Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Seepferdch­en wird selten

Corona hat den Ausbildung­sbetrieb lahmgelegt. Die Bäder öffnen nur zögerlich. Tausende Kinder lernen das Schwimmen nicht. Der Jahrgang scheint verloren. Ein Hilferuf

- VON ANDREAS KORNES

Augsburg Wenn Freibadsai­son und Sommerferi­en zu Ende gehen, beginnen in den Hallenbäde­rn die Schwimmkur­se. Kinder zwischen vier und sechs Jahren lernen dann das Schwimmen. Normalerwe­ise. In diesem Jahr ist alles anders. Bäder bleiben coronabedi­ngt entweder ganz geschlosse­n oder dürfen nur unter strengen Hygieneauf­lagen genutzt werden. Anfängerku­rse sind so zu einem raren Gut geworden. Schwimmver­eine, DLRG, Wasserwach­t und private Schwimmsch­ulen sind die wichtigste­n Anbieter. Alle stehen vor riesigen Problemen. Durch Corona hat allein die DLRG deutschlan­dweit bislang mindestens 20000 bis 30000 Kindern das Schwimmen nicht beibringen können. Die Warteliste­n quellen allenthalb­en über.

Harald Walter, Präsident des Bayerische­n Schwimmver­bands, sieht viele Vereine vor einer existenzie­llen Krise. Denn sie schöpfen aus den Schwimmkur­sen ihren Nachwuchs. Zudem spülen sie Geld in die meist klammen Vereinskas­sen. Momentan könnten sie aber ihren gesellscha­ftlichen Auftrag nicht erfüllen, nämlich Kindern das Schwimmen beizubring­en. „In Bayern hatten wir ja schon vor Corona immer lange Warteliste­n. Weil es zu wenige Wasserfläc­hen gibt, da die Kommunen sparen. Stichwort Bädersterb­en. Es gibt immer mehr Nichtschwi­mmer. Und wenn ich dieses Jahr sehe, dann fällt uns ein Jahrgang Schwimmer komplett aus.“Der Deutsche Schwimmver­band habe in den vergangene­n 18 Jahren rund 80000 Mitglieder und 220 Vereine verloren, sagt Walter. Grund ist, dass es immer weniger Wasserfläc­hen gibt. Laut DLRG haben seit dem Jahr 2002 rund 1400 der deutschlan­dweit 7700 Bäder geschlosse­n. Diese sind meist defizitär und eine freiwillig­e Leistung. Der Sanierungs­stau liege bei 4,5 Milliarden Euro.

„Das große Problem des Schwimmspo­rts ist, dass er keine eigenen Sportstätt­en hat“, sagt der Bsv-präsident. Denn selbst wenn es nächstes Jahr keine Probleme mehr mit Corona geben sollte, „haben wir einfach zu wenig Wasserfläc­hen. Dazu kommt nun ein ganzer Jahrgang, der das Schwimmen nicht gelernt hat. Das ist fast nicht zu schaffen.“

Die Vereine stehen also vor einer Herkulesau­fgabe. Wolfgang Baiter ist Schwimmwar­t des Bezirks Schwaben. In seinem Heimatvere­in SB Delphin Augsburg soll es zwar Schwimmkur­se geben, allerdings sind die Voraussetz­ungen alles anders als optimal. Baiter hat einen Hygienepla­n für Vereine geschriebe­n, den diese dann an ihre Bedürfniss­e anpassen können. Aber: „Es gibt viele Vereine, die noch nicht anfangen, weil es zu schwierig und aufwendig ist“, sagt Baiter.

Immerhin sei es nun doch nicht nötig, dass ein Elternteil mit ins Wasser muss, während der Übungsleit­er von außerhalb des Beckens Anweisunge­n gibt. In ersten Entwürfen des Konzepts hatte dieses Szenario noch gedroht. Was sich nicht verhindern lasse, sei jedoch, so Baiter, dass die Kurse aufgrund der reduzierte­n Teilnehmer­zahlen doppelt so lange dauern werden.

Den privaten Anbietern hat Corona wirtschaft­lich schwer zugesetzt. Durch die Schließung der Bäder brach deren Geschäftsm­odell zwischenze­itlich in sich zusammen. Die Schwimmsch­ule Wassermäus­e zum Beispiel hat bayernweit 43 Standorte, momentan seien gerade mal fünf davon wieder nutzbar, sagt Büroleiter­in Adrienne Trnka. Die Kurse seien zudem kleiner. „Viele Eltern haben leider nicht die Chance, ihre Kinder anzumelden.“

Bsv-präsident Walter richtet deshalb einen Hilferuf an die Politik: „Der Freistaat Bayern und die Kommunen müssen das Interesse haben, dass die Zahl der Badetoten nicht noch weiter zunimmt. Deswegen brauchen die Vereine mehr Wasserfläc­hen.“Die Betriebssc­hließzeite­n der Bäder müssten überprüft werden, ob nicht zusätzlich­e Zeiten für Schwimmkur­se angezusätz­licher boten werden können. „Wir brauchen flexible Lösungen. Die Bäder müssen aufmachen. Wir sind systemrele­vant, manchmal sogar überlebens­wichtig. Wir brauchen dringend eine finanziell­e Unterstütz­ung für die Kommunen, dass sie ihre Bäder öffnen.“

Und auch die Vereine bräuchten Hilfe, denn im Herbst stünden nun doppelt so viele Kinder auf den Warteliste­n. Aufgrund der Hygienebes­timmungen würden die Gruppen in den Kursen, so sie denn stattfinde­n, aber sehr viel kleiner werden. Walter: „Das macht alles teurer. Ich müsste als Verein ja das Doppelte verlangen, denn die Übungsleit­er und Wasserfläc­hen müssen weiterhin bezahlt werden.“So wie die Kitabeiträ­ge vom Freistaat übernommen wurden, müsste man nun darüber nachdenken, ob der Freistaat eine Möglichkei­t sehe, die Vereine bei den Anfängerku­rsen zu unterstütz­en.

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Foto: dpa Kinder, die das Schwimmen gelernt haben, bekommen nach der bestandene­n Prüfung das Seepferdch­en überreicht. In diesem Jahr wird das allerdings nur sehr selten der Fall sein.

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