Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Wertach wird für Wohnmobil-fans zum Adria-ersatz
In Corona-zeiten entdecken immer mehr Reisende die Vorzüge von Urlaub im Caravan oder Camper. Der Stellplatz an der Wertach wird gut angenommen. Wer derzeit dort Ferien macht und wie es um weitere Standorte bestellt ist
Von der felsigen Klippe aus genießt man den Blick aufs Meer … na ja, fast. Es ist nicht das Meer, es ist die Wertach. Auch wenn der Wohnmobilstellplatz nicht an der Adria liegt, sondern in Augsburg – in einem Reiseführer würde man für den Ausblick wohl den Begriff „pittoresk“verwenden. Rund 25 Mobile haben auf dem Areal an der Bürgermeister-ackermann-straße Platz. Eines allerdings ist im Corona-jahr 2020 anders als in den Vorjahren.
„Im Sommer waren immer viele Italiener da, die sind in diesem Jahr fast gänzlich ausgeblieben“, erzählt Angelika Hardt, die mit ihrem Mann Werner den Wohnmobilstellplatz betreibt. Leerer geworden ist es hier dennoch nicht: „Stattdessen ist der Platz voll mit deutschen Besuchern“, so Werner Hardt. Dass viele davon „Neulinge“sind, merken die Profis nicht nur an den wenig routinierten Parkmanövern, sondern daran, dass sie bei Fragen beim Ehepaar Hardt anrufen.
Bereits in den vergangenen Jahren stiegen die Verkaufszahlen für Neufahrzeuge, doch seit der Corona-pandemie schossen sie nochmals eklatant in die Höhe. Auch gemietete Mobile liegen im Trend. Das liegt zum einen daran, dass die Deutschen derzeit ihr Heimatland neu entdecken. Zum anderen bieten Reisemobile im Gegensatz zu Hotelzimmern ein eigenes Bett, integrierte Dusche und WC – in Zeiten der Virus-angst ein weiterer Anreiz. Nachdem der Wohnmobilstellplatz an der Wertach auf autarke Fahrzeuge ausgelegt ist, die eigene Sanitäreinrichtungen an Bord haben, gibt es hier keine besonderen Corona-regeln und Hygiene-auflagen. Ein Umstand, den viele Gäste zu schätzen wissen. Dazu kommt, dass die parkenden Fahrzeuge von selbst für Abstand sorgen.
Alte Hasen nennen dagegen unisono einen anderen Grund, warum sie auf diese Form der Mobilität schwören: Freiheit. Elisabeth und Helmut Zeller aus Sonthofen sind seit 20 Jahren überzeugte Wohnmobilisten. Drei bis vier Tage sind sie mit der installierten Sanitäreinrichtung und der Photovoltaik-anlage auf dem Dach autark. Dennoch wissen sie das Angebot von Frischwasserversorgung und Grauwasserentsorgung vor Ort zu schätzen. Wer sichergehen will, dass der Fernsehempfang oder Kühlschrankbetrieb von der Solarenergie abhängig ist, findet einen Stromanschluss vor. Auch die Entsorgung des Toilettenkastens gehört zum Service. „Wir können kommen und gehen, wie wir mögen“, freut sich Elisabeth Zeller.
Im Gegensatz zu Hotels oder Campingplätzen muss man bei einem Wohnmobilstellplatz lediglich ein Parkticket ziehen. Mit dem Preis von acht Euro pro Tag kann kein Hotelzimmer mithalten. „Im Hotel kann ich auch nicht im Schlafanzug frühstücken“, argumentiert Helmut Zeller. Dinner im Altstadt-restaurant oder Wurstsemmel mit Blick auf den Sonnenuntergang über der Wertach? Solche Fragen entscheiden die Eheleute spontan. Dass viele Deutsche in diesem Jahr das Caravaning für sich entdecken, fällt den beiden auf, „aber das verteilt sich gut“, findet Helmut.
„Durch Corona entdecken viele Leute gerade ihr eigenes Land“, glaubt Gerd Hildebrandt aus Bad Breisig in Rheinland-pfalz. „Viele wissen gar nicht, wie schön Deutschland sein kann“, vermutet er. Er und seine Frau seien seit über 30 Jahren „Deutschland-fahrer“, erklärt der 70-Jährige. „Wir haben immer unser eigenes Bett dabei“, sagt seine Frau Marie. Ihr Mann stimmt zu: „Das eigene Bett ist das Wichtigste.“Die beiden bevorzugen Wohnmobilstellplätze, da Campingplätze meist außerhalb der Städte liegen. „Wir wollen aber nicht campen, sondern Städte sehen“, berichtet Marie Hildebrandt. Augsburg kennen die beiden von früher. „Wir waren neugierig, ob die Stadt immer noch so schön ist“, so Gerd Hildebrandt. Kein Einzelfall: „Es kommen immer mehr Leute zu Stadtbesichtigungen“, freuen sich die Stellplatzbetreiber. Zum einen, weil Augsburg in Fachzeitschriften empfohlen wird, zum annicht deren, „weil die Mundpropaganda unter den Wohnmobilisten hervorragend funktioniert“, so Angelika Hardt.
Herbert und Friederike Berberich sind mit ihrem Reisemobil „auf Bayerntour“und genießen die Flexibilität: „Im Hotel ist man an die Buchung gebunden“, sagt die 66-Jährige. „Wenn das Wetter schlecht ist, fahren wir einfach weiter.“Am ersten Tag des Städtetrips radelten sie mit den eigenen Fahrrädern die Wertach entlang, für den nächsten Tag stehen die Sehenswürdigkeiten der Innenstadt auf dem Programm.
Auch Andreas Kapperer und seine Frau sind aus Amberg angereist, um sich Augsburg anzuschauen. Allerdings erst, wenn die Nachmittagshitze von der Kühle des Abends abgelöst wird. Stellplätze wie den an der Wertach bevorzugt das Ehepaar im Vergleich zu Campingplätzen.
„Hier ist das Ambiente schöner, auf Campingplätzen ist so viel Lärm“, findet der 51-Jährige. Das Paar hat sieben Jahre Caravaning-erfahrung und stellt fest: „Vor Corona war es leichter, einen Platz zu bekommen.“Die einzigen ausländischen Gäste an dem Tag sind zwei Familien aus Luxemburg. Wendy Stein, 48, beschreibt den Reiz des Caravanings mit dem gleichen Wort wie deutsche Gleichgesinnte: „Freiheit.“
In Augsburg gibt es neben dem Wohnmobilstellplatz an der Wertach auch Campingplätze, zum Beispiel am Autobahnsee. Der Fraktion Bürgerliche Mitte allerdings ist das nicht genug. Augsburg hinke der Entwicklung hinterher. „Wohnmobiltouristen sind eine attraktive Zielgruppe für Augsburg“, sagt Fraktionsvorsitzender Hans Wengenmeir. Der aktuelle, innerstädtische Stellplatz sei verhältnismäßig klein und weit entfernt von der nächsten Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs. Die Fraktion fordert deshalb die Schaffung weiterer Wohnmobil-stellplätze. Vorstellbar wären unter anderem Standorte rund um das Fujitsu-gelände, das Messe-areal und die Gegend nahe dem Innovationspark, der Parkplatz an der Sportanlage Süd sowie Reesepark und Rosenaustadion.
Die Stadt Augsburg halte keinen dieser Orte für geeignet, sagt Wirtschaftsreferent Wolfgang Hübschle. Er unterstütze zwar den Antrag der Fraktion Bürgerliche Mitte, die vorgeschlagenen Standorte eigneten sich aus verschiedenen Gründen jedoch nicht. „Die Verwaltung wird gemeinsam mit der Regio Augsburg Wirtschafts-gmbh aber weiter nach geeigneten Standorten Ausschau halten“, so Hübschle. Man orientiere sich hinsichtlich Größe und Ausstattung am Wertachwohnmobilstellplatz.