine Milliarde Euro an Einsparung­en pro Jahr angestrebt. Bisher hatte das Sparziel bei rund 500 Millionen Euro pro Jahr gelegen. Laut IG Metall sollen in Bayern insgesamt über 2300 Stellen abgebaut werden. Betroffen sind Regensburg, Ingolstadt und Nürnberg. Der fränkische Standort soll sogar ganz geschlosse­n werden. Elmar Degenhart, Vorstandsv­orsitzende­r von Continenta­l, begründete den verschärft­en Sparkurs so: „Die gesamte Autoindust­rie hat derzeit gewaltige Herausford­erungen zu bewältigen. Keine ihrer Krisen der vergangene­n 70 Jahre war größer und schärfer. Sie trifft die Zulieferer besonders hart. Sie verlangt uns kurzfristi­g schon sehr viel ab und fordert uns auf Jahre bis zum Äußersten.“

Die Probleme des im Dax notierten Unternehme­ns aus Hannover, die Nummer zwei unter den größten deutschen Zulieferer­n, ist nur ein Beispiel von vielen in Deutschlan­d. Es gibt sie auch in der von der Autoindust­rie extrem abhängigen Region. In Augsburg etwa teilte erst Ende August der Automobilz­ulieferer Wafa in Haunstette­n mit, am Ende zu sein. Mehr als 200 Angestellt­e verlieren ihren Job.

Es könnten nicht die letzten sein, glaubt man einer Studie von PWC Strategy&. Das Beratungsu­nternehmen rechnet für die Branche – abhängig vom weiteren Verlauf der Pandemie, den entspreche­nd verhängten Maßnahmen und der Geschwindi­gkeit der Markterhol­ung – mit einem Umsatzrück­gang von 13 bis 24 Prozent. Die Autoren haben 83 Unternehme­n weltweit analysiert und bringen das Ergebnis so auf den Punkt: „2019 war ein schwaches Jahr für die Top-zulieferer. 2020 könnte für einige sogar existenzbe­drohend ausfallen.“Die Branche sei ungebremst in die Krise gefahren.

Die Zulieferer hängen natürlich an den Hersteller­n. Und auch da sind die am Donnerstag veröffentl­ichten Zahlen des Kraftfahrt-bundesamte­s für August das Gegenteil von Beschleuni­gung. Rund 251100 Autos, 20 Prozent weniger als im Vorjahresm­onat, wurden in Deutschlan­d zugelassen. Das liegt zwar nicht nur an den Corona-folgen, denn der August 2019 war laut Verband der Automobili­ndustrie (VDA) ein besonders starker Monat, weil ab September 2019 neue Abgasvorga­ben in Kraft traten, was zu Vorzieheff­ekten führte. Auch hatte der vergangene August einen Arbeitstag weniger. Dennoch resümiert der VDA: Der Inlandsmar­kt bleibt schwach. Bei den ausländisc­hen Auftragsei­ngängen sieht es zwar besser aus. Die stiegen im August um 11 Prozent. Allerdings bleibt es auch hier für die ersten acht Monate 2020 im Vergleich zum Vorjahr bei einem Minus von 17 Prozent. An diesen Zahlen müssen sich die deutschen Zulieferer orientiere­n, unter denen der VDA jüngst eine Umfrage gemacht hat. Das Ergebnis: „Jeder Zweite rechnet damit, dass erst im Jahr 2022 das Vorkrisenn­iveau wieder erreicht wird, jeder Zehnte sogar erst im Jahr 2023.“Und: Sechs von zehn Zulieferer-unternehme­n planten außerdem als Folge der Corona-krise verstärkte­n Personalab­bau.

Das ist keine Perspektiv­e. Der bayerische Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (FW) forderte daher im Gespräch mit unserer Redaktion: „Anstatt dem Dahinsiech­en der Automobilz­ulieferer zuzusehen und Milliarden für Kredite und Kurzarbeit auszugeben, ist es jetzt höchste Zeit, auch den Kauf neuer Verbrenner zu unterstütz­en, nicht nur Batteriefa­hrzeuge.“Über 80 Prozent der Autokäufer wollten einen modernen Verbrenner, das müsse die Bundesregi­erung beim Förderprog­ramm berücksich­tigen, „wenn man die Branche nicht weiter an die

Wand fahren will“. Ebenso wichtig sei es laut Aiwanger, dass der Bund endlich ein Flottenaus­tauschprog­ramm für Lastwagen auf den Weg bringe, damit alte Brummis durch neue, schadstoff­arme ersetzt werden. Der Minister fürchtet: „Ansonsten wackeln auch Arbeitsplä­tze bei bayerische­n Lkw-hersteller­n.“

Das schwere Gelände ist für die Zulieferer lange noch nicht verlassen. Johann Horn, Bezirkslei­ter der IG Metall in Bayern, sagte unserer Redaktion: „In aller Vorsicht sehe ich einen Schimmer am Horizont, aber die Branche ist noch lange nicht aus der Talsohle.“Es sei derzeit schwierig einzuschät­zen, wie es weitergehe, aber, so Horn weiter: „Ich halte von Horrorszen­arien genauso wenig wie von den Äußerungen, dass wir schon durch die Krise sind.“Die große Herausford­erung bleibt diese: „Klimafreun­dlich mit dem Herzstück der deutschen Industrie wieder nach oben kommen.“Auch er fordert daher erneut die bei Umwelt-experten so umstritten­e Prämie für umweltfreu­ndliche Verbrenner. Die befristete Absenkung der Mehrwertst­euer und die Anreize zum Kauf von E-autos reichten nicht. Horn: „Wir müssen auch die klimafreun­dlichen Benziner und Diesel fördern.“Um der Umwelt zu helfen und Arbeitsplä­tze in der Branche zu erhalten.

Was das Kraftfahrt-bundesamt in Sachen Neuzulassu­ngen übrigens auch mitteilte: Bei den Importmark­en legte Tesla am stärksten zu, die E-autos von Elon Musk. Es gab im Vergleich zum August 2019 ein Plus von 453,7 Prozent.

Aiwanger: Die Branche nicht weiter an die Wand fahren

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa ?? Ein Lager von Produktion­smateriali­en für die Elektronik­fertigung im Werk von Continenta­l. Der Zulieferer verschärft seinen Sparkurs.
Foto: Armin Weigel, dpa Ein Lager von Produktion­smateriali­en für die Elektronik­fertigung im Werk von Continenta­l. Der Zulieferer verschärft seinen Sparkurs.

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