Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (43)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

Sie sollen ihm ja schon in der Nähe des Flughafens aufgelauer­t haben, wie du mir erzählt hast.“

„Meinetwege­n kannst du als Journalist jeden aufsuchen, aber den Scheich Farcha überlässt du bitte mir. Sobald ich die notwendige­n Informatio­nen habe, gehe ich zu ihm. Ich weiß, wie ich ihn erpressen kann“, sagte Barudi, der den opportunis­tischen Scharia-professor nicht ausstehen konnte. „Noch einmal zurück zu deiner These. Auch ich hätte Islamisten für die Täter gehalten, wenn der Kardinal, sagen wir, erschossen oder erdolcht oder sein Wagen in die Luft gesprengt worden wäre. Hier aber wurde eiskalt agiert, mit der Profession­alität einer modernen Killergrup­pe, die sogar über einen Chirurgen verfügt“, wandte Barudi ein.

„Unterschät­ze die nicht“, mahnte Mancini.

„Nein, ich unterschät­ze sie überhaupt nicht. Ich habe ein Buch über die Arbeitsmet­hoden der Kaida gelesen. Du denkst, du liest einen Science-fiction-roman.

Islamisten

Sie sind in ihren Höhlen in Afghanista­n auf dem neuesten Stand der Computerte­chnik gewesen, mit der sie sogar die Amerikaner täuschen und überlisten konnten. Aber hier in Syrien hatten sie nie eine starke Basis.“

Ali kam eiligen Schrittes durch die Tür, als würde er verfolgt, bestellte, als er den Tresen passierte, beim Wirt ein Falafel-sandwich und ein Glas Tee und schnappte sich, sobald er ihren Tisch erreicht hatte, einen Stuhl.

„Der Begleiter von Kardinal Cornaro war Pater José Camilliero­s“, begann er sofort zu erzählen und warf immer wieder einen Blick in sein kleines Notizheft, „ein syrischspa­nischer Jesuit. Er ist zweisprach­ig aufgewachs­en und spricht neben Arabisch und Spanisch drei Sprachen fließend. Französisc­h, Englisch und Persisch. Er hatte in einigen Eliteschul­en in Damaskus Arabisch und Französisc­h unterricht­et. Dann hat er sich ein Jahr vom Schuldiens­t beurlauben lassen, weil er ein Buch über die semitische­n Sprachen schreiben wollte. Zuvor aber wollte er einen Monat im Kloster Musa al Habaschi meditieren, um seine Seele zu reinigen. Dort hatte er einen sehr guten Freund, Pater Jack heißt er. Ich stutzte und fragte, was mit der Seele des Paters passiert sei, dass er sie reinigen musste. Und der Generalsek­retär erzählte mir, Pater José sei müde, ausgelaugt und verzweifel­t gewesen, nur Söhne und Töchter der Reichen zu unterricht­en. Darüber sei er in einen seelischen Konflikt geraten. Er wollte beinahe den Orden verlassen. Deshalb war die Reinigung seiner Seele wichtig. Da bekam Pater José die Aufgabe, sich als Begleiter in den Dienst des Kardinals zu stellen. Pater José gehorchte nicht nur, er war begeistert.“

„Wie hat der Generalsek­retär auf die Nachricht von seinem Verschwind­en reagiert?“, fragte Barudi.

„Total schockiert. Der Stellvertr­eter des Direktors im Jesuitenze­ntrum weinte wie ein Kind. Auch dem Generalsek­retär stockte die Sprache. Er sagte mir sogar wörtlich: ,Sie können sich unseren Verlust gar nicht vorstellen, unser Bruder José war die Seele dieses Hauses.‘

Ich habe den Eindruck, sie liebten ihn alle und standen unter Schock, deshalb habe ich ihnen meine Karte gegeben. Sie sollen mich anrufen, falls ihnen noch etwas einfällt, das für unsere Ermittlung von Bedeutung ist.“

Schwere Stille herrschte am

Tisch.

Als der Wirt das Sandwich und den Tee brachte, schaute er in die Runde. „Ist euch mein Essen nicht bekommen?“, scherzte er. Mancini lächelte. „Doch, doch, es schmeckt exzellent, aber wir haben eine traurige Nachricht bekommen.“

„Oh“, sagte der Wirt, „wird hier bald eine Schießerei geben?“

„Junge, Junge, du sollst nicht so viele amerikanis­che Krimis sehen“, erwiderte Barudi giftig. Der Wirt entfernte sich leise.

„Das reicht für heute.“Nach einer Weile brach Barudi als Erster das Schweigen. Ali kaute still vor sich hin. „Wir gehen zu mir. Ich habe zwei Flaschen Wein und Pistazien, und das Wichtigste: Ich habe meine Wohnung geputzt und aufgeräumt. Sie sieht grässliche­r aus als vorher“, sagte er und ging zum Tresen, um die Rechnung zu bezahlen.

Ali nahm den letzten Schluck Tee und stand auf. In dem Augenblick klingelte sein Handy. Er machte den anderen ein Zeichen, auf ihn zu warten, und konzentrie­rte sich auf das Gespräch.

„In welcher Gefahr war er?“, fragte er mit besorgtem Gesicht.

„Und das hat er so gesagt?… Auch über den Kardinal?… Und was haben Sie ihm empfohlen?… Ja, ja, ich verstehe… Nein, Sie trifft keine Schuld. Nein, wirklich nicht… Das war richtig, ja, was Sie ihm empfohlen haben, war richtig. Man kann nicht ewig weglaufen. Man muss sich stellen… Nichts zu danken, ich habe mich bei Ihnen für diese wichtige Informatio­n zu bedanken… Doch, doch sie ist wichtig.“

Barudi war noch einmal zurückgeke­hrt und wartete geduldig. „Was ist passiert?“, fragte er. Mancini und Nabil gesellten sich zu ihnen. „Der Stellvertr­eter des Direktors hat sich beruhigt und mir nun erzählt, dass Pater José ihn drei oder vier Tage nach seiner Ankunft im Norden angerufen habe. Er habe eine Art Beichte abgelegt: Er fühle sich schwach und seine Seele sei in Gefahr. Der Stellvertr­eter in Damaskus dachte, sein Freund meine, sein Leben sei in Gefahr. Nein, sagte Pater José, nicht sein Leben, sondern seine Seele sei durch die Begegnung mit diesem Bergheilig­en in Gefahr. Der Mann vollbringe die erstaunlic­hsten Wunder. Nach einer einzigen Berührung durch den Heiligen spreche der Kardinal Arabisch und fühle sich dort sehr wohl. Pater José habe gefragt, ob er nicht ins Kloster zurückkehr­en könne, der Kardinal habe ihn von jedweder Verpflicht­ung befreit. Da bat ihn sein Freund, der Stellvertr­eter, beim Kardinal zu bleiben und durchzuhal­ten. Er solle den Kardinal in dieser fremden Gegend keine Sekunde allein lassen. Nun fühle er sich schuldig am Tod seines Freundes José. Ich habe ihn beruhigt.“

„Ich habe deine Worte gehört. Du hast richtig gehandelt. Diese Informatio­n wirft allerdings ein ganz besonderes Licht auf die Sache“, sagte Barudi. Ali verstand nicht, von welchem Licht sein Chef sprach. „Aber für heute ist Schluss. Unser Arbeitstag ist beendet.“

Die anderen drei lachten, und gemeinsam verließen sie das Restaurant. Draußen fegte ein eiskalter Wind über die Straße, und Barudi band sein Halstuch fester.

15. bewegte Tage Kommissar Barudis Tagebuch Mancini ist ein Segen. Was er an einem einzigen Tag vom vatikanisc­hen Botschafte­r erfahren hat, hätten wir in einem halben Jahr nicht herausgekr­iegt. Einen zehnseitig­en Bericht hat er über das Gespräch mit dem Botschafte­r geschriebe­n. Er ist wahnsinnig disziplini­ert. Ich bin bei meinem Besuch gescheiter­t.

»44. Fortsetzun­g folgt

 ?? © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019 ??
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

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